sonsten bis auf die Seitenzahl weißen Blattes, — ist das nicht unverantwortbare Sparsamkeit, ja
Verschwendung? Und nicht zuletzt ist auch der erste Eindruck vom Gehalt der kurzen Gedichte
eher dürftig.
Ein Blick auf Wesen und Eigenart des Haikugedichtes kann über die Verlegenheit hinweghelfen.
In seinem einleitenden Essay charakterisiert R. Chlada es treffend als ,,ein Kürzestgedicht, das
nichts erzählt, sondern nur eine 'Impression' festhält" (S. 15). Es geht um Dichtung ohne quanti-
tierende Metrik, die 17 Silben in drei Zeilen (kanonisches Maß: 5-7-5 Silben) beherbergt. Durch
ein ,,Jahreszeitenwort" soll jeweils die jahreszeitliche Bindung hergestellt werden, denn das Hai-
ku ist ein Naturgedicht. In leichten, niemals schwerfällig-definierenden Worten wird ein einheit-
liches und einfaches Erleben ausgedrückt, das — häufig durch seine Paradoxie — eine tiefere, ur-
sprünglich religiöse Bedeutung signalisiert, die meditierend erfaßt sein will. Das Haiku ist offen,
immer mehr Frage als Antwort, daher bedarf es des weiten, schweigenden Raumes, den es fein
und leise wie sein Symboltier, der Schmetterling, durchquert.
H.R. versucht mit seinen 107 Haikugedichten also das scheinbar Unmögliche: die Vereinigung
des zierlich-zarten japanischen Schmetterlings mit der kraftvollen, körperhaft-schweren und
energisch zielstrebigen lateinischen Diktion. Was kann da herauskommen? Ein aus klobigem Fels
gemeißelter, fluguntüchtiger Schmetterling? Eine bloße Chimäre? Oder doch ein wenig mehr?
Auffällig ist zunächst, daß die lateinische Sprache dem Haiku gegenüber dem Japanischen oder
Englischen eine ganz eigene Klangwelt eröffnet: statt hauchfeiner, filigraner Gebilde ist hier alles
spürbar gewichtiger, bewußter; Vokale und Konsonanten scheinen wie von magischer Bedeu-
tungsschwere durchtönt, ohne aber unangenehm zu wirken. Man denkt vielleicht an den Klang
von Glocken, der, obgleich gewichtig, doch nicht schwerfällig, sondern in seiner wohltuenden
Fülle geradezu schwebend zu nennen ist. In dieser Klangwelt, die souverän mit Alliterationen,
Assonanzen u.a. spielt, schärft sich die Wahrnehmung selbst belangloser Details. Dem einfühlsa-
men Leser fällt es leicht, den behaglich tanzenden Schmetterling aufzuspüren:
pratum alpinum
papilio persaltat
commodissime (Nr. 41, S. 98)
Aus den nicht wenigen Rom-Gedichten sei Nr. 51 (S. 118) zitiert, wo mit Hilfe des Klangbildes ei-
ne körperhafte Erlebnisqualität erzielt wird:
vox campanarum
ruinas palatinas
mulcent nebulae
Teilweise gelingen dem Autor Würfe von unwiderstehlicher Komik, so etwa in Nr. 53 (S. 122):
ventus ululat
et tonat et proavus
pictus subridet
Nur feine und humorvolle Beobachtungsgabe erklärt possierliche Situationsbeschreibungen, bei
denen wirklich in der Kürze die Würze liegt (jedes weitere Wort wäre zu viel), wie:
romae prandeo
meos ad pedes dormit
felis cauponis (Nr. 75, S. 166)
So gehen die Gravität der lateinischen und die Biegsamkeit der ostasiatischen Spracherfahrung
ein bemerkenswertes Commercium ein. Die klangliche Raffinesse nimmt gegen Ende des Buches
übrigens spürbar ab. Zieht sich der Dichter in die Einöde zurück, um, von jedweder sinnlichen
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Verschwendung? Und nicht zuletzt ist auch der erste Eindruck vom Gehalt der kurzen Gedichte
eher dürftig.
Ein Blick auf Wesen und Eigenart des Haikugedichtes kann über die Verlegenheit hinweghelfen.
In seinem einleitenden Essay charakterisiert R. Chlada es treffend als ,,ein Kürzestgedicht, das
nichts erzählt, sondern nur eine 'Impression' festhält" (S. 15). Es geht um Dichtung ohne quanti-
tierende Metrik, die 17 Silben in drei Zeilen (kanonisches Maß: 5-7-5 Silben) beherbergt. Durch
ein ,,Jahreszeitenwort" soll jeweils die jahreszeitliche Bindung hergestellt werden, denn das Hai-
ku ist ein Naturgedicht. In leichten, niemals schwerfällig-definierenden Worten wird ein einheit-
liches und einfaches Erleben ausgedrückt, das — häufig durch seine Paradoxie — eine tiefere, ur-
sprünglich religiöse Bedeutung signalisiert, die meditierend erfaßt sein will. Das Haiku ist offen,
immer mehr Frage als Antwort, daher bedarf es des weiten, schweigenden Raumes, den es fein
und leise wie sein Symboltier, der Schmetterling, durchquert.
H.R. versucht mit seinen 107 Haikugedichten also das scheinbar Unmögliche: die Vereinigung
des zierlich-zarten japanischen Schmetterlings mit der kraftvollen, körperhaft-schweren und
energisch zielstrebigen lateinischen Diktion. Was kann da herauskommen? Ein aus klobigem Fels
gemeißelter, fluguntüchtiger Schmetterling? Eine bloße Chimäre? Oder doch ein wenig mehr?
Auffällig ist zunächst, daß die lateinische Sprache dem Haiku gegenüber dem Japanischen oder
Englischen eine ganz eigene Klangwelt eröffnet: statt hauchfeiner, filigraner Gebilde ist hier alles
spürbar gewichtiger, bewußter; Vokale und Konsonanten scheinen wie von magischer Bedeu-
tungsschwere durchtönt, ohne aber unangenehm zu wirken. Man denkt vielleicht an den Klang
von Glocken, der, obgleich gewichtig, doch nicht schwerfällig, sondern in seiner wohltuenden
Fülle geradezu schwebend zu nennen ist. In dieser Klangwelt, die souverän mit Alliterationen,
Assonanzen u.a. spielt, schärft sich die Wahrnehmung selbst belangloser Details. Dem einfühlsa-
men Leser fällt es leicht, den behaglich tanzenden Schmetterling aufzuspüren:
pratum alpinum
papilio persaltat
commodissime (Nr. 41, S. 98)
Aus den nicht wenigen Rom-Gedichten sei Nr. 51 (S. 118) zitiert, wo mit Hilfe des Klangbildes ei-
ne körperhafte Erlebnisqualität erzielt wird:
vox campanarum
ruinas palatinas
mulcent nebulae
Teilweise gelingen dem Autor Würfe von unwiderstehlicher Komik, so etwa in Nr. 53 (S. 122):
ventus ululat
et tonat et proavus
pictus subridet
Nur feine und humorvolle Beobachtungsgabe erklärt possierliche Situationsbeschreibungen, bei
denen wirklich in der Kürze die Würze liegt (jedes weitere Wort wäre zu viel), wie:
romae prandeo
meos ad pedes dormit
felis cauponis (Nr. 75, S. 166)
So gehen die Gravität der lateinischen und die Biegsamkeit der ostasiatischen Spracherfahrung
ein bemerkenswertes Commercium ein. Die klangliche Raffinesse nimmt gegen Ende des Buches
übrigens spürbar ab. Zieht sich der Dichter in die Einöde zurück, um, von jedweder sinnlichen
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