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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Nr. 4
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Aktuelle Themen
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Barié, Paul: Dauerreflexion als Berufsrisiko?: von der Lust und der Not der Legitimation
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0147

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d«? Gegenstände auch se/ber zur Sprache bnngen. Sicher: Dauerreflexion ist, so meine ich,
Würde und Bürde unserer Philologenexistenz; was sich nicht von selbst versteht, davon muß
man eben reden, und daß sich etwas nicht von selbst versteht, heißt ja noch lange nicht, daß es
entbehrlich oder unnütz sei. (Über den Sinn des Englischunterrichts muß man nicht viele Worte
verlieren, weil Englisch fraglos-wichtig ist). Wir sollten also bei der Präsentation des Faches in
der Öffentlichkeit die Legitimationsfrage (,,Warum Latein so wichtig ist") nicht in den
Mittelpunkt stellen, und vor allem versteckte Apologetik möglichst vermeiden. Wir erreichen
damit eh nur die bereits positiv für unser Anliegen Voreingenommenen'; die Argumente PRO
sind nicht unendlich vermehrbar, und auch die CONTRA-Positionen sind längst abgesteckt, so
daß man nachgerade froh ist, wenn (endlich) wieder einmal ein entschiedener,Angriff' (durch
F. j. Hausmann z.B.: ^Altsprachlicher Unterricht und Fremdsprachenunterricht", im Handbuch
,,Fremdsprachenunterricht", Hg.: Herbert Christ u.a., 1989) uns neu herausfordert. Dabei sollte
man auch nicht vergessen, daß Ressentiment und Aversion bisweilen schärfer sehen als jede
Zuneigung, und daß in manch lästigem Gegenargument bittere (Halb-)Wahrheiten stecken
können; Georg Veit hat das in seiner Entgegnung auf Hausmann deutlich gemacht (Latein in Not?
AU 3/93, Die Rubrik).
Wofür ich nun an dieser Stelle (und im Blick auf die Sprachenwahl unserer Schüler) plädieren
möchte, ist folgendes:
Viele, die sich über Latein informieren wollen, verbinden überhaupt keine Vorstellung (mehr)
mit dieser Sprache. Es wird daher zunehmend wichtig, nicht mehr nur über Latein zu sprechen,
sondern auch zu zeigen, was ein lateinischer Text überhaupt ist. Sicher: Man kann den
metasprachlichen Diskurs (,,Wieso Latein?"), inklusive den (derzeit vielleicht eher
überstrapazierten) pragmatischen Argumenten, die für die Wahl von Latein anzuführen sind, bei
der Präsentation des Faches nicht ausblenden, es gibt schließlich eine Reihe gewichtiger
Gründe, Latein als Schulsprache zu wählen; dieses ,,Sprechen über ..." sollte aber m.E.
gegenwärtig etwas zurücktreten gegenüber dem Versuch, dem Phänomen Lafe/n a/s der Sprache
von Texten irgendwie den Außenstehenden' erfahrbar zu machen. Das bedeutet aber: Klang,
grammatische Struktur und semantische Eigenart lateinischer Äußerungen sollten an kleinen,
originalen Textstücken demonstriert werden. Das kann z.B. in der Weise geschehen, daß man
den Eltern künftiger Lateinschüler einen lateinischen Kurztext vorlegt, der eine nachvollziehbare
Pointe enthält und möglichst eine Aktualisierung des in diesem Text angesprochenen Problems
ermöglicht.
Ich präsentiere also auf Informationsveranstaltungen in den letzten Jahren regelmäßig einen
lateinischen Text von 10 bis 15 Zeilen, rezitiere ihn so langsam und nachdrücklich, daß man es
auf dem Blatt mitverfolgen kann (viele hören ja bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal in ihrem
Leben gesprochenes Latein), meist setze ich unter den Text eine Interlinearversion und eine
,druckreife' Wiedergabe in sog. ,gutem Deutsch'. An dem Kontrast zwischen ,wortgetreu' und
,druckreif' kann man demonstrieren, was es bedeutet, einen lateinischen Text ins Deutsche zu
übersetzen und wie das Ausdruckvermögen im Deutschen dabei differenziert wird. Meist füge
ich eine kurze interpretatorische Notiz bei, die ich erläutere oder zur Diskussion stelle. So
entsteht ein zwar idealisiertes, aber doch einigermaßen konkretes Bild von der fachspezifischen
Besonderheit des Lateinunterrichts.
Unserer Phantasie bei er Auswahl geeigneter Stellen sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Für die
Öffentlichkeitsarbeit bedeutet das, daß man inhaltlich attraktive: unterrichtsmög//c/ie und
öffent!ichkeits/ä/i/ge, Texte vorlegt, und daß man sich die Mühe macht, den diskreten Reiz eines
lateinischen Textstückes vor einem latein-unerfahrenen Publikum zur Geltung zu bringen.

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