Einleitung
17
Freilich wurde die Übertragbarkeit von Methoden der Sozialwissenschaften
auf die Geschichtswissenschaft mehrfach kritisiert" und in Abrede gestellt.'^
Zumindest wurden Vorbehalte dagegen geäußert, durch eine allzu starke Be-
tonung regelhaften rituellen Handelns bedeutende andere Erklärungsmodelle
auszublenden.'' Dabei zeichnet sich Ritualforschung gerade dadurch aus, keine
eigene Disziplin zu sein, ' sondern zu versuchen in einer Methoden- und An-
satzpluralität den verschiedenen Facetten des jeweiligen Untersuchungsgegen-
stands gerecht zu werden.
So sind hier liturgiewissenschaftlich geleitete Untersuchungen auch im Be-
reich der Herrschertreffen von Bedeutung, insofern als die sakrale Komponente
des mittelalterlichen Königtums zutage trat. Besonders sind hier die Analogien
zu Kaiser-Papst-Treffen hervorzuheben, bei denen eine Begegnung der Vorste-
her der Universalgewalten immer auch ein liturgischer Akt war, wie Achim
Hack nachweisen konnte." Auch spezifisch liturgische Akte von Monarchen
wie die Schwertmesse Kaiser Karls IV. spielten beim zwischenstaatlichen Ver-
kehr eine Rolle. Erst seit der Arbeit Hermann Heimpels zum kaiserlichen Weih-
nachtsdienst ist die energische Reaktion Karls V. von Frankreich erklärbar: Er
ließ dem Kaiser diesen Dienst auf französischem Territorium verbieten. '*
Rituelles wie zeremonielles Verhalten im Mittelalter wurde ebenso unter
rechtshistorischer Perspektive untersucht, wobei Zeremoniell und Ritualakte als
Ausdruck von Rechtsverhältnissen gewertet wurden. Für die Untersuchung
von Herrschertreffen sind diese Arbeiten insofern bedeutend, da in den mei-
sten Fällen der Anlass der Begegnungen ein öffentlich zu vollführender Akt
mit rechtlichen Konsequenzen war. Hier sind die Arbeiten von Karl von Amira
zu den Rechtsgebärden (1905)/" wie auch die Überlegungen zum Gebrauch
der Rechtssymbole und Insignien von Percy Ernst Schramm"* miteinzubezie-
hen. Doch können Rechtsrituale nicht als eigene Handlungskategorie gesehen
werden, zumal eine schlüssige Abgrenzung zu Ritualformen ohne rechtliche
Bedeutung geradezu unmöglich ist. ^ Gerade im Bereich der »richtigen Insigni-
enverwendung« knüpfte die Forschung verschiedentlich an die Zeremonial-
wissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts an. Unter diesen Forschungen zu
höfischem Verhalten im Ancien Regime zählen Johann Christian Lünig oder
34 STOLLBERG-RinNGER, Verfassung und Fest, S. 9-11.
35 Buc, Dangers of Ritual, S. 161-178; Kritik an Geertz insbes. S. 227; DERs., Political Ritual,
S. 255-272.
36 REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung, 404f.; VON Moos,
Das Öffentliche und das Private, insb. S. 77.
37 REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung, S. 391f.
38 HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen.
39 HEiMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter.
40 ÄMiRA, Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels; darauf aufbau-
end: SuNTRUF, Die Bedeutung der liturgischen Gebärden und Bewegungen in lateinischen und
deutschen Auslegungen des 9. bis 13. Jahrhunderts; ScHMtDT-WiEGAND, Gebärdensprache im
mittelalterlichen Recht.
41 ScHRAMM, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik (3 Bde); KocHER, Zeichen und Symbole des
Rechts.
42 OsTWALDT, Begriff und Wesen des Rechtsrituals.
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Freilich wurde die Übertragbarkeit von Methoden der Sozialwissenschaften
auf die Geschichtswissenschaft mehrfach kritisiert" und in Abrede gestellt.'^
Zumindest wurden Vorbehalte dagegen geäußert, durch eine allzu starke Be-
tonung regelhaften rituellen Handelns bedeutende andere Erklärungsmodelle
auszublenden.'' Dabei zeichnet sich Ritualforschung gerade dadurch aus, keine
eigene Disziplin zu sein, ' sondern zu versuchen in einer Methoden- und An-
satzpluralität den verschiedenen Facetten des jeweiligen Untersuchungsgegen-
stands gerecht zu werden.
So sind hier liturgiewissenschaftlich geleitete Untersuchungen auch im Be-
reich der Herrschertreffen von Bedeutung, insofern als die sakrale Komponente
des mittelalterlichen Königtums zutage trat. Besonders sind hier die Analogien
zu Kaiser-Papst-Treffen hervorzuheben, bei denen eine Begegnung der Vorste-
her der Universalgewalten immer auch ein liturgischer Akt war, wie Achim
Hack nachweisen konnte." Auch spezifisch liturgische Akte von Monarchen
wie die Schwertmesse Kaiser Karls IV. spielten beim zwischenstaatlichen Ver-
kehr eine Rolle. Erst seit der Arbeit Hermann Heimpels zum kaiserlichen Weih-
nachtsdienst ist die energische Reaktion Karls V. von Frankreich erklärbar: Er
ließ dem Kaiser diesen Dienst auf französischem Territorium verbieten. '*
Rituelles wie zeremonielles Verhalten im Mittelalter wurde ebenso unter
rechtshistorischer Perspektive untersucht, wobei Zeremoniell und Ritualakte als
Ausdruck von Rechtsverhältnissen gewertet wurden. Für die Untersuchung
von Herrschertreffen sind diese Arbeiten insofern bedeutend, da in den mei-
sten Fällen der Anlass der Begegnungen ein öffentlich zu vollführender Akt
mit rechtlichen Konsequenzen war. Hier sind die Arbeiten von Karl von Amira
zu den Rechtsgebärden (1905)/" wie auch die Überlegungen zum Gebrauch
der Rechtssymbole und Insignien von Percy Ernst Schramm"* miteinzubezie-
hen. Doch können Rechtsrituale nicht als eigene Handlungskategorie gesehen
werden, zumal eine schlüssige Abgrenzung zu Ritualformen ohne rechtliche
Bedeutung geradezu unmöglich ist. ^ Gerade im Bereich der »richtigen Insigni-
enverwendung« knüpfte die Forschung verschiedentlich an die Zeremonial-
wissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts an. Unter diesen Forschungen zu
höfischem Verhalten im Ancien Regime zählen Johann Christian Lünig oder
34 STOLLBERG-RinNGER, Verfassung und Fest, S. 9-11.
35 Buc, Dangers of Ritual, S. 161-178; Kritik an Geertz insbes. S. 227; DERs., Political Ritual,
S. 255-272.
36 REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung, 404f.; VON Moos,
Das Öffentliche und das Private, insb. S. 77.
37 REXROTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung, S. 391f.
38 HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen.
39 HEiMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter.
40 ÄMiRA, Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels; darauf aufbau-
end: SuNTRUF, Die Bedeutung der liturgischen Gebärden und Bewegungen in lateinischen und
deutschen Auslegungen des 9. bis 13. Jahrhunderts; ScHMtDT-WiEGAND, Gebärdensprache im
mittelalterlichen Recht.
41 ScHRAMM, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik (3 Bde); KocHER, Zeichen und Symbole des
Rechts.
42 OsTWALDT, Begriff und Wesen des Rechtsrituals.