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Schwedler, Gerald; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Herrschertreffen des Spätmittelalters: Formen, Rituale, Wirkungen — Mittelalter-Forschungen, Band 21: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34738#0020

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16

Einleitung

Durch den Rückgriff auf sozialwissenschaftliche, soziologische, ethnolo-
gische bzw. kulturanthropologische'" Methoden kam es zur wissenschaftlichen
Etablierung der Vorstellung wirkmächtiger ritueller Handlungsweisen.^ Ein-
flussreich waren hierbei die Konzepte, rituelle Handlungen in ihrer Formalität,
Stereotypie, Redundanz/" Fähigkeit zur Verdichtung von Sachverhalten oder
als iterative und vielschichtige Handlungskomplexe zu begreifen und darzu-
stellen.'" Durch die Hinwendung zur Kulturgeschichte kann soziales Handeln
so verstanden werden, dass es in ein System von Bedeutungen eingebettet ist,
das untrennbar mit einer bewusst oder unbewusst gesteuerten Wahrnehmung
der sozialen Wirklichkeit einhergeht. Was den zeitgenössischen Handelnden
als objektive, dingliche Realität entgegentritt, wird zugleich immer schon
durch Sprache und subjektiv sinnhaftes Handeln konstruiert/' Es muss vom
Einzelnen immer aufs neue angeeignet und reproduziert werden, wobei frei-
lich sinnlich erfahrbare Handlungen wie eben öffentliche Rituale eine beson-
ders wichtige Rolle für die soziale Ordnung spielen. Gerade in mittelalterlichen
Gemeinwesen, die nicht durch schriftlich niedergelegte Verfassungen geordnet
waren, wirkten sich öffentliche Aufführungen wie Krönungen und Investitu-
ren,'^ Huldigungen, Belehnungen,'" öffentliche Einzüge bis hin zum spektakel-
haften Fest (selbst)bestätigend und damit für die Folgezeit stabilisierend und
konstituierend aus. Bei diesen »politischen Ritualen« erwies sich allerdings die
Frage als zentral, inwieweit bei sich wiederholenden Abläufen die Regelhaftig-
keit oder die Bezogenheit auf die historischen Verhältnisse als massgeblicher
war/' Denn auch sehr statisch wirkende Handlungsabläufe zeigten sich in der
jeweiligen politischen, zeitlichen und räumlichen Situation als flexibel und an-
passungsfähig."' Bisweilen konnten aber für erfolgreich gehaltene Gesten, die
über Jahrzehnte hinweg zum Einsatz kamen, im Sinne einer guoHü'on fe-
stes ihre Kraft verlieren und unwirksam werden. Dies stellte Stefan Weinfurter
exemplarisch am Beispiel der rituellen dgdz'ü'o dar.""

23 Geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit der »kulturalistischen Wende«
auseinandersetzen sind überaus zahlreich. Hierbei sei verwiesen auf: MARTSCHUKAT/PATZOLD,
Geschichtswissenschaft und »performative turn« und HARDTwiG/WEHLER, Kulturgeschichte
heute.
24 ALTHOFF, Das Privileg der »deditio«, S. 27-52.
25 TAMBtAH, Eine performative Theorie des Rituals, S. 210-242.
26 MICHAELS, Zur Dynamik von Ritualkomplexen.
27 STOLLBERG-RiLiNGER, Verfassung und Fest, S. 9.
28 WEINFURTER, Investitur und Gnade, S. 105-123.
29 LE GoFF, Le rituel symbolique de la vassalite; dazu auch unten, S. 167.
30 STOLLBERG-RiLiNGER, Verfassung und Fest, S. 9.
31 BAUDY, Art. »Wiederholung«, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 5,
(2001), S. 366-374.
32 ALTHOFF, Die Veränderbarkeit von Ritualen im Mittelalter.
33 WEINFURTER, Die Unterwerfung (»deditio«) Herzog Heinrichs von Kärnten 1122; dazu:
ALTHOFF, Das Privileg der »deditio«, S. 27-52.
 
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