Belehnungsakte zwischen Königen
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Das Chronicon Colmariense kann als das zeitlich am nächsten entstandene
Geschichtswerk gelten* und berichtet über die unterschiedliche Kleidung von
Rudolf und Otakar bei ihrer Begegnung: Während der König von Böhmen in
prunkvollen Gewändern (ugsh'&MS &corafüs), einem übli-
chen Zeichen von hohem Rang und Ansehen, erschien, um die Regalien zu
empfangen, habe Rudolf ein graues Gewand getragen, das er sich eigens zu
diesem Zweck von seinem Notar ausgeliehen habe/" Während sich Otakar in
vollem Prunk zeigte, demonstrierte Rudolf offensichtlich seine Macht, indem
er in einem gewöhnlichen grauen Gewand und auf einem Schemel sitzend
den Akt der Belehnung vollzog. Dass im elsässischen Kolmar, im äußersten
Westen des Reiches, erstmalig in einem Geschichtswerk über diese Begeben-
heit berichtet wurde, die später weite Verbreitung fand, hängt wohl mit der
Nähe des Obereisass zum Stammgebiet der Habsburger zusammen. Das Wis-
sen über Geschehnisse an der Ostgrenze zu Mähren und Ungarn ist durch das
habsburgspezifische Prisma zu erklären, mit der der Kolmarer Chronist Er-
eignisse im Reich zugetragen bekam, aufnahm und akzentuierte. Dies kann
als antipremyslidische Polemik im Sinne der habsburgischen Dynastie und als
»nationales« Uberlegenheitsgefühl gegenüber einer anderssprachigen Volks-
gruppe, hier den Böhmen, gedeutet werden. Derart nationaltypisierende Ge-
schichtsdarstellung gab es auch verstärkt im elsässischen Raum/'
Auf den speziellen Gebrauch und die Wirkung der Kleidung hingegen geht
der gut informierte Wiener Autor der Continuatio Vindobonensis nicht ein,
der ge^en Ende des 13. Jahrhunderts bzw. spätestens 1303 den Bericht ver-
fasste. * Stattdessen erwähnt Ottokar von Steiermark (Otacher ouz der Geul)' '
den Kniefall Rudolfs, den auch die spätere Österreichische Reimchronik auf-
griff, ohne von der Passage der Continuatio Vindobonensis Kennhais gehabt
zu haben.'" Im Gegensatz zu den Annales Ottokariani verlegt er jedoch den Ort
der Verhandlungen und Belehnung nicht auf die Donauinsel und in
das Lager Rudolfs bei Wien, sondern in die Herberge des Erzbischofs von Salz-
burg in der Stadt Wien.'" Dieses Werk entstand zwar erst im ersten Jahrzehnt
des 14. Jahrhunderts, doch birgt es unabhängig von den anderen Darstellungen
9 ScHNiTH, Art. »Chronicon Colmariense«, in: LexMa 2, Sp. 1953 verweist auf die annalistischen
Aufzeichnungen des unbekannten Dominikaners von 1266-1305 als Grundlage der Chronik.
10 Chronicon Colmariense a. 1218-1304, ed. Jaffe, in: MGH SS 17, S. 248f.
11 TREiCHLER, Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, S. 91; Ho-
ENsen, Premysl Otakar II. von Böhmen, S. 227.
12 Continuatio Vindobonensis, ed. Pertz, in: MGH SS 9, S. 708f.; vgl. zum Quellenwert die Einle-
itung des Herausgebers: ebd. S. 689f.
13 Zu Ottokar von Steiermark (Otacher ouz der Geul; geb. um 1260, gest. 1320) und der öster-
reichischen Reimchronik, vgl. Liebertz-Grün, Art. »Ottokar von Steiermark«, in: LexMa 6,
Sp. 1587; WEINACHT, Art. »Ottokar von Steiermark«, in: Verf.Lex., 2. Auf!., Bd. 7, S. 238-245,
EHOTSKY, Quellenkunde, S. 291; auf den Hintergrund Otachers/Ottokars Schreibintention, Le-
itmotiven und Quellen geht ein: KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung, S. 161-165.
14 Zur Unabhängigkeit, vgl. Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. Seemüller, Bd. 5/1, S. 194,
Anm. 7.
15 Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. Seemüller, Bd. 5/1, S. 194, V. 14662-14745, hier
V. 14660f.: in des/Usten /ier&erye, der dafz Saizpnrc vas Hsciio/f.
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Das Chronicon Colmariense kann als das zeitlich am nächsten entstandene
Geschichtswerk gelten* und berichtet über die unterschiedliche Kleidung von
Rudolf und Otakar bei ihrer Begegnung: Während der König von Böhmen in
prunkvollen Gewändern (ugsh'&MS &corafüs), einem übli-
chen Zeichen von hohem Rang und Ansehen, erschien, um die Regalien zu
empfangen, habe Rudolf ein graues Gewand getragen, das er sich eigens zu
diesem Zweck von seinem Notar ausgeliehen habe/" Während sich Otakar in
vollem Prunk zeigte, demonstrierte Rudolf offensichtlich seine Macht, indem
er in einem gewöhnlichen grauen Gewand und auf einem Schemel sitzend
den Akt der Belehnung vollzog. Dass im elsässischen Kolmar, im äußersten
Westen des Reiches, erstmalig in einem Geschichtswerk über diese Begeben-
heit berichtet wurde, die später weite Verbreitung fand, hängt wohl mit der
Nähe des Obereisass zum Stammgebiet der Habsburger zusammen. Das Wis-
sen über Geschehnisse an der Ostgrenze zu Mähren und Ungarn ist durch das
habsburgspezifische Prisma zu erklären, mit der der Kolmarer Chronist Er-
eignisse im Reich zugetragen bekam, aufnahm und akzentuierte. Dies kann
als antipremyslidische Polemik im Sinne der habsburgischen Dynastie und als
»nationales« Uberlegenheitsgefühl gegenüber einer anderssprachigen Volks-
gruppe, hier den Böhmen, gedeutet werden. Derart nationaltypisierende Ge-
schichtsdarstellung gab es auch verstärkt im elsässischen Raum/'
Auf den speziellen Gebrauch und die Wirkung der Kleidung hingegen geht
der gut informierte Wiener Autor der Continuatio Vindobonensis nicht ein,
der ge^en Ende des 13. Jahrhunderts bzw. spätestens 1303 den Bericht ver-
fasste. * Stattdessen erwähnt Ottokar von Steiermark (Otacher ouz der Geul)' '
den Kniefall Rudolfs, den auch die spätere Österreichische Reimchronik auf-
griff, ohne von der Passage der Continuatio Vindobonensis Kennhais gehabt
zu haben.'" Im Gegensatz zu den Annales Ottokariani verlegt er jedoch den Ort
der Verhandlungen und Belehnung nicht auf die Donauinsel und in
das Lager Rudolfs bei Wien, sondern in die Herberge des Erzbischofs von Salz-
burg in der Stadt Wien.'" Dieses Werk entstand zwar erst im ersten Jahrzehnt
des 14. Jahrhunderts, doch birgt es unabhängig von den anderen Darstellungen
9 ScHNiTH, Art. »Chronicon Colmariense«, in: LexMa 2, Sp. 1953 verweist auf die annalistischen
Aufzeichnungen des unbekannten Dominikaners von 1266-1305 als Grundlage der Chronik.
10 Chronicon Colmariense a. 1218-1304, ed. Jaffe, in: MGH SS 17, S. 248f.
11 TREiCHLER, Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, S. 91; Ho-
ENsen, Premysl Otakar II. von Böhmen, S. 227.
12 Continuatio Vindobonensis, ed. Pertz, in: MGH SS 9, S. 708f.; vgl. zum Quellenwert die Einle-
itung des Herausgebers: ebd. S. 689f.
13 Zu Ottokar von Steiermark (Otacher ouz der Geul; geb. um 1260, gest. 1320) und der öster-
reichischen Reimchronik, vgl. Liebertz-Grün, Art. »Ottokar von Steiermark«, in: LexMa 6,
Sp. 1587; WEINACHT, Art. »Ottokar von Steiermark«, in: Verf.Lex., 2. Auf!., Bd. 7, S. 238-245,
EHOTSKY, Quellenkunde, S. 291; auf den Hintergrund Otachers/Ottokars Schreibintention, Le-
itmotiven und Quellen geht ein: KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung, S. 161-165.
14 Zur Unabhängigkeit, vgl. Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. Seemüller, Bd. 5/1, S. 194,
Anm. 7.
15 Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. Seemüller, Bd. 5/1, S. 194, V. 14662-14745, hier
V. 14660f.: in des/Usten /ier&erye, der dafz Saizpnrc vas Hsciio/f.