Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schwedler, Gerald; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Herrschertreffen des Spätmittelalters: Formen, Rituale, Wirkungen — Mittelalter-Forschungen, Band 21: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34738#0316

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
312

Teil 1: Spätmittelalterliche Herrschertreffen

und Weise ausgeführt worden/' Im Lichte des Ringens um symbolische Präze-
denz kann man diese rituelle Überhöhung Karls V. durchaus als Reaktion auf
das Ansinnen Karls IV. werten, die Weihnachtsmesse in Quatre-Vaux auszu-
führen. Karl IV. wollte wohl den Weihnachtsdienst so gestalten, wie er ihn bis-
her auch vollzogen hatte. Dagegen war die liturgische Inszenierung des Got-
tesdienstes bei der Gabenbereitung durch Karl V. etwas völlig Neues ü Auch
wenn bei beiden Ritualen die Herrscher die Handlungen an hohen kirchlichen
Festtagen während des Gottesdienstes im Altarraum ausführten, so kann nicht
übersehen werden, dass in ähnlichem Kontext unterschiedliche symbolische
Aussagen gemacht wurden. Der kaiserliche Weihnachtsdienst weist zurück auf
den Streit zwischen dem Kaisertum und dem Papsttum, in dem beide Univer-
salität beanspruchten. Eine Ausrichtung gegen andere Königreiche oder gar
eine antifranzösische Note darf daher durchaus als »Überinterpretation« der
französischen Seite gedeutet werden. Dagegen war die augenscheinliche Aus-
sage der königlichen Aufführung in der Sainte-Chapelle die überhöhte Darstel-
lung des französischen Königs selbst und seiner unangefochtenen Präzedenz
in allen Belangen im Königreich. Dies wird dadurch unterstrichen, dass man
während der Messe und des folgenden Festmahls zwar auf die Sonderwün-
sche des Kaisers einging (Besuch der Reliquien vor der Messe, Ruhepausen
während des Tages), doch in den Situationen, bei denen die drei Monarchen
gleichzeitig auftraten, die Präzedenz des französischen Königs betont wurde.
Lediglich bei Kleinigkeiten wurde dem Kaiser der ehrenvolle Vorrang zuge-
standen. So wurde der Kaiser als erster bedacht, als es um die Spendung des
Weihwassers ging oder darum, ein Evangelienbuch zur Verfügung zu stellen,
um den gelesenen Text der Messe mitverfolgen zu könnend

Terrüorz'en zuH sym&oü'sc/ie Gesten
Sicherlich stand die Problematik der Erbfolge in Ungarn und Polen und damit
verknüpft die Vergabe der Vikariatsrechte an den Dauphin im Vordergrund
der politischen Verhandlungen. Anders als bisher in der Forschung angenom-

57 ÜRYNEN, L'Empire du roi, S. 345-383; BLOCH, Die wundertätigen Könige; VALOis, Le roi tres
chretien, S. 314-327.
58 Der hohe Grad an Formalisierung, der für sich allein stehende Handlungskern mit spezifi-
scher Aussage und der Kontext des liturgischen Gesamtablaufs weisen darauf hin. Die Tat-
sache, dass sich diese Formalisierung nicht traditionsbildend ausgewirkt hatte, tut der ein-
zelnen Handlung keinen Abbruch. Dazu demnächst: Gerald ScnwEDLER - Burckhard DücnER
(Hg.), Das Ursprüngliche und das Neue: Zur Dynamik ritueller Prozesse in Geschichte und
Gegenwart, im Druck; vgl. zur notwendigen Wiederholbarkeit MICHAELS, Dynamik von Ritu-
alkomplexen, S. 7.
59 Die Tendenz des »Nichtpräzedenzgewährens« der Grandes Chroniques führte sogar dazu,
dass sich der moderne Herausgeber Roland Delachenal verpflichtet fühlte, zu betonen, dass
die Gewährung des Weihwassers und des Evangeliums lediglich eine coMrtoisü gewesen sei
und keineswegs die preenu'nence des Kaisers belege: Chronique des regnes de Jean II et de
Charles y ed. Delachenal, Bd. 2, S. 233f., Anm. 4.
 
Annotationen