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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0014

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Der modernen Problematisierung von Gewalt kann sich auch der wissen-
schaftliche Blick kaum entziehen und überträgt diese Perspektive automa-
tisch auf das Objekt und den Zeitraum der Untersuchung. So beschrieb be-
reits Johan Huizinga das Spätmittelalter als „eine böse Welt. Das Feuer des
Hasses und der Gewalt lodert hoch empor, das Unrecht ist mächtig, der Teu-
fel bedeckt mit seinen schwarzen Fittichen eine düstere Erde."'" Auch heute
wird zumeist unbewusst ein moderner Wertemaßstab zu Grunde gelegt,
wenn mittelalterliche Kriege, Hinrichtungen oder Morde beiläufig als „grau-
sam" beschrieben werden."" Wir halten die Geschichte der Gewalt für einen
Prozess der zunehmenden staatlichen Kontrolle, der wachsenden individuel-
len Affektbeherrschung und Sozialdisziplinierung. Der mittelalterliche König
wird an diesem Anspruch gemessen und konnte das obrigkeitliche Gewalt-
monopol eben nodi nicht durchsetzen, die verbreitete Gewalt nodi nicht ein-
dämmen."2 Man könnte sogar noch weiter gehen und fragen, inwiefern die
Thematisierung von Gewalt nicht überhaupt ein aktuell-zeitgebundenes
Phänomen ist, das auf unserer besonderen Sensibilität beruht? Valentin Gro-
ebner reflektierte 2007, sein Interesse an (historischer) Gewalt entspringe dem
modernen Medienalltag, der uns tagein, tagaus mit Gewaltbildern konfron-
tiere, obwohl unser Alltag so friedlich wie nie zuvor sei.'" Dieser Behauptung
mag man (zumindest in europäischen Gesellschaften) nicht widersprechen,"""
doch führt der Rückgang der Gewalt womöglich zu umso größerer Empfind-
lichkeit: „Es ließe sich also formulieren", so Jan Philipp Reemtsma, „dass es
ein Ziel des Zivilisationsprozesses ist, uns alle immer leichter traumatisierbar
zu machen.""^
,Gewalt' ist jedoch auch ein mittelalterliches Thema: Schlägt man eine mit-
telalterliche Chronik oder ein literarisches Werk an beliebiger Stelle auf oder
betrachtet man eine zufällig ausgewählte Miniatur, so ist die Wahrschein-
lichkeit sehr hoch, auf die Beschreibung oder Darstellung von Gewalt zu
treffen."*" Insofern ist es nachvollziehbar, dass das Mittelalter auch in der his-

10 Huizinga, Herbst, S. 35. Zum Kontext von Huizingas Werk siehe Vale, Aristocratic Violence,
S.159-163.
11 So setzt etwa Henning Ritter in seinem „Versuch über die Grausamkeit" dieses Konzept
schlicht essentialistisch voraus: Ritter, Schreie. Vgl. auch Zimmermann, Gewalt, dessen Analy-
se der Gewalt in der Antike von Beginn an von „Schattenseiten" (S. 19) ausgeht. Hüppauf, Was
ist Krieg?, S. 12, sowie Kuchler, Kriege, S. 7f., stellten dagegen jüngst fest, die Untersuchung
von Gewalt (hier Krieg) dürfe nicht von moralischen Urteilen ausgehen.
12 Explizit etwa Sprandel: „Wie wir wissen, läuft die verfassungsgeschichtliche Entwicklung in
weiten Teilen Deutschlands um 1500 noch nicht auf den großflächigen Staat mit Gewaltmono-
pol zu." Sprandel, Die Legitimation, S. 55; ähnlich Angenendt, Toleranz, S. 37-42; Carroll,
Blood, S. 11; Wevelsiep, Sinnkriterien, S. 596.
10 Groebner, Schock, S. 72. Ähnlich auch Zimmermann, Gewalt, S. 17f., sowie Pawlak/Schank-
weiler, Ästhetik, S. 10.
11 Steven Pinker hat seine „neue Geschichte der Menschheit" jüngst dezidiert unter der Perspek-
tive einer konstanten Abnahme von Gewalt geschrieben: Pinker, Better angels; siehe ebenfalls
Reemtsma, Vertrauen, S. 259.
12 Reemtsma, Vertrauen, S. 136.
12 Kortüm, Kriege, S. 24f; Scharf, Reden, S. 65f.; Ellena, Temps, S. 78; DuBruck, Preface, S. X;
Porter, Warfare, S. 5f.; Hurel, Representation, S. 126-129.
 
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