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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0095

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1111 Voraussetzungen

Frage der Übersetzung: Kraft, Mut, Stärke? (vgl. S. 20-24). Unter der Tugend
der ybrtv, so Christine an anderer Stelle im gleichen Werk, sei keineswegs
körperliche Stärke zu verstehen, sondern vielmehr Willenskraft.^ Für ihre
Definition der Ritterlichkeit waren demnach charakterliche Eigenschaften
statt körperlicher Tatkraft relevant. Entsprechend gewichtete Christine den
persönlichen Kriegseinsatz des Königs neu: Der Fürst gehe nicht ohne Not
persönlich in die Schlacht, denn sein Tod würde auch seine Untertanen ins
Verderben stürzen.^
Für Christine schien es unverzichtbar, dass der König auch als ritterlich
galt. Unterstellt man ihrer Argumentation eine grundsätzliche Plausibilität,
muss der Begriff des Ritterlichen zu ihrer Zeit einigermaßen variabel gewesen
sein: Während Krieger selbst die Härten des Kampfes und damit die Not-
wendigkeit körperlicher Fitness betonten, gelang es Christine, das Ideal der
Ritterlichkeit auf eine rein moralisch-charakterliche Ebene zu verlagern. So
konnte der wegen seiner Weisheit gerühmte Karl V. auch ritterlich werden.
Den möglichen Vorwurf der Feigheit gegen den König nahm Christine
gleichwohl schon vorweg und entkräftete ihn: Karl habe in seiner Jugend auf
vielen Kriegszügen sein Können gezeigt, sei aber seit seiner Krönung durch
eine Krankheit körperlich geschwächt. Wahre Uieualene jedoch liege in der
Gesinnung, nicht in Waffentaten V
Der König war - nicht nur bei Christine - nicht mehr der erste und tapfers-
te unter den Kriegern, sondern stand über ihnen. Er war nicht nur für den
Frieden, sondern auch für die übergeordnete Gerechtigkeit zuständig,^ die
um die Jahrhundertwende in Bezug auf den König vor allem anhand der
königlichen Strafpraxis diskutiert wurde. Die Meinungen schwankten dabei
zwischen dem Ideal der Milde als traditioneller königlicher Tugend und der
Forderung nach der Härte des Gesetzes als behaupteter Notwendigkeit.^
Allerdings, so Claude Gauvard, habe das Königtum zumeist nur recht unbe-
deutende Täter zu fassen bekommen und diese dann exemplarisch bestraft.
Bedeutendere Adlige selbst seien aufgrund ihrer Machtstellung quasi unan-
tastbar gewesen. Die hohe Zahl an begnadigten Verbrechern unter Karl VI.
lässt sich demnach mit der schwachen Durchsetzungskraft der Monarchie
erklärend" Dies blieb auch den Zeitgenossen nicht verborgen und ab ca. 1400

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/orce de corgge. Christine de Pisan, Livre de la paix, S. 109 (11,16). Ähnlich: Juvenal des Ursins,
Ecrits, Bd. 1, S. 405 (Lo^Mgr in fribMigcione); Ddz morgMix, Eder, Tignonvillana inedita, S. 970;
Giovanni da Legnano, Tractatus de Bello, S. 98 (Kap. 21).
i5 Christine de Pisan, Livre des fais, Bd. 1, S. 115 (11,2). Eine ähnliche Konzeption des Königs als
Verkörperung wichtiger Tugenden findet sich bei Eustache Deschamps, vgl. Lassabatere,
Theorie, S. 43-45.
i? Christine de Pisan, Livre des fais, Bd. 1, S. 131-133 (11,10).
i5 Siehe dazu Le Ninan/Reno, Charles V; Kintzinger, Westbindungen, S. 348-359; Krynen, Ideal,
S. 184-199.
i9 Siehe z. B. die Diskussionen um die Strafen für den Herzog der Bretagne (1388) oder den Gra-
fen von Perigord (1398), Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 508-510; Bd. 2, S. 648.
70 Gauvard, Pardonner, bes. S. 44; Gauvard, Entre justice, bes. S. 310; Gauvard, Gräce et execu-
tion; Gauvard, Humanistes, bes. S. 224 und 229f. Eine Tabelle zur Häufigkeit von Begnadigun-
gen findet sich bei Gauvard, Grace especial, S. 65.
 
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