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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0221

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220

IVI Problematisierungen

legitimiert und eventuelle Morde bereits im Voraus begnadigt.^ Diese Bei-
spiele zeigen, wie gering die Reichweite und Wirkmacht königlicher Erlasse
sein konnte. Beide Parteien instrumentalisierten den König für ihre Zwecke,
sobald sie in Paris Zugriff auf ihn erlangten und widersetzen sich seinen An-
ordnungen mit dem Hinweis, er werde schlecht beraten, sobald die Gegen-
partei am Hof die Oberhand hatte.
Die massiven Truppenaushebungen gehörten aus Sicht der Parteien einerseits
zum politischen Drohpotential und sollten andererseits den Zugriff auf die
finanziellen und legitimatorischen Ressourcen der Hauptstadt sichern.
Gleichzeitig bewirkten sie unkontrollierte Plünderungen vor allem im Umfeld
von Paris, angesichts derer jeder obrigkeitliche Schutz versagte. Stattdessen
sicherte man der Bevölkerung Straffreiheit zu, wenn sie sich eigenhändig
gegen Plünderer zu Wehr setzte, und nahm so vermehrte Gewaltausübung in
Kauf.
In seinem Bericht über die Beratungen des Parlament im November 1410
zeichnete Nicolas de Baye ein düsteres Panorama der verschiedenen Grup-
pen, die gleichzeitig das Land durch ihre Gewalttaten verheeren und die Si-
cherheit der Wege gefährden würden: Sowohl Krieger (besser Diebe und
Plünderer genannt, so Nicolas), als auch Briganten, die sich zusammen-
geschlossen hätten, um sich gegen Plünderer zu wehren, und schließlich ge-
wöhnliche Diebe und Wegelagerer.^? So wenig die verschiedenen Verbote die
Zahl der Söldner verringerten, so wenig verbesserte das der Bevölkerung
zugestandene Widerstandsrecht die Situation: Aus Gewalt und rächender
Gegengewalt wurde vielmehr ein sich perpetuierender Kreislauf
Die Obrigkeit war jenseits der sorgenvollen Blicke einiger Amtsträger, die
sich für das Wohl des Reichs verantwortlich fühlten, durch die Regierungsun-
fähigkeit des Königs paralysiert. Zwar wurden immer wieder Strafexpeditio-
nen gegen einzelne Gruppen gesandt oder einzelne Anführer von Söldner-
truppen öffentlich hingerichtet: Die wiederholte Erneuerung der restriktiven
Ordonnanzen aber zeigt eindrücklich ihre Wirkungslosigkeit.^ Der Ausfall
des Königs als allgemein akzeptierte Entscheidungs- und Schlichtungsinstanz
hinterließ ein Machtvakuum, um das die Partien gewaltsam stritten. Die adli-
gen Führungspersonen waren dabei um Rechtfertigungen ihres Tuns nicht

Tcxisscs U corMW discMrsioMcs ahcMdisscs, hdMEsscs MfäyMc; proc dolor.' dogoMonrns gd-
No! mdicd! prodaio rogMMW Ebd., Bd. 4, S. 336-338.
476 Ebd., Bd. 4, S. 386-388.
477 Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 1, S. 338, Textzitat auf S. 97, Anm. 37.
478 So etwa Christine de Pisan, Livre de la paix, S. 93 (11,4). Zum Prinzip der Gegengewalt siehe S.
217, Anm. 460.
479 Strafexpeditionen und Hinrichtungen: Juvenal des Ursins, Histoire, S. 455f.; Chronique du
Religieux, Bd. 4, S. 402-406; Bd. 6, S. 136; Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 57 und 133f.; Bd. 4,
S. 179f. Weitere Verbote in den Folgejahren: Ordonnances, Bd. 10, S. 146f. (Karl VI., 1413)
und 159f. (Karl VI., 1413); Monstrelet, Chronique, Bd. 2, S. 114; Bd. 3, S. 406; Journal d un Bour-
geois, S. 67 (§76) und 72 (§88); Chronique du Religieux, Bd. 4, S. 466-468 und 506; Bd. 5, S. 326;
Juvenal des Ursins, Histoire, S. 470. Erneuerung des Widerstandsrechts: Chronique du Reli-
gieux, Bd. 4, S. 462.
 
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