Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
21 Formen kollektiver Gewalt

235

wollte man ihn dem schlechten Einfluss seiner Entourage entziehen, die Pin-
toin zufolge den Dauphin unter ihrer Kontrolle halten wollte.^ Nicolas de
Baye dagegen notierte nüchterner, dass man von den königlichen Amtsträ-
gern vor allem Rechenschaft über ihre Taten und die Finanzen Verwaltung
verlangte/4 Ludwig betonte, er habe keine Verräter in seiner Umgebung und
wenn doch, dann würden sie bestraft werden. Darauf reagierte die Menge mit
dem Verlesen einer Liste von ca. 50 ,Verrätern', darunter Herzog Eduard III.
von Bar (ein Cousin des Königs), der Kanzler des Dauphins Jean de Vailly,
sein Kammerherr Jacques de la Riviere und andere. Für den Dauphin war
dies ein Affront und er zog sich zurück, was der Menge als Signal gegolten
haben muss, nun selbst tätig zu werden: Sie stürmte den Palast des Dauphins,
nahm die namhaften ,Verräter' (darunter später auch der verhasste frühere
Preudi Pierre des Essarts, den man für die finanzielle Misswirtschaft verant-
wortlich machte) fest und sperrte sie ins Gefängnis.^ Eine Maßnahme, die
man sich danach alsbald vom König als „für die gute Regierung und das All-
gemeinwohl notwendig"^ verbriefen ließ.
Zwischen April und Juli 1413 rangen nun die Cahodüens, der Herzog von
Burgund sowie der Dauphin und seine Umgebung um die Handlungshoheit
in Paris: Man beriet, stritt und diskutierte. Die Burgunder versuchten, mit der
Reformordonnanz vom 26. Mai ihren Einfluss durchzusetzen.^ Deren Be-
stimmungen aber stellten die radikalisierten Ca&oc/nois nicht zufrieden, so
dass sie schließlich erneut eigenmächtig handelten: Im Juni und Juli wurden
mehrere Vertraute des Dauphins sowie Pierre des Essarts öffentlich als Verrä-
ter hingerichtet, das heißt sie wurden enthauptet und ihr Körper dann ge-
hängt. In den Augen der Cahodüens erhielten sie damit ihre gerechte Strafe.^
Gleichzeitig wurde der Dauphin gedrängt, sich mit diesem Vorgehen einver-

73 Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 18-20. In der Darstellung Pintoins vermischen sich politische,
moralische und medizinische Argumente: Die Berater des Dauphins und auch seine Mutter
hätten durch Ablenkungen darauf gezielt, ihn unmündig und beeinflussbar zu halten. Sein
schlechter Lebenswandel (MOCfMr?MS cf N&wnü's uigiÜHs) aber gefährde seine Gesundheit. Der
Verweis auf die Krankheit Karls VI. macht hier den gedachten Zusammenhang zwischen ge-
lebter Tugendhaftigkeit und körperlich-geistiger Gesundheit deutlich. Unter der Krankheit
Karls VI. aber, so kann man das Argument weiterführen, litt aber das ganze Reich, weswegen
der König/Dauphin zu einem moralisch einwandfreien Verhalten verpflichtet sei. Siehe dazu
Guenee, Folie, S. 129-145; Autrand, Charles VI, S. 518-523.
74 Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 108f. und U2f.
73 Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 22; Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 109.
73 J... J MCCCSSHÜCS pOMr 1c FüM gOMUCrMCWCMf, ÜUCOM & dcfj&MSC & MOSÜcdÜ Rül/HMWC, & F? cFüSC pMFF'^MC
dlcdlM; f...] Ordonnanz vom 24. Mai: Ordonnances, Bd. 10, S. 68-70, hier 68f. (Karl VI., 1413).
77 Ordonnances, Bd. 10, 70-141, hier 136-138 (Karl VI., 1413). Siehe dazu auch Schnerb, Armag-
nacs, S. 178-182; Coville, Les cabochiens; S. 288-293, Edition der Ordonnanz: ebd., S. 419-429.
Die Bezeichnung als ordoMMHMCC caFocFicMMC ist insofern irreführend, da die Ordonnanz von den
CaFocFicMS als ungenügend zurückgewiesen wurde, Schnerb, Armagnacs, S. 180.
73 Chronique normande de Pierre Cochon, S. 265f. (mit falscher Datierung); Juvenal des Ursins,
Histoire, S. 484f.; Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 58 und 76; Journal d un Bourgeois, S. 59-61
(§66-69); Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 116; Monstrelet, Chronique, Bd. 2,
S.371-373.
 
Annotationen