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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0378

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21 Körper und Körperlichkeit

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sehen von Kopf bis Fuß mit Krankheit, Wunden und Geschwüren gestraft
werden. Trotzdem bezeichnete Wilhelm das Massaker explizit als ^gerechtes
Urteil Gottes', so dass seine Kritik an dem Massaker sich vermutlich nur auf
den Anblick blutbefleckter Christen bezog.
Pintoin übernahm zwar den Wortlaut von Wilhelms Schilderung, nicht
aber dessen Tendenz: Während das muslimische Blut 1099 bei Wilhelm die
heiligen Stätten reinigen sollte (indem die Christen als Sühne die Entweiher
töteten), verschmutzte das christliche Blut 1396 den Ort ihrer Hinrichtung
(sangnmc ocdsonim locus pollMcrcfMr MmoersMs). Gereinigt wurden bei Pintoin
dagegen die Christen von ihren Sünden, da sie auf Gott vertrauend für ihren
Glauben starben/^ Als Beleg ihres gottgefälligen Martyriums führt Pintoin an,
dass ihre unbeerdigten Leichen 13 Monate lang kein Zeichen von Verwesung
zeigten und die wilden Tiere nicht die Christen, sondern die beerdigten Mus-
lime fraßen.^
Es waren wohl vor allem die drastischen Worte, die Pintoin reizten, diese
Passage aus der Chronik Wilhelms von Tyrus zu übernehmen. Aufgrund der
unterschiedlichen inhaltlichen Bewertung der beiden Darstellungen darf be-
zweifelt werden, dass Pintoin mit seiner Schilderung des Massakers von Ni-
kopolis 1396 inhaltlich auf dasjenige beinahe 300 Jahre früher in Jerusalem
anspielen wollte. Die Aussage des Sultans, es sei der Rache genug getan, be-
zog sich denn auch keineswegs auf Jerusalem anno 1099, wie man angesichts
der engen textuellen Bezüge meinen könnte, sondern auf das Massaker, das
die Christen an der muslimischen Bevölkerung von Rachova kurz vor der
Schacht von Nikopoiis verübt hatten/o Pintoin bietet also eine wörtlich auf
Wilhelm von Tyrus beruhende, inhaltlich aber unabhängige Darstellung tür-
kisch-osmanischer Grausamkeit. Das Sterben der Christen konnte wegen der
religiösen Differenz in einer Drastik beschrieben werden, die bei innerchristli-
chen Kämpfen stets vermieden wurde - die Verantwortung dafür lag nun bei
den Muslimen, die in Pintoins Schilderung durch das Massaker an den christ-
lichen Gefangen einmal mehr ihre kulturelle Inferiorität bewiesen/' Die große
Menge Blut dient dabei als Beleg der muslimischen Grausamkeit: Es befleckte
sie und es verschmutzte den Boden. Für die Christen jedoch bedeutete ihr
Blutmartyrium die Reinigung von ihren Sünden. Wegen dieser Erzählabsicht
war es im Koordinatensystem spätmittelalterlicher Narrative geradezu lo-
gisch, dass Pintoin auf eine Beschreibung der Wunden der tausenden toten
Christen verzichtete.
Kehren wir nach diesem Exkurs auf die Pariser Massaker im Jahr 1418 zu-

78 Nee uox aha m ore s;'Mg;dorMM resowahai, ms; miserere me;', Chn'sfe, dMM spin'fMM Mih'mMm exaiare?d.
Sie deuofe oeeMmhere mere grade De; asen'NmMS, ^M; perm;'h;l/;7;'os/!ageEar;', ^Mos ree;'p;'eMdos digwos
dMx;l. Lfrnie speramiMM woNs esf, ^M;'e^M;d, hMmana propn'a wäpdfafe SMgereMh'-
?ws, m ;'psMM eommiseraMi, saMgMwe proprio expiarMMf, s;'e in cop/essione oheMMfes. Chronique
du Religieux, Bd. 2, S. 518.
79 Ebd., Bd. 2, S. 518-520.
80 Siehe Ebd., Bd. 2, S. 516; die Schilderung des Massakaers in Rachova selbst siehe ebd., S. 492-
494.
8' Knapp dazu Prietzel, Tod, S. 76f.
 
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