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Monatshefte für Kunstwissenschaft
pose nicht hinwegtäuschen, ein wohlgestellter
Enkel jener van Dyckschen Prinzen, die leicht-
blütiger und selbstbewußter ansprechen als
dieser junge englische Master Jonathan Buttall.
Sucht man aber in diesem Kreise nach einer
stärkeren Künstlerindividualität, die alle übrigen
um Haupteslänge überragt, so fällt der Blick
auf den einzigen Reynolds. Dieses Meisters
Menschen haben das meiste Eigenleben und
auf Bildern wie dem Porträt des Marquess of
Grauby erkennt man mit Überraschung, wie fein
sich die tonige Landschaft des Hintergrundes —
bei den übrigen ist sie nie mehr als Kulisse —
als selbständiger und unentbehrlicher Bildfaktor
der Gesamtkomposition einfügt. Auch der als
Cupido gekennzeichnete Gassenjunge „the link
boy" muß als charakteristisch für Reynolds ur-
sprünglichere Art hervorgehoben werden.
Ebenso ist die Nelly O'Brien aus dem Besitz
von Charles Wertheimer das, was man selbst
nach unseren heutigen gesteigerten Ansprüchen
als ein gutes Porträt bezeichnen darf. Tritt in
Reynolds das Germanische stärker zutage, so
möchte man Gainsborough fast fransösisch
nennen, ein echtes Kind des Rokoko. Ihm
stehen auch Hoppner und Romney näher als
der Schotte Raeburn, den wesensverwandte
Züge enger mit Reynolds — um nicht zu sagen
mit Velasquez — zu verbinden scheinen. Das
Bildnis seiner Gattin ist eins der besten
Porträts dieser ganzen Ausstellung. Lawrence
endlich, der geschickteste vielleicht unter allen,
dessen Ideal ganz auf holdselige Lieblichkeit
hinausläuft, hat sich in seiner Miß Farren ein
unsterbliches Denkmal gesetzt — aber ist diese
Miß Farren nicht ebenso lieblich wie geistig
unbedeutend, die Vorläuferin jenes hohlen
Schönheitsideals, das die Menge heute noch bei
Fritz August von Kaulbach zu bewundern liebt.
Hat überhaupt Old England, das in dieser Aus-
stellung vor uns hintritt, das besessen, was
man wirkliche Höhenkunst nennen könnte, und
liegen in diesen Werken in der Tat Werte
verborgen, die fruchtbringend auf die Moderne
wirken könnten? Beides muß verneint werden.
Die beste Erkenntnis, die diese 27 Reynolds,
19 Gainsboroughs, 9 Hoppners, 8 Raeburns,
10 Romneys, 6 Lawrences vermitteln können,
ist die, daß wir glücklich sein dürfen, diese in-
teressante Veranstaltung nicht schon fünfzehn
Jahre früher erlebt zu haben. Heute fühlen
wir uns stark genug, den historischen Abstand
richtig zu bewerten und unsere eigenen Bahnen
unbeeinflußt von Old England weiterzugehen.
Ein Moderner freilich ist auch unter diesen
Alten, John Constable, der Landschafter. Über
ihn wäre ein eigenes Kapitel wohl am Platze.
Die wenigen Zeugnisse seiner Kunst, die unsere
Ausstellung beherbergt, lassen indes das Starke
und Eigene seiner Begabung mehr ahnen, denn
deutlich umreißen. B.
Personalveränderungen an den Museen. Am
Kunstgewerbemuseum tritt Geheimrat Lessing
von der Leitung zurück. Seit 1882 Direktor
des Museums, hat er die Sammlungen aus klei-
nen privaten Anfängen zu der Bedeutung ge-
führt, die sie heute, als eines der ersten Museen
der Welt für altes Kunstgewerbe, besitzen. Die
wesentlichsten Bereicherungen der Sammlung
in der Frühzeit waren der Ankauf des Lüne-
burger Ratssilbers 1874 durch Lessing und die
Einverleibung der entsprechenden Teile der
Königlichen Kunstkammer 1875. Seitdem wur-
den die Sammlungen systematisch ausgebaut
und nach beiden Richtungen hin organisiert,
nach der historischen und nach der technologi-
schen Ordnung, und bis zur Gegenwart fort-
geführt; da denn auch die neueren Richtungen
des Kunstgewerbes durch Ankäufe auf der
Pariser Weltausstellung 1900 durch Lessing
Berücksichtigung fanden. Als Hauptwerk seines
Lebens aber betrachtete er die alle Länder und
Zeiten umfassende Gewebesammlung, die von
Anfang an im Museum organisiert wurde, der-
gestalt, daß jetzt für die gesamte Textil-
kunst hier eine Zentralstelle geschaffen ist.
Seit etwa 1898 wurde mit der Publikation dieses
Materials in musterhaften farbigen Reproduk-
tionen begonnen. Die Erledigung dieses großen
Werkes hat sich Lessing vorbehalten, so daß
er auch noch fernerhin mit dem Museum in
Berührung bleibt.
Sein Nachfolger wird Otto von Falke
(am 1. April dieses Jahres), der bisherige Leiter
des Kölner Kunstgewerbemuseums, der von
1887—1894 Assistent unter Lessing war. Seine
Bedeutung beruht neben der Neuorganisation
des Kölner Museums auf einigen vorzüglichen
Büchern: dem Handbuch der Majolika (1895 und
1907), den Deutschen Schmelzwerken des Mittel-
alters (1904) und dem mittelalterlichen Teil der
großen Illustrierten Geschichte des Kunst-
gewerbes (M. Oldenbourg, I. Bd., 1907).
Auch das Kupferstichkabinett wechselt zum
1. Juli die Leitung. Max Lehrs geht wieder
ans Kupferstichkabinett nach Dresden znrück,
und zu seinem Nachfolger ist kürzlich Max
Friedländer ernannt worden, der bisherige
zweite Direktor des Kaiser Friedrich-Museums.
Als Direktor des prähistorischen Museums
ist ferner Professor Schuch hardt aus Hannover,
bisher Direktor des Kestner-Museums, zum
1. April berufen worden; zugleich soll er die
Monatshefte für Kunstwissenschaft
pose nicht hinwegtäuschen, ein wohlgestellter
Enkel jener van Dyckschen Prinzen, die leicht-
blütiger und selbstbewußter ansprechen als
dieser junge englische Master Jonathan Buttall.
Sucht man aber in diesem Kreise nach einer
stärkeren Künstlerindividualität, die alle übrigen
um Haupteslänge überragt, so fällt der Blick
auf den einzigen Reynolds. Dieses Meisters
Menschen haben das meiste Eigenleben und
auf Bildern wie dem Porträt des Marquess of
Grauby erkennt man mit Überraschung, wie fein
sich die tonige Landschaft des Hintergrundes —
bei den übrigen ist sie nie mehr als Kulisse —
als selbständiger und unentbehrlicher Bildfaktor
der Gesamtkomposition einfügt. Auch der als
Cupido gekennzeichnete Gassenjunge „the link
boy" muß als charakteristisch für Reynolds ur-
sprünglichere Art hervorgehoben werden.
Ebenso ist die Nelly O'Brien aus dem Besitz
von Charles Wertheimer das, was man selbst
nach unseren heutigen gesteigerten Ansprüchen
als ein gutes Porträt bezeichnen darf. Tritt in
Reynolds das Germanische stärker zutage, so
möchte man Gainsborough fast fransösisch
nennen, ein echtes Kind des Rokoko. Ihm
stehen auch Hoppner und Romney näher als
der Schotte Raeburn, den wesensverwandte
Züge enger mit Reynolds — um nicht zu sagen
mit Velasquez — zu verbinden scheinen. Das
Bildnis seiner Gattin ist eins der besten
Porträts dieser ganzen Ausstellung. Lawrence
endlich, der geschickteste vielleicht unter allen,
dessen Ideal ganz auf holdselige Lieblichkeit
hinausläuft, hat sich in seiner Miß Farren ein
unsterbliches Denkmal gesetzt — aber ist diese
Miß Farren nicht ebenso lieblich wie geistig
unbedeutend, die Vorläuferin jenes hohlen
Schönheitsideals, das die Menge heute noch bei
Fritz August von Kaulbach zu bewundern liebt.
Hat überhaupt Old England, das in dieser Aus-
stellung vor uns hintritt, das besessen, was
man wirkliche Höhenkunst nennen könnte, und
liegen in diesen Werken in der Tat Werte
verborgen, die fruchtbringend auf die Moderne
wirken könnten? Beides muß verneint werden.
Die beste Erkenntnis, die diese 27 Reynolds,
19 Gainsboroughs, 9 Hoppners, 8 Raeburns,
10 Romneys, 6 Lawrences vermitteln können,
ist die, daß wir glücklich sein dürfen, diese in-
teressante Veranstaltung nicht schon fünfzehn
Jahre früher erlebt zu haben. Heute fühlen
wir uns stark genug, den historischen Abstand
richtig zu bewerten und unsere eigenen Bahnen
unbeeinflußt von Old England weiterzugehen.
Ein Moderner freilich ist auch unter diesen
Alten, John Constable, der Landschafter. Über
ihn wäre ein eigenes Kapitel wohl am Platze.
Die wenigen Zeugnisse seiner Kunst, die unsere
Ausstellung beherbergt, lassen indes das Starke
und Eigene seiner Begabung mehr ahnen, denn
deutlich umreißen. B.
Personalveränderungen an den Museen. Am
Kunstgewerbemuseum tritt Geheimrat Lessing
von der Leitung zurück. Seit 1882 Direktor
des Museums, hat er die Sammlungen aus klei-
nen privaten Anfängen zu der Bedeutung ge-
führt, die sie heute, als eines der ersten Museen
der Welt für altes Kunstgewerbe, besitzen. Die
wesentlichsten Bereicherungen der Sammlung
in der Frühzeit waren der Ankauf des Lüne-
burger Ratssilbers 1874 durch Lessing und die
Einverleibung der entsprechenden Teile der
Königlichen Kunstkammer 1875. Seitdem wur-
den die Sammlungen systematisch ausgebaut
und nach beiden Richtungen hin organisiert,
nach der historischen und nach der technologi-
schen Ordnung, und bis zur Gegenwart fort-
geführt; da denn auch die neueren Richtungen
des Kunstgewerbes durch Ankäufe auf der
Pariser Weltausstellung 1900 durch Lessing
Berücksichtigung fanden. Als Hauptwerk seines
Lebens aber betrachtete er die alle Länder und
Zeiten umfassende Gewebesammlung, die von
Anfang an im Museum organisiert wurde, der-
gestalt, daß jetzt für die gesamte Textil-
kunst hier eine Zentralstelle geschaffen ist.
Seit etwa 1898 wurde mit der Publikation dieses
Materials in musterhaften farbigen Reproduk-
tionen begonnen. Die Erledigung dieses großen
Werkes hat sich Lessing vorbehalten, so daß
er auch noch fernerhin mit dem Museum in
Berührung bleibt.
Sein Nachfolger wird Otto von Falke
(am 1. April dieses Jahres), der bisherige Leiter
des Kölner Kunstgewerbemuseums, der von
1887—1894 Assistent unter Lessing war. Seine
Bedeutung beruht neben der Neuorganisation
des Kölner Museums auf einigen vorzüglichen
Büchern: dem Handbuch der Majolika (1895 und
1907), den Deutschen Schmelzwerken des Mittel-
alters (1904) und dem mittelalterlichen Teil der
großen Illustrierten Geschichte des Kunst-
gewerbes (M. Oldenbourg, I. Bd., 1907).
Auch das Kupferstichkabinett wechselt zum
1. Juli die Leitung. Max Lehrs geht wieder
ans Kupferstichkabinett nach Dresden znrück,
und zu seinem Nachfolger ist kürzlich Max
Friedländer ernannt worden, der bisherige
zweite Direktor des Kaiser Friedrich-Museums.
Als Direktor des prähistorischen Museums
ist ferner Professor Schuch hardt aus Hannover,
bisher Direktor des Kestner-Museums, zum
1. April berufen worden; zugleich soll er die