70 Monatshefte für Kunstwissenschaft
Kultur sich entwickeln, die auf weiterer Grund-
lage ruht und der deshalb in der Zukunft der
Sieg gehören muß. Sachsen aber leistet dann
als erster der deutsclien Staaten etwas, worauf
die Entwicklung in nicht allzu großer Ferne
sicherlich hindrängt: es übt eine einheitliche
Kunstpflege aus und gibt dem Lande eine ge-
schlossene künstlerische Kultur". Wirklich?
Uns will das doch etwas zu viel gefolgert er-
scheinen. Der Gedanke von der fruchtbringenden
Durchdringung von Altem und Neuem ist na-
türlich ohne reaktionären Beigeschmack zu ver-
stehen. Kötschau denkt gewiß nicht an eine
Abhängigkeit der neuen von der alten Kunst
und glaubt auch nicht, daß eine eklektische
Kunst der Rückgriffe auf die historischen Stile
der endlich lebenskräftig gewordenen modernen
Bewegung in Kunst und Gewerbe dienen kann.
Zeigt in eueren Sammlungen, daß ihr die
Kunstwerke als solche zu schätzen wißt, gleich-
viel aus welcher Zeit sie sind, lehrt das Volk
und die Künstler den Respekt vor den Schätzen,
nicht nur wenn sie alt, sondern wenn sie gut
sind — bringt ihr das in euren Sammlungen
eindrucksvoll zustande, dann ist es gut und für
unsere Kultur wahrlich genug. Denn so erziehen
wir uns die Schätzer, Kenner und die anspruchs-
vollen Käufer der Kunst, die wir dringend
brauchen. Im übrigen aber laßt die Modernen
sich eigne Maßstäbe suchen und macht sie nicht
immer mit dem Beispiel der alten mundtot.
Gewiss ist alte Kunst voller Weisheit, voll ge-
heimer Lehre. Sie ist ein Mittel der Geschmacks-
bildung und eine feine Stimmgabel — und nur
in diesem Sinne ein Vorbild für unsere moderne
Kunst!
Der neuen Kunst möchten wir alle und
jede Freiheit der Anregung, der Entwicklung
lassen. Das Institut aber, das sich in der Zen-
tralstelle für sächsisches Kunstgewerbe
in Dresden gebildet hat, heraus aus den Er-
fahrungen der Dresdner Kunstgewerbe-Aus-
stellung und den Bedürfnissen der Zeit ge-
horchend, schiene uns mit seiner beweglichen
Organisation sehr wohl geeignet, der Kunst
Ziel und Richtung innerhalb der modernen In-
dustrie und des Gewerbes zu weisen und der er-
strebten allgemeinen Kunstkultur vorzuarbeiten,
— wenn es nur erst recht in Betrieb kommen
wollte !
So haben die Erörterungen der Fragen, die
an eine etwaige Änderung in der sächsischen
Generaldirektion geknüpft werden, schon Per-
spektiven aufgesucht, an die zunächst kaum ge-
dacht wurde. Wurzelt der Regierungsvorschlag,
der diese Erörterungen hervorgerufen hat, in
der richtigen Erkenntnis, daß es gut sei, den
einen vortragenden Rat der Generaldirektion zu
entlasten, dem außer den Kunstsammlungen zur
Zeit auch die naturwissenschaftlichen Samm-
lungen und die Bibliothek unterstehen, so wird
man gut tun, Kunst und Gewerbe fein bei ein-
ander zu lassen, wohl aber die naturwissen-
schaftlichen Sammlungen abzutrennen, wie das
auch von Kötschau recht einleuchtend dargelegt
worden ist. Das wäre logisch und wäre prak-
tisch, und ist das zunächst Wichtige.
FRANKFURT a. M. =======
Die Boeh1e- Ausste11ung im
Staedel'schen Kunst-Institut.1) In den
Ausstellungsräumen des Staedel'schen Kunst-
Instituts befindet sich seit 4 Wochen eine Aus-
stellung von Gemälden von Fritz Boehle. In
den intimen Kabinetten und Gängen hängen
25—30 Bilder des jungen Künstlers, die im wesent-
lichen einen neuen Begriff von seiner Schaffens-
art geben. Die Mehrzahl der ausgestellten Bilder
ist ein Produkt letzter Zeit, nur einige — teils
aus Privatbesitz — vertreten des Künstlers
früheres Können und charakterisieren nur um
so stärker seine heutige andere Art. Um in
der Verschiedenartigkeit des ausgestellten Reich-
tums Überblick zu gewinnen, will ich zunächst
die Porträts aussondern. Das früheste von 1894
zeigt den Künstler schon auf einer sicheren Höhe
seines Schaffens, namentlich hinsichtlich der Ge-
samterfassung des dargestellten jungen Mannes.
Aber wenn hier noch ein Kleben des Kopfes
auf dem grünen Untergrunde auszusetzen wäre,
so zeigt das Bildnis des Kammersängers Perron
aus dem Jahre 1906, zu welch großer Form der
Künstler sich durchgearbeitet hat. Seine Be-
schäftigung mit der Plastik gewinnt einen un-
erbittlichen Einfluß auf seine Malkunst, so daß
die Gesichtszüge des dargestellten Menschen in
flächiger Klarheit sich zusammenfügen, ohne daß
sein Pinsel an eigentlich malerischer Qualität
einbüßt. Diesen beiden Porträts schließen sich
noch drei weitere an, unter denen hauptsächlich
das eines jungen Bauern (Bruder des Künstlers)
herrorgehoben zu werden verdient.
Eine zweite Gruppe bilden die religiösen Dar-
stellungen. Fast unvergeßlich in den verschie-
denen Nuancen des dargestellten Schmerzes er-
9 Dem Programm der Monatshefte entsprechend soll
die moderne Kunst nur in Ausnahmefällen ausführ-
licher behandelt werden. Eine Erscheinung wie der Frank-
furter Meister Fritz Boehle rechtfertigt indes diese Aus-
nahme vollauf. Die Red.
Kultur sich entwickeln, die auf weiterer Grund-
lage ruht und der deshalb in der Zukunft der
Sieg gehören muß. Sachsen aber leistet dann
als erster der deutsclien Staaten etwas, worauf
die Entwicklung in nicht allzu großer Ferne
sicherlich hindrängt: es übt eine einheitliche
Kunstpflege aus und gibt dem Lande eine ge-
schlossene künstlerische Kultur". Wirklich?
Uns will das doch etwas zu viel gefolgert er-
scheinen. Der Gedanke von der fruchtbringenden
Durchdringung von Altem und Neuem ist na-
türlich ohne reaktionären Beigeschmack zu ver-
stehen. Kötschau denkt gewiß nicht an eine
Abhängigkeit der neuen von der alten Kunst
und glaubt auch nicht, daß eine eklektische
Kunst der Rückgriffe auf die historischen Stile
der endlich lebenskräftig gewordenen modernen
Bewegung in Kunst und Gewerbe dienen kann.
Zeigt in eueren Sammlungen, daß ihr die
Kunstwerke als solche zu schätzen wißt, gleich-
viel aus welcher Zeit sie sind, lehrt das Volk
und die Künstler den Respekt vor den Schätzen,
nicht nur wenn sie alt, sondern wenn sie gut
sind — bringt ihr das in euren Sammlungen
eindrucksvoll zustande, dann ist es gut und für
unsere Kultur wahrlich genug. Denn so erziehen
wir uns die Schätzer, Kenner und die anspruchs-
vollen Käufer der Kunst, die wir dringend
brauchen. Im übrigen aber laßt die Modernen
sich eigne Maßstäbe suchen und macht sie nicht
immer mit dem Beispiel der alten mundtot.
Gewiss ist alte Kunst voller Weisheit, voll ge-
heimer Lehre. Sie ist ein Mittel der Geschmacks-
bildung und eine feine Stimmgabel — und nur
in diesem Sinne ein Vorbild für unsere moderne
Kunst!
Der neuen Kunst möchten wir alle und
jede Freiheit der Anregung, der Entwicklung
lassen. Das Institut aber, das sich in der Zen-
tralstelle für sächsisches Kunstgewerbe
in Dresden gebildet hat, heraus aus den Er-
fahrungen der Dresdner Kunstgewerbe-Aus-
stellung und den Bedürfnissen der Zeit ge-
horchend, schiene uns mit seiner beweglichen
Organisation sehr wohl geeignet, der Kunst
Ziel und Richtung innerhalb der modernen In-
dustrie und des Gewerbes zu weisen und der er-
strebten allgemeinen Kunstkultur vorzuarbeiten,
— wenn es nur erst recht in Betrieb kommen
wollte !
So haben die Erörterungen der Fragen, die
an eine etwaige Änderung in der sächsischen
Generaldirektion geknüpft werden, schon Per-
spektiven aufgesucht, an die zunächst kaum ge-
dacht wurde. Wurzelt der Regierungsvorschlag,
der diese Erörterungen hervorgerufen hat, in
der richtigen Erkenntnis, daß es gut sei, den
einen vortragenden Rat der Generaldirektion zu
entlasten, dem außer den Kunstsammlungen zur
Zeit auch die naturwissenschaftlichen Samm-
lungen und die Bibliothek unterstehen, so wird
man gut tun, Kunst und Gewerbe fein bei ein-
ander zu lassen, wohl aber die naturwissen-
schaftlichen Sammlungen abzutrennen, wie das
auch von Kötschau recht einleuchtend dargelegt
worden ist. Das wäre logisch und wäre prak-
tisch, und ist das zunächst Wichtige.
FRANKFURT a. M. =======
Die Boeh1e- Ausste11ung im
Staedel'schen Kunst-Institut.1) In den
Ausstellungsräumen des Staedel'schen Kunst-
Instituts befindet sich seit 4 Wochen eine Aus-
stellung von Gemälden von Fritz Boehle. In
den intimen Kabinetten und Gängen hängen
25—30 Bilder des jungen Künstlers, die im wesent-
lichen einen neuen Begriff von seiner Schaffens-
art geben. Die Mehrzahl der ausgestellten Bilder
ist ein Produkt letzter Zeit, nur einige — teils
aus Privatbesitz — vertreten des Künstlers
früheres Können und charakterisieren nur um
so stärker seine heutige andere Art. Um in
der Verschiedenartigkeit des ausgestellten Reich-
tums Überblick zu gewinnen, will ich zunächst
die Porträts aussondern. Das früheste von 1894
zeigt den Künstler schon auf einer sicheren Höhe
seines Schaffens, namentlich hinsichtlich der Ge-
samterfassung des dargestellten jungen Mannes.
Aber wenn hier noch ein Kleben des Kopfes
auf dem grünen Untergrunde auszusetzen wäre,
so zeigt das Bildnis des Kammersängers Perron
aus dem Jahre 1906, zu welch großer Form der
Künstler sich durchgearbeitet hat. Seine Be-
schäftigung mit der Plastik gewinnt einen un-
erbittlichen Einfluß auf seine Malkunst, so daß
die Gesichtszüge des dargestellten Menschen in
flächiger Klarheit sich zusammenfügen, ohne daß
sein Pinsel an eigentlich malerischer Qualität
einbüßt. Diesen beiden Porträts schließen sich
noch drei weitere an, unter denen hauptsächlich
das eines jungen Bauern (Bruder des Künstlers)
herrorgehoben zu werden verdient.
Eine zweite Gruppe bilden die religiösen Dar-
stellungen. Fast unvergeßlich in den verschie-
denen Nuancen des dargestellten Schmerzes er-
9 Dem Programm der Monatshefte entsprechend soll
die moderne Kunst nur in Ausnahmefällen ausführ-
licher behandelt werden. Eine Erscheinung wie der Frank-
furter Meister Fritz Boehle rechtfertigt indes diese Aus-
nahme vollauf. Die Red.