Literatur
219
Karl Schaefer. Bremen. (Stätten der
Kultur, Band III.) Buchschmuck v. C. Weide-
meyer-Worpswede. Leipzig. Klinkhardt & Bier-
mann. 1907. 136 S.
Bremen ist nicht so reich an Zeugen alter
Kultur, wie manche andre deutsche Stadt, wie
vergleichsweise Lübeck oder Danzig. Die Denk-
mäler bürgerlicher Baukunst z. B. sind dünn
gesät; eine lokal bremische Malerei hat es im
Mittelalter nicht gegeben —, Anfang und Zentrum
dafür war eben Hamburg. Auch eine bremische
Plastik gab es damals nicht, so daß die Fülle
des Materials für die frühen Zeiten den Forscher
nicht verwirrt. Aber das einzelne Objekt ist ja
auch nie das Wesentliche in einer Kultur, das
tiefer Liegende äußert sich viel eindringlicher
in der Gesamtgestaltung einer Stadt, und diesen
Fragen ist der Verfasser dann auch besonders
nachgegangen und hat fast rein auf der Basis
des Stadtbildes und der Baugeschichte uns die
ganze Kulturgeschichte des bremischen Mittel-
alters erzählt. Er hat die Stadtpläne studiert
und ist durch die alten Teile der Stadt ge-
wandert, und mit scharfem Blick hat er ihre
Physiognomie beurteilt und ihren Charakter
gedeutet. Das alles wird in diesen ersten
Kapiteln „Entwicklungsgeschichte des Stadt-
bildes", „Mauern und Tore", „Dom und Pfarr-
kirchen" in einer klaren Schilderung seltsam
lebendig. — Mit der Darstellung von „Roland
und Rathaus" ist man schon fast an die Schwelle
der Neuzeit herangekommen — die Hansestadt
seit dem 15. Jahrhundert zeigt tatsächlich ein
unmittelalterliches Gesicht. Künstlerischer Höhe-
punkt war dann die Renaissance, und ihre
schönste Perle ist das Rathaus, so wie der Um-
bau Lüder von Bentheims das ehemalig gotische
Bauwerk in den Jahren 1609—12 umgestaltet
hatte. Die Formensprache dieses Meisters ist
hier noch von zartem Reichtum; man kann sie
noch nicht Barock nennen. Aber es war das
letzte Wort der Renaissance — als es verklungen
war, zogen die Barockkünstler ein, zunächst
1616, in den Schnitzereien der oberen Rathaus-
halle, als Innenarchitekten, dann 1618 die Bau-
meister mit der Fassade des Essighauses und
mit der des Krameramtshauses (1620). Die reine
Renaissance hatte hier aber, wenn sie auch
ziemlich spät (1537) einsetzt, doch fast ein halbes
Jahrhundert geherrscht. Erhalten sind außer
dem herrlichen Finale des Rathauses nur zwei
größere Bauten: Kornhaus und Wage. — Dieses
Kapitel über „Zunftgebäude und Bürgerhaus"
enthält in seinem ersten Teil die hauptsächlichste
kunsthistorische Arbeit, mit der jeder, der über
Renaissance im Norden arbeitet, zu rechnen
haben wird. Seinen Untersuchungen laufen dann
die Bemerkungen über die Form des bürger-
lichen Wohnhauses parallel; es hat sich aus
dem niedrigen Bauerndielenhaus zur Höhen-
gestaltung entwickelt und wurde in der Re-
naissancezeit reicher ausgebildet. — Für den
Außenbau muß aber im 15. Jahrhundert der
Typus des hochaufgerichteten Giebelhauses schon
fixiert gewesen sein. Auch zu diesen Thema
finden sich reiche kunsthistorische Hinweise, und
zwar nicht nur einseitig formal, sondern mit
gründlicher Durchdringung aller Fragen z. B.
der hier besonders interessanten Materialfrage
(Ziegel. — Sandstein).
Ich brauche nicht den Inhalt der weiteren
Abschnitte, über Entwicklung von Handel und
Gewerbe und über das Bremen nach dem
30jährigen Kriege einzugehen; ich müßte doch
nur wieder abschreiben und will mich daher
damit begnügen, auf das kunsthistorisch
Wichtigste hingewiesen zu haben — nicht als
ob es noch immer so wäre, „daß die Kunst-
geschichte bis 1620 geht", sondern weil die Be-
handlung dieser Blüteepochen einen Prüfstein
bildet für die Qualität des Übrigen, das dann
auch durchaus ebenso gediegen, anschaulich und
aufschlußreich behandelt ist.
Zu den Details sei bemerkt, daß die Ver-
mutung über den Roland, der ursprünglich an
einer Fassade und zwar an der eines früheren
Rathauses, gestanden haben soll, vollkommen
wissenschaftlich begründet ist und mehr als einen
Wahrscheinlichkeitsbeweis für sich hat. — Ob
die gotischen Statuen der Rathausfront, Kaiser
und Kurfürsten, wirklich als Bildnisse angesehen
werden können, ist nicht ausgemacht. Für drei
von ihnen läßt sich an der Hand glaubhaften
Materials der Gegenbeweis bringen, und so wird
man auch die anderen als frei symbolische
Standesrepräsentationen auffassen dürfen. —
Das merkwürdige bronzene Taufbecken im Dom,
das um 1200 entstanden sein mag, zeigt aller-
dings in den Gestalten seiner auf Löwen reiten-
den Träger, die an die Füße des Krodoaltars
erinnern, einen etwas anderen Stil als die etwas
flauen Reliefs am Kessel. Doch befinden sich
an eben demselben Kessel oben am Rande zwei
plastisch gebildete Köpfe (wohl zur Aufnahme
für die Zapfen des ehemaligen Deckels) von
genau demselben Stil und derselben Form wie
die Köpfe der Träger, so daß über diesen Punkt
noch Zweifel möglich sind. Vielleicht werden
diese aber durch eine zusammenfassende Unter-
suchung über Taufbecken in Nordwestdeutschland,
die in einer Hallenser Dissertation vorgelegt
werden soll, beseitigt.1
Das sehr instruktiv ausgewählte und im
Einzelfall geschickt und geschmackvoll aus-
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Karl Schaefer. Bremen. (Stätten der
Kultur, Band III.) Buchschmuck v. C. Weide-
meyer-Worpswede. Leipzig. Klinkhardt & Bier-
mann. 1907. 136 S.
Bremen ist nicht so reich an Zeugen alter
Kultur, wie manche andre deutsche Stadt, wie
vergleichsweise Lübeck oder Danzig. Die Denk-
mäler bürgerlicher Baukunst z. B. sind dünn
gesät; eine lokal bremische Malerei hat es im
Mittelalter nicht gegeben —, Anfang und Zentrum
dafür war eben Hamburg. Auch eine bremische
Plastik gab es damals nicht, so daß die Fülle
des Materials für die frühen Zeiten den Forscher
nicht verwirrt. Aber das einzelne Objekt ist ja
auch nie das Wesentliche in einer Kultur, das
tiefer Liegende äußert sich viel eindringlicher
in der Gesamtgestaltung einer Stadt, und diesen
Fragen ist der Verfasser dann auch besonders
nachgegangen und hat fast rein auf der Basis
des Stadtbildes und der Baugeschichte uns die
ganze Kulturgeschichte des bremischen Mittel-
alters erzählt. Er hat die Stadtpläne studiert
und ist durch die alten Teile der Stadt ge-
wandert, und mit scharfem Blick hat er ihre
Physiognomie beurteilt und ihren Charakter
gedeutet. Das alles wird in diesen ersten
Kapiteln „Entwicklungsgeschichte des Stadt-
bildes", „Mauern und Tore", „Dom und Pfarr-
kirchen" in einer klaren Schilderung seltsam
lebendig. — Mit der Darstellung von „Roland
und Rathaus" ist man schon fast an die Schwelle
der Neuzeit herangekommen — die Hansestadt
seit dem 15. Jahrhundert zeigt tatsächlich ein
unmittelalterliches Gesicht. Künstlerischer Höhe-
punkt war dann die Renaissance, und ihre
schönste Perle ist das Rathaus, so wie der Um-
bau Lüder von Bentheims das ehemalig gotische
Bauwerk in den Jahren 1609—12 umgestaltet
hatte. Die Formensprache dieses Meisters ist
hier noch von zartem Reichtum; man kann sie
noch nicht Barock nennen. Aber es war das
letzte Wort der Renaissance — als es verklungen
war, zogen die Barockkünstler ein, zunächst
1616, in den Schnitzereien der oberen Rathaus-
halle, als Innenarchitekten, dann 1618 die Bau-
meister mit der Fassade des Essighauses und
mit der des Krameramtshauses (1620). Die reine
Renaissance hatte hier aber, wenn sie auch
ziemlich spät (1537) einsetzt, doch fast ein halbes
Jahrhundert geherrscht. Erhalten sind außer
dem herrlichen Finale des Rathauses nur zwei
größere Bauten: Kornhaus und Wage. — Dieses
Kapitel über „Zunftgebäude und Bürgerhaus"
enthält in seinem ersten Teil die hauptsächlichste
kunsthistorische Arbeit, mit der jeder, der über
Renaissance im Norden arbeitet, zu rechnen
haben wird. Seinen Untersuchungen laufen dann
die Bemerkungen über die Form des bürger-
lichen Wohnhauses parallel; es hat sich aus
dem niedrigen Bauerndielenhaus zur Höhen-
gestaltung entwickelt und wurde in der Re-
naissancezeit reicher ausgebildet. — Für den
Außenbau muß aber im 15. Jahrhundert der
Typus des hochaufgerichteten Giebelhauses schon
fixiert gewesen sein. Auch zu diesen Thema
finden sich reiche kunsthistorische Hinweise, und
zwar nicht nur einseitig formal, sondern mit
gründlicher Durchdringung aller Fragen z. B.
der hier besonders interessanten Materialfrage
(Ziegel. — Sandstein).
Ich brauche nicht den Inhalt der weiteren
Abschnitte, über Entwicklung von Handel und
Gewerbe und über das Bremen nach dem
30jährigen Kriege einzugehen; ich müßte doch
nur wieder abschreiben und will mich daher
damit begnügen, auf das kunsthistorisch
Wichtigste hingewiesen zu haben — nicht als
ob es noch immer so wäre, „daß die Kunst-
geschichte bis 1620 geht", sondern weil die Be-
handlung dieser Blüteepochen einen Prüfstein
bildet für die Qualität des Übrigen, das dann
auch durchaus ebenso gediegen, anschaulich und
aufschlußreich behandelt ist.
Zu den Details sei bemerkt, daß die Ver-
mutung über den Roland, der ursprünglich an
einer Fassade und zwar an der eines früheren
Rathauses, gestanden haben soll, vollkommen
wissenschaftlich begründet ist und mehr als einen
Wahrscheinlichkeitsbeweis für sich hat. — Ob
die gotischen Statuen der Rathausfront, Kaiser
und Kurfürsten, wirklich als Bildnisse angesehen
werden können, ist nicht ausgemacht. Für drei
von ihnen läßt sich an der Hand glaubhaften
Materials der Gegenbeweis bringen, und so wird
man auch die anderen als frei symbolische
Standesrepräsentationen auffassen dürfen. —
Das merkwürdige bronzene Taufbecken im Dom,
das um 1200 entstanden sein mag, zeigt aller-
dings in den Gestalten seiner auf Löwen reiten-
den Träger, die an die Füße des Krodoaltars
erinnern, einen etwas anderen Stil als die etwas
flauen Reliefs am Kessel. Doch befinden sich
an eben demselben Kessel oben am Rande zwei
plastisch gebildete Köpfe (wohl zur Aufnahme
für die Zapfen des ehemaligen Deckels) von
genau demselben Stil und derselben Form wie
die Köpfe der Träger, so daß über diesen Punkt
noch Zweifel möglich sind. Vielleicht werden
diese aber durch eine zusammenfassende Unter-
suchung über Taufbecken in Nordwestdeutschland,
die in einer Hallenser Dissertation vorgelegt
werden soll, beseitigt.1
Das sehr instruktiv ausgewählte und im
Einzelfall geschickt und geschmackvoll aus-