^^ LITERATUR BO
Exhibition of Early German Art. Lon-
don, Printed for the Burlington Fine Arts Club
„1906".
Erst zu Weihnachten 1907 ist der große
reich illustrierte Katalog der in der Season 1906
abgehaltenen Ausstellung Deutscher alter Kunst
im englischen Privatbesitz erschienen. Man kennt
bei uns längst die typographisch mustergültigen
Katalogbände des „Burlington", die ein sonst
kaum zugängliches Material in trefflichen Licht-
drucken zu bringen pflegen. Bei der geringen
Auflage werden sie meist bald mit Agio ge-
handelt. Der vorliegende Foliant ist naturge-
mäß für deutsche Liebhaber und Bibliotheken
von ganz besonderer Bedeutung. Freilich mit
der überwältigenden Zahl und Qualität hollän-
discher und italienischer Kunst im englischen
Besitz kann sich das, was an altdeutscher Kunst
dort bewahrt wird, nicht entfernt messen. Und
auch, wenn wir vom Materiellen absehen, wird
selbst Holbeins künstlerische Kolonisatorentat,
die durch van Dycks Wirken doch fast völlig
ausgelöscht wurde, kaum den Vergleich aushal-
ten mit dem, was Carlyles Verbindung mit
Goethe für England bedeutete, ganz zu ge-
schweigen von dem, was die deutsche Musik
von Händel bis Wagner für England gewesen
ist. Diesmal war noch dazu Holbein selbst von
der Ausstellung ausgeschlossen, der Klub will
hn und seine unmittelbaren in England tätigen
Nachfolger einer künftigen Veranstaltung vor-
behalten, der mit Spannung entgegenzusehen
wir Deutsche allen Grund haben. Bedenkt man
schließlich noch, daß in den letzten Jahrzehnten
besonders die Berliner Museen mit Erfolg be-
müht waren, deutsches Kunstgut aus England
zurückzukaufen (auch die für Berlin neuerwor-
bene, in Gestalten und Landschaft ebenso feine
wie einfache, verblüffend kleine Kreuzigung von
Konrad Witz stammt ja von einem Londoner
Geistlichen), so wird man sich wundern daß —
allerdings unter Zuhilfenahme des Kunstge-
werbes — eine doch recht stattliche Schau in
den engen Räumen von Savile Road zusammen-
gebracht werden konnte.
Die Herausgeber des Ausstellungswerkes
waren von dem anerkennenswerten Bestreben
geleitet, außer dem sorgfältigen Katalog auch
eine zusammenfassende Übersicht wenigstens
des Hauptgebietes, der Malerei darzubieten.
Drei englische Forscher, die die deutsche Kunst
zum Gegenstand ihrer besonderen Studien ge-
wählt haben, teilen sich in diese Einführung, die
für den englischen Leser unentbehrlich, in ihrer
knappen Zusammenfassung der letzten wissen-
schaftlichen Ergebnisse und durch den für solche
Übersichten besonders geeigneten imperialistisch-
geschäftlichen Tonfall der englischen Sprache
auch für den deutschen Kunstfreund ihren be-
sonderen Reiz hat. S. Montagu Peartree, der
die Anfänge der deutschen Tafelmalerei und die
schwäbische, fränkische und oberrheinische
Malerei des 16. Jahrhunderts behandelt, weist
mit Recht auf das frische Leben, auf die von
der niederländischen Kunst vergleichsweise un-
abhängige entschlossene Naturbeobachtung hin,
die an so vielen Orten der deutschen Malerei
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eignet,
und die ein paar Jahrzehnte später durch' eine
meist nicht sehr glückliche Herübernahme der
Kunst zumal Rogers van der Weyden ersetzt
wird. Es sei bemerkt, daß er die beiden großen
Bilder des Augsburger Maximiliansmuseums
„Geburt Christi" und „Anbetung der Könige"
für frühere, der Generation der Witz und Mult-
scher augehörige Erzeugnisse der Augsburger
Lokalschule anspricht und daß das Genueser
Fresco des Justus de Allemagna ihm diesen
Meister als einen Nachfolger des Konrad Witz
verrät. Alban Head bietet eine auf eingehender
Kenntnis der deutschen Fachlitteratur und war-
mer Liebe zu einigen der Hauptmeister gegrün-
dete Charakteristik der Kölnischen, der Ham-
burger und der westfälischen Schule. Den durch
die zarte, eindringliche, vergeistigende Zeichnung
dem Besucher der Londoner Nationalgalerie auf-
fallenden „Meister von Werden" zerlegt er in
zwei Künstlerpersönlichkeiten: der Maler der
acht Heiligengestalten steht für ihn der west-
fälischen Schule, der der Hubertuslegende dem
Meister des Marienlebens besonders nahe. Mit
Recht trennt er wieder den Meister von Cappen-
berg von den Brüdern Dünwegge ab. Die
schwierige Aufgabe, auf 9 Seiten etwas über
Phrase und Statistik hinausgehendes über die
deutsche Malerei des 16. Jahrhunderts zu sagen,
hat Campbell Dodgson mit Geschick gelöst, be-
sonders für Cranachs Anfänge, seine „Donau-
jahre", gruppiert er den Stoff in lichtvoller
Weise. Hans Baldung Grien scheint er mir als
Maler zu niedrig einzuschätzen.
Der sehr eingehend gearbeite eigentliche
Katalogtext und die siebzig etwas ungleichen,
zum Teil aber ausgezeichneten Lichtdrucktafeln
Exhibition of Early German Art. Lon-
don, Printed for the Burlington Fine Arts Club
„1906".
Erst zu Weihnachten 1907 ist der große
reich illustrierte Katalog der in der Season 1906
abgehaltenen Ausstellung Deutscher alter Kunst
im englischen Privatbesitz erschienen. Man kennt
bei uns längst die typographisch mustergültigen
Katalogbände des „Burlington", die ein sonst
kaum zugängliches Material in trefflichen Licht-
drucken zu bringen pflegen. Bei der geringen
Auflage werden sie meist bald mit Agio ge-
handelt. Der vorliegende Foliant ist naturge-
mäß für deutsche Liebhaber und Bibliotheken
von ganz besonderer Bedeutung. Freilich mit
der überwältigenden Zahl und Qualität hollän-
discher und italienischer Kunst im englischen
Besitz kann sich das, was an altdeutscher Kunst
dort bewahrt wird, nicht entfernt messen. Und
auch, wenn wir vom Materiellen absehen, wird
selbst Holbeins künstlerische Kolonisatorentat,
die durch van Dycks Wirken doch fast völlig
ausgelöscht wurde, kaum den Vergleich aushal-
ten mit dem, was Carlyles Verbindung mit
Goethe für England bedeutete, ganz zu ge-
schweigen von dem, was die deutsche Musik
von Händel bis Wagner für England gewesen
ist. Diesmal war noch dazu Holbein selbst von
der Ausstellung ausgeschlossen, der Klub will
hn und seine unmittelbaren in England tätigen
Nachfolger einer künftigen Veranstaltung vor-
behalten, der mit Spannung entgegenzusehen
wir Deutsche allen Grund haben. Bedenkt man
schließlich noch, daß in den letzten Jahrzehnten
besonders die Berliner Museen mit Erfolg be-
müht waren, deutsches Kunstgut aus England
zurückzukaufen (auch die für Berlin neuerwor-
bene, in Gestalten und Landschaft ebenso feine
wie einfache, verblüffend kleine Kreuzigung von
Konrad Witz stammt ja von einem Londoner
Geistlichen), so wird man sich wundern daß —
allerdings unter Zuhilfenahme des Kunstge-
werbes — eine doch recht stattliche Schau in
den engen Räumen von Savile Road zusammen-
gebracht werden konnte.
Die Herausgeber des Ausstellungswerkes
waren von dem anerkennenswerten Bestreben
geleitet, außer dem sorgfältigen Katalog auch
eine zusammenfassende Übersicht wenigstens
des Hauptgebietes, der Malerei darzubieten.
Drei englische Forscher, die die deutsche Kunst
zum Gegenstand ihrer besonderen Studien ge-
wählt haben, teilen sich in diese Einführung, die
für den englischen Leser unentbehrlich, in ihrer
knappen Zusammenfassung der letzten wissen-
schaftlichen Ergebnisse und durch den für solche
Übersichten besonders geeigneten imperialistisch-
geschäftlichen Tonfall der englischen Sprache
auch für den deutschen Kunstfreund ihren be-
sonderen Reiz hat. S. Montagu Peartree, der
die Anfänge der deutschen Tafelmalerei und die
schwäbische, fränkische und oberrheinische
Malerei des 16. Jahrhunderts behandelt, weist
mit Recht auf das frische Leben, auf die von
der niederländischen Kunst vergleichsweise un-
abhängige entschlossene Naturbeobachtung hin,
die an so vielen Orten der deutschen Malerei
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eignet,
und die ein paar Jahrzehnte später durch' eine
meist nicht sehr glückliche Herübernahme der
Kunst zumal Rogers van der Weyden ersetzt
wird. Es sei bemerkt, daß er die beiden großen
Bilder des Augsburger Maximiliansmuseums
„Geburt Christi" und „Anbetung der Könige"
für frühere, der Generation der Witz und Mult-
scher augehörige Erzeugnisse der Augsburger
Lokalschule anspricht und daß das Genueser
Fresco des Justus de Allemagna ihm diesen
Meister als einen Nachfolger des Konrad Witz
verrät. Alban Head bietet eine auf eingehender
Kenntnis der deutschen Fachlitteratur und war-
mer Liebe zu einigen der Hauptmeister gegrün-
dete Charakteristik der Kölnischen, der Ham-
burger und der westfälischen Schule. Den durch
die zarte, eindringliche, vergeistigende Zeichnung
dem Besucher der Londoner Nationalgalerie auf-
fallenden „Meister von Werden" zerlegt er in
zwei Künstlerpersönlichkeiten: der Maler der
acht Heiligengestalten steht für ihn der west-
fälischen Schule, der der Hubertuslegende dem
Meister des Marienlebens besonders nahe. Mit
Recht trennt er wieder den Meister von Cappen-
berg von den Brüdern Dünwegge ab. Die
schwierige Aufgabe, auf 9 Seiten etwas über
Phrase und Statistik hinausgehendes über die
deutsche Malerei des 16. Jahrhunderts zu sagen,
hat Campbell Dodgson mit Geschick gelöst, be-
sonders für Cranachs Anfänge, seine „Donau-
jahre", gruppiert er den Stoff in lichtvoller
Weise. Hans Baldung Grien scheint er mir als
Maler zu niedrig einzuschätzen.
Der sehr eingehend gearbeite eigentliche
Katalogtext und die siebzig etwas ungleichen,
zum Teil aber ausgezeichneten Lichtdrucktafeln