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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Schmarsow, August: Über die karolingischen Wandmalereien zu Münster in Graubünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0409

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Schmarsow. Über die karoling. Wandmalereien zu Münster in Graubünden 401

Bedeutung gedachten Apsisbildern der Basiliken in der Mitte. Und da ist es wichtig,
jede Nuance festzuhalten: die Vision an der Altarwand zu Münster gehört nicht ganz
zu der strengen Klasse der Apsisbilder sub specie aeterni; sie ist nicht in zeitloser
Ruhe und absolutem Stillstand ewigen Daseins gegeben, sondern mit einem Anlauf
zum Transitorischen, fast Momentanen. So steht sie auch dem Kuppelgemälde in Aachen
näher, während die schreitenden Apostel in Oberzell doch auch schon im Baptisterium
zu Ravenna ihre Verwandten haben. Und grade deshalb war sie für uns brauchbar,
den Anschluß an die Wunder Christi zu gewinnen.
Die gedrängte Kompositionsweise und plastische Reliefgruppierung, wie wir sie
in den Absalombildern kennen gelernt, wäre für die Wunder Christi auf die Dauer
nicht zu brauchen. Sie mußte, wenn sie jemals gleichartig angewandt war, notwendig
bald einer lockerern Hervorhebung und Vereinzelung des Wichtigen weidien, je mehr
sie zugleich dem Lehrzweck dienen sollte. Wie man den Text des Evangeliums in
getragener Tonart vorliest, langsamer, mit isolierender Betonung, das Allerwichtigste
tropfenweis zu Gehör bringt, so müssen die Taten Christi, wie später auch die Passion,
mit allem Ernst und aller Sorgfalt durchgearbeitet sein, sowie es galt, einen Kanon
der Darstellung für die Kirche herzustellen, der überall verbreitet werden sollte.
Der Gegensatz zwischen den profanen Historien und der Majestas Domini zu
Münster in Graubünden hat uns dieser Erkenntnis wieder einen Schritt näher gebracht.
Die vorhandenen Reste gewähren die Möglichkeit einer durchgreifenden Scheidung
innerhalb der Darstellungskreise, die ein und derselbe Kirchenraum in sich aufnehmen
konnte. Darin liegt eine weittragende Bedeutung der Funde, für deren Rettung und
Veröffentlichung wir nicht dankbar genug sein können.
 
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