Literatur
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Cambiaso, auf den ich mit vollster Absicht einen
Akzent gelegt hatte, ist für Foville „kein großes
Genie". Sein Bestes soll er dem Einflüsse des
Bergamasco verdanken. In der Vorliebe für
diesen anmutigen Künstler, in der Bedeutung
seiner geschmackvollen Dekorationen hat mich
Foville getreulich kopiert. Sein Verhältnis zu
Cambiaso aber ist, wie ich schon angedeutet
hatte, gerade umgekehrt. Von des Bergamasco
Einfluß ist in Cambiasos Werken wenig zu
finden: wohl aber ist des letzteren gewaltsam
grandiose Art gelegentlich (z. B. in den Fresken
des Pal. della Prefettura in Bergamo) von ersterem
nachgeahmt worden, wobei der zarte Bergamasco
in einen wenig erfreulichen Manierismus geriet.
Wie groß kann Fovilles Kennerschaft auf dem
Gebiete der italienischen Malerei überhaupt sein,
wenn er der Abbildung auf Seite 102 die Unter-
schrift: Palma Vecchio oder Luca Cambiaso
gibt. Eines muß doch das andere ausschließen.
Cambiasos Autorschaft an dem Bilde habe ich
behauptet. Im Palazzo Bianco heißt dasselbe:
Palma Giovine. Palma Vecchio steht aber nur
infolge Verwechslung mit einem anderen Bilde
der gleichen Sammlung auf der Photographie
von Brogi. Und das war für den hilflosen
Herrn Foville autoritativ!
Von Fovilles Buch wäre nicht so lange die
Rede gewesen, wenn es nicht symptomatische
Bedeutung hätte. Mögen die Beteiligten er-
wägen, ob die Anfertigung einer solchen Variante
einer deutschen wissenschaftlichen Arbeit mit
Verwendung der gleichen Klischees und mit
Umgehung des ursprünglichen Autors der Würde
des deutschen Veriegertums entspricht.
Wilhelm Suida.
€
Otto Grautoff. AugusteRodin. (Künstler-
Monographien, Bd. 93.) Bielefeld und Leipzig,
Velhagen & Klasing. 1908.
Monographien von dem Umfang derVelhagen
und Klasingschen gehen schon über das Maß
eines Essays hinaus; sie wollen angenehm
unterrichten und dabei mit vielem positiven
Material aufwarten. Der Künstler wird nicht
nur in subjektiver Weise gewürdigt, sondern
sein Leben, sein gesamtes Schaffen zieht in
historischer Folge vor uns vorüber; kurz der
Künstler soll, von allen Seiten beleuchtet, als
sicher fundierte plastische Erscheinung von dem
Leser begriffen und sowohl in seinem Verhältnis
zur gleichzeitigen Kunst, als auch in seinem
originalen Wert als Persönlichkeit gewürdigt
werden. Sicher ist das die angenehmste Art
der Kunstbetrachtung; und wie sehr sie einem
Bedürfnis der Zeit entgegenkommt, zeigt die
stattliche Anzahl der monographischen Samm-
lungen, zeigt vor allem die hohe Ziffer, welche
das alte und solide Unternehmen von Velhagen
und Klasing mit dem 93. Band erreicht hat,
welcher Rodin gewidmet und von Grautoff in
Paris geschrieben ist.
Grautoffs stärkste Seite ist das feine Plauder-
talent; er zeigt es hier von sehr liebenswürdiger
Seite, wenn er das menschliche Bild des großen
Franzosen, seinen Entwicklungsgang, das er-
greifende Schicksal seiner Hauptwerke darstellt.
Das ist Kunst eines echten und guten Essays,
der ein Miterleben freudiger Art mit seinem
großen Gegenstand bedingt, der uns mitreißt
und erhebt; es liegt sogar etwas von no-
vellistischer Spannung darin, nicht wunderbar,
da Grautoff geistreiche und gut pointierte
Skizzen geschrieben hat (sie sind jüngst ge-
sammelt erschienen). Vielleicht ist sogar zu
sagen, daß man modernen Künstlern von so
problemhafter Natur wie Rodin überhaupt auf
diese Weise am gerechtesten werden kann;
Meier-Graefes Behandlung z. B. von Munch
oder Beardsley ist im Prinzip eine ähnliche und
infolgedessen sehr suggestiv. Tatsache ist, daß
wir durch den knappen, aber präzisen Abriß
der Entwicklung, den Grautoff von der franzö-
sischen Plastik gibt (wozu man freilich die
Parterresäle des Louvre gut kennen muß), aufs
beste zu der künstlerischen Entwicklung Rodins
geführt werden; und daß dann dessen Sonder-
art in verschiedentlichen gut gewählten Zitaten
und sehr schönen Worten des Meisters selber
gespiegelt, als Erlebnis psychologischer Art rund
und glaubhaft hervortritt. Sehr glücklich er-
scheint mir auch die Parallele mit Nietzsche be-
züglich ihres verwandten Verhältnisses zur Antike
durchgeführt. Kurz, der Meister, der schlichte,
vornehme, große Mensch, wird uns um ein
gutes Stück menschlich näher gerückt und sym-
pathisch gemacht; eine feine und wohlgelungene
Arbeit, die Autor und Leser gleich viel Freude
bereitet.
An die Schilderung seiner Kunst selber, ge-
nauergenommen seiner Einzelwerke, die den zwei-
ten Teil bilden, ist Grautoff anscheinend nicht
mehr mit derselben Elastizität herangegangen.
Es ist auch eine sehr schwierige, ja eine heute
wohl noch gar nicht lösbare Aufgabe, Rodins
Stil zu analysieren und seine Resultate zu
ziehen. Wir stehen noch nicht über diesen
Schöpfungen; wir erleben sie noch viel zu hef-
tig, mit viel zu persönlicher Anteilnahme, um
entscheiden zu können, wie weit Rodin für
unsere Zeit die Aufgabe des Michelangelo er-
füllt. Es ist eine gefährliche Sache, solche
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Cambiaso, auf den ich mit vollster Absicht einen
Akzent gelegt hatte, ist für Foville „kein großes
Genie". Sein Bestes soll er dem Einflüsse des
Bergamasco verdanken. In der Vorliebe für
diesen anmutigen Künstler, in der Bedeutung
seiner geschmackvollen Dekorationen hat mich
Foville getreulich kopiert. Sein Verhältnis zu
Cambiaso aber ist, wie ich schon angedeutet
hatte, gerade umgekehrt. Von des Bergamasco
Einfluß ist in Cambiasos Werken wenig zu
finden: wohl aber ist des letzteren gewaltsam
grandiose Art gelegentlich (z. B. in den Fresken
des Pal. della Prefettura in Bergamo) von ersterem
nachgeahmt worden, wobei der zarte Bergamasco
in einen wenig erfreulichen Manierismus geriet.
Wie groß kann Fovilles Kennerschaft auf dem
Gebiete der italienischen Malerei überhaupt sein,
wenn er der Abbildung auf Seite 102 die Unter-
schrift: Palma Vecchio oder Luca Cambiaso
gibt. Eines muß doch das andere ausschließen.
Cambiasos Autorschaft an dem Bilde habe ich
behauptet. Im Palazzo Bianco heißt dasselbe:
Palma Giovine. Palma Vecchio steht aber nur
infolge Verwechslung mit einem anderen Bilde
der gleichen Sammlung auf der Photographie
von Brogi. Und das war für den hilflosen
Herrn Foville autoritativ!
Von Fovilles Buch wäre nicht so lange die
Rede gewesen, wenn es nicht symptomatische
Bedeutung hätte. Mögen die Beteiligten er-
wägen, ob die Anfertigung einer solchen Variante
einer deutschen wissenschaftlichen Arbeit mit
Verwendung der gleichen Klischees und mit
Umgehung des ursprünglichen Autors der Würde
des deutschen Veriegertums entspricht.
Wilhelm Suida.
€
Otto Grautoff. AugusteRodin. (Künstler-
Monographien, Bd. 93.) Bielefeld und Leipzig,
Velhagen & Klasing. 1908.
Monographien von dem Umfang derVelhagen
und Klasingschen gehen schon über das Maß
eines Essays hinaus; sie wollen angenehm
unterrichten und dabei mit vielem positiven
Material aufwarten. Der Künstler wird nicht
nur in subjektiver Weise gewürdigt, sondern
sein Leben, sein gesamtes Schaffen zieht in
historischer Folge vor uns vorüber; kurz der
Künstler soll, von allen Seiten beleuchtet, als
sicher fundierte plastische Erscheinung von dem
Leser begriffen und sowohl in seinem Verhältnis
zur gleichzeitigen Kunst, als auch in seinem
originalen Wert als Persönlichkeit gewürdigt
werden. Sicher ist das die angenehmste Art
der Kunstbetrachtung; und wie sehr sie einem
Bedürfnis der Zeit entgegenkommt, zeigt die
stattliche Anzahl der monographischen Samm-
lungen, zeigt vor allem die hohe Ziffer, welche
das alte und solide Unternehmen von Velhagen
und Klasing mit dem 93. Band erreicht hat,
welcher Rodin gewidmet und von Grautoff in
Paris geschrieben ist.
Grautoffs stärkste Seite ist das feine Plauder-
talent; er zeigt es hier von sehr liebenswürdiger
Seite, wenn er das menschliche Bild des großen
Franzosen, seinen Entwicklungsgang, das er-
greifende Schicksal seiner Hauptwerke darstellt.
Das ist Kunst eines echten und guten Essays,
der ein Miterleben freudiger Art mit seinem
großen Gegenstand bedingt, der uns mitreißt
und erhebt; es liegt sogar etwas von no-
vellistischer Spannung darin, nicht wunderbar,
da Grautoff geistreiche und gut pointierte
Skizzen geschrieben hat (sie sind jüngst ge-
sammelt erschienen). Vielleicht ist sogar zu
sagen, daß man modernen Künstlern von so
problemhafter Natur wie Rodin überhaupt auf
diese Weise am gerechtesten werden kann;
Meier-Graefes Behandlung z. B. von Munch
oder Beardsley ist im Prinzip eine ähnliche und
infolgedessen sehr suggestiv. Tatsache ist, daß
wir durch den knappen, aber präzisen Abriß
der Entwicklung, den Grautoff von der franzö-
sischen Plastik gibt (wozu man freilich die
Parterresäle des Louvre gut kennen muß), aufs
beste zu der künstlerischen Entwicklung Rodins
geführt werden; und daß dann dessen Sonder-
art in verschiedentlichen gut gewählten Zitaten
und sehr schönen Worten des Meisters selber
gespiegelt, als Erlebnis psychologischer Art rund
und glaubhaft hervortritt. Sehr glücklich er-
scheint mir auch die Parallele mit Nietzsche be-
züglich ihres verwandten Verhältnisses zur Antike
durchgeführt. Kurz, der Meister, der schlichte,
vornehme, große Mensch, wird uns um ein
gutes Stück menschlich näher gerückt und sym-
pathisch gemacht; eine feine und wohlgelungene
Arbeit, die Autor und Leser gleich viel Freude
bereitet.
An die Schilderung seiner Kunst selber, ge-
nauergenommen seiner Einzelwerke, die den zwei-
ten Teil bilden, ist Grautoff anscheinend nicht
mehr mit derselben Elastizität herangegangen.
Es ist auch eine sehr schwierige, ja eine heute
wohl noch gar nicht lösbare Aufgabe, Rodins
Stil zu analysieren und seine Resultate zu
ziehen. Wir stehen noch nicht über diesen
Schöpfungen; wir erleben sie noch viel zu hef-
tig, mit viel zu persönlicher Anteilnahme, um
entscheiden zu können, wie weit Rodin für
unsere Zeit die Aufgabe des Michelangelo er-
füllt. Es ist eine gefährliche Sache, solche