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Monatshefte für Kunstwissenschaft
geschickt den räumlichen Aufbau der Werke
dar. Ausgiebig kommt übrigens auch Trübner
selbst mit seiner Selbstbiographie zu Werke,
und auch die Stimmen anderer Kunstbeurteiler
läßt Fuchs über seinen Helden erschallen. Unter
den Abbildungen sind die Reiterbilder, die
sitzende Dogge und das Porträt Martin Greifs
am besten herausgekommen, manche der Land-
schaften leiden unter der Kleinheit der Wieder-
gaben. Franz Dülberg.
^
Johannes Gaulke: Religion und Kunst,
„Führer zur Kunst", Bd. 9. Eßlingen 1907.
Die Aufgabe eines „Führers zur Kunst" sollte
es sein, den Laien und Kunstfreund zur Kunst
hinzuführen, ihn zu befreien von kunstfremden
Anschauungs- und Beurteilungsweisen und ver-
traut zu machen mit den eigentlich künstlerischen
Gesichtspunkten. Das vorliegende Heftchen
scheint mir eher von der Kunst weg, als zu ihr
hinzuleiten. Das ist freilich weniger Schuld des
Verfassers als des Herausgebers, der eine solche
Fragestellung zuließ. Gewiß, über das wechsel-
seitige Verhältnis von Kunst und Religion läßt
sich sehr viel Wissenswertes mitteilen, und
Jacob Burckhardt hat in seinen „Weltgeschicht-
lichen Betrachtungen" gezeigt, wie von der
hohen Warte einer souveränen Stoffbeherrschung
und philosophischer Zusammenschau der Dinge
das gegenseitige Bedingtsein dieser beiden ge-
waltigen „Potenzen" dargestellt werden kann.
Gaulkes Betrachtungsweise ist eine im wesent-
lichen einseitige und polemische. Er sieht wohl
die Hemmungen der künstlerischen Entwicklung
durch die Ansprüche der Religion an die Kunst,
will aber von der ungeheuren stilbildenden Kraft
religiöser Momente nichts wissen. Die Reinheit
und Raschheit der rein künstlerischen Entwick-
lung in Italien verdanken wir doch zum großen
Teile der Darbietung eines allgemeinen Motiv-
und Gefühlskreises durch die Religion, in dessen
steter Abwandelung freilich nicht das Denken,
wohl aber das Sehen des Künstlers sich erzog.
Neben dieser fördernden Kraft der Religion
steht freilich ihr hemmender, die künstlerische
Betätigung in bestimmte Ausdrucks- und Dar-
stellungsgrenzen bannender Einfluß. Und hier
ist nun scharf zu scheiden zwischen dem Walten
des kirchlichen (dogmatisch-hieratischen) Ele-
mentes und der Kraft des religiösen (meta-
physischen) Elementes. Beide Begriffe gehen
bei Gaulke leicht durcheinander. Im einzelnen
ist gegen manche schiefe und unrichtige Be-
hauptung zu opponieren. Daß die Kunst „ur-
sprünglich" nur eine priesterliche Aufgabe hatte,
daß „ihre Daseinsbedingungen an den religiösen
Kultus gebunden" waren, ist keineswegs sicher.
Wir wissen weder, ob die Kunst aus dem
Kultus hervorgegangen, noch ob sie, und auf
welche Weise sie mit ihm verbunden war. Es
scheint eine Kunst vor aller Religion gegeben
zu haben (in der paläolithischen Periode), wie
es Religionen gibt, die der Künste entbehren
(Islam) oder sie als feindliche Prinzipien be-
kämpfen (Puritanertum). Es ist mindestens ein
sehr einseitiger Gesichtspunkt, wenn die Eigen-
art der griechischen Plastik, namentlich ihr fe-
mininer Charakter in der zweiten Blütezeit,
erklärt wird nicht aus künstlerischen, stilistischen
Wandlungen, sondern aus den Grundzügen der
griechischen Mythologie, die „von den ausge-
sprochenen Geschlechtscharakteren abstrahiert
und den normal-schönen Typus Mensch" her-
stellt. Falsch ist die Behauptung, daß die
Periode sinnlosen Luxusses in der hellenistischen
Zeit Roms keine „Kunstära" gezeitigt habe.
Sätze wie die folgenden: „nicht einmal Albrecht
Dürer gelangte in seinen Tafelbildern über den
engen Formalismus der alten deutschen Maler
hinaus" und „der Mailänder Dom ist das einzige
beachtenswerte Bauwerk gotischen Stils auf
italienischem Boden" sollten in einem „Führer
zur Kunst" nicht gedruckt werden dürfen. Wenn
Gaulke voll Stolz nadiweist, daß der Glaube
an einen persönlichen Gott durch die Beweis-
mittel der wissenschaftlichen Forschung „wider-
legt" worden ist, so läßt sich über die Harm-
losigkeit seines philosophischen Denkens nicht
mehr diskutieren. Nur aus dieser wird auch der
Schluß des Büchleins verständlich, wo auf die
„Möglichkeit einer systematischen Erforschung
des Weltganzen durch die experimentelle Me-
thode" des Haeckelschen Monismus hoffnungs-
voll hingewiesen und in den Motiven der „Kunst-
formen der Natur" (z. B. der Radiolerien und
Thelamophoren, der Medusen und Mollusken)
die Ausbreitung eines neuen Schönheitsideales
gesehen wird, dessen der wissenschaftlichen
Weltanschauung. „Je mehr sich die monistische
Weltanschauung vertieft, um so klarer wird
sich auch das neue Kunst- und Schönheitsideal
von der Fülle der Erscheinungen abheben. Der
Entwicklungsgedanke wird schließlich in der
Kunst wie im Leben das eigentliche Leitmotiv
werden.... Das im Kosmos wirkende Form-
prinzip und der Kunsttrieb des Menschen sind
Wirkungen derselben kosmischen Grundidee,
welche sich auf die einfache Formel: „Entwicke-
lung" bringen läßt." Eine Reihe von Druck-
fehlern macht es noch schwerer, der Führer-
schaft Gaulkes zu folgen, als dies ohnehin schon
bei der Unklarheit seines Denkens ist.
Wilhelm Waetzoldt.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
geschickt den räumlichen Aufbau der Werke
dar. Ausgiebig kommt übrigens auch Trübner
selbst mit seiner Selbstbiographie zu Werke,
und auch die Stimmen anderer Kunstbeurteiler
läßt Fuchs über seinen Helden erschallen. Unter
den Abbildungen sind die Reiterbilder, die
sitzende Dogge und das Porträt Martin Greifs
am besten herausgekommen, manche der Land-
schaften leiden unter der Kleinheit der Wieder-
gaben. Franz Dülberg.
^
Johannes Gaulke: Religion und Kunst,
„Führer zur Kunst", Bd. 9. Eßlingen 1907.
Die Aufgabe eines „Führers zur Kunst" sollte
es sein, den Laien und Kunstfreund zur Kunst
hinzuführen, ihn zu befreien von kunstfremden
Anschauungs- und Beurteilungsweisen und ver-
traut zu machen mit den eigentlich künstlerischen
Gesichtspunkten. Das vorliegende Heftchen
scheint mir eher von der Kunst weg, als zu ihr
hinzuleiten. Das ist freilich weniger Schuld des
Verfassers als des Herausgebers, der eine solche
Fragestellung zuließ. Gewiß, über das wechsel-
seitige Verhältnis von Kunst und Religion läßt
sich sehr viel Wissenswertes mitteilen, und
Jacob Burckhardt hat in seinen „Weltgeschicht-
lichen Betrachtungen" gezeigt, wie von der
hohen Warte einer souveränen Stoffbeherrschung
und philosophischer Zusammenschau der Dinge
das gegenseitige Bedingtsein dieser beiden ge-
waltigen „Potenzen" dargestellt werden kann.
Gaulkes Betrachtungsweise ist eine im wesent-
lichen einseitige und polemische. Er sieht wohl
die Hemmungen der künstlerischen Entwicklung
durch die Ansprüche der Religion an die Kunst,
will aber von der ungeheuren stilbildenden Kraft
religiöser Momente nichts wissen. Die Reinheit
und Raschheit der rein künstlerischen Entwick-
lung in Italien verdanken wir doch zum großen
Teile der Darbietung eines allgemeinen Motiv-
und Gefühlskreises durch die Religion, in dessen
steter Abwandelung freilich nicht das Denken,
wohl aber das Sehen des Künstlers sich erzog.
Neben dieser fördernden Kraft der Religion
steht freilich ihr hemmender, die künstlerische
Betätigung in bestimmte Ausdrucks- und Dar-
stellungsgrenzen bannender Einfluß. Und hier
ist nun scharf zu scheiden zwischen dem Walten
des kirchlichen (dogmatisch-hieratischen) Ele-
mentes und der Kraft des religiösen (meta-
physischen) Elementes. Beide Begriffe gehen
bei Gaulke leicht durcheinander. Im einzelnen
ist gegen manche schiefe und unrichtige Be-
hauptung zu opponieren. Daß die Kunst „ur-
sprünglich" nur eine priesterliche Aufgabe hatte,
daß „ihre Daseinsbedingungen an den religiösen
Kultus gebunden" waren, ist keineswegs sicher.
Wir wissen weder, ob die Kunst aus dem
Kultus hervorgegangen, noch ob sie, und auf
welche Weise sie mit ihm verbunden war. Es
scheint eine Kunst vor aller Religion gegeben
zu haben (in der paläolithischen Periode), wie
es Religionen gibt, die der Künste entbehren
(Islam) oder sie als feindliche Prinzipien be-
kämpfen (Puritanertum). Es ist mindestens ein
sehr einseitiger Gesichtspunkt, wenn die Eigen-
art der griechischen Plastik, namentlich ihr fe-
mininer Charakter in der zweiten Blütezeit,
erklärt wird nicht aus künstlerischen, stilistischen
Wandlungen, sondern aus den Grundzügen der
griechischen Mythologie, die „von den ausge-
sprochenen Geschlechtscharakteren abstrahiert
und den normal-schönen Typus Mensch" her-
stellt. Falsch ist die Behauptung, daß die
Periode sinnlosen Luxusses in der hellenistischen
Zeit Roms keine „Kunstära" gezeitigt habe.
Sätze wie die folgenden: „nicht einmal Albrecht
Dürer gelangte in seinen Tafelbildern über den
engen Formalismus der alten deutschen Maler
hinaus" und „der Mailänder Dom ist das einzige
beachtenswerte Bauwerk gotischen Stils auf
italienischem Boden" sollten in einem „Führer
zur Kunst" nicht gedruckt werden dürfen. Wenn
Gaulke voll Stolz nadiweist, daß der Glaube
an einen persönlichen Gott durch die Beweis-
mittel der wissenschaftlichen Forschung „wider-
legt" worden ist, so läßt sich über die Harm-
losigkeit seines philosophischen Denkens nicht
mehr diskutieren. Nur aus dieser wird auch der
Schluß des Büchleins verständlich, wo auf die
„Möglichkeit einer systematischen Erforschung
des Weltganzen durch die experimentelle Me-
thode" des Haeckelschen Monismus hoffnungs-
voll hingewiesen und in den Motiven der „Kunst-
formen der Natur" (z. B. der Radiolerien und
Thelamophoren, der Medusen und Mollusken)
die Ausbreitung eines neuen Schönheitsideales
gesehen wird, dessen der wissenschaftlichen
Weltanschauung. „Je mehr sich die monistische
Weltanschauung vertieft, um so klarer wird
sich auch das neue Kunst- und Schönheitsideal
von der Fülle der Erscheinungen abheben. Der
Entwicklungsgedanke wird schließlich in der
Kunst wie im Leben das eigentliche Leitmotiv
werden.... Das im Kosmos wirkende Form-
prinzip und der Kunsttrieb des Menschen sind
Wirkungen derselben kosmischen Grundidee,
welche sich auf die einfache Formel: „Entwicke-
lung" bringen läßt." Eine Reihe von Druck-
fehlern macht es noch schwerer, der Führer-
schaft Gaulkes zu folgen, als dies ohnehin schon
bei der Unklarheit seines Denkens ist.
Wilhelm Waetzoldt.