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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0104

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96 Monatshefte für Kunstwissenschaft

rungen und eine genaue Sinnerklärung jedes
Blattes nach der formalen Seite hin läßt das Buch
um so weniger vermissen, als die Verfasserin
ihre Aufgabe selbst begrenzt und bereits Kühn,
M. Schmid, Avenarius u. a. die einzelnen
Blätter in ziemlich erschöpfender Weise be-
schrieben und interpretiert haben. Nur die
Blätter, die zum Nachweise der von H.dargelegten
philosophisch - ethischen oder formalen Ent-
wicklung nötig sind, werden ausführlicher be-
sprochen. So bei den „Intermezzi" alle Blätter;
bei „Eine Liebe" wird kein einziges Einzelblatt
herangezogen. Wo ein früherer Typus für ein
später weiter durch gearbeitetes Bildmotiv (z. B.
Narzißblatt, S. 17) gegeben wird oder umgekehrt
(S. 26), finden einzelne Blätter eine genaue for-
male Interpretation. Im allgemeinen richtet sich
eben das Bestreben der Verfasserin darauf, die
Logik der geistigen und künstlerischen
Entwicklung aufzuzeigen, indem sie chrono-
logisch fortschreitet und jede neue Etappe durch
einen Blick in die Vergangenheit und Zukunft
zu einem Ganzen zu verketten sucht. Diese
Einzelentwicklung aber versucht die Verfasserin
wiederum durch Ausblicke auf Kunstströmungen,
aus denen sie hervorgegangen, die sie berührt
oder bewirkt hat, zu einem Gesamtbild unserer
Zeit nach der künstlerischen Seite hin zu-
sammenzuschließen. Die Hauptperioden sind
durch fettgedruckte Überschriften über den ein-
zelnen Abschnitten gekennzeichnet, die einzelnen
Werke und der Inhalt der Abschnitte durch ge-
sperrten Druck.
Die Bilder und Plastiken werden eingehen-
der auf das Formale hin untersucht, weil sie
der Ideenwelt ferner stehen als die Radie-
rungen. Es wird gezeigt, wie der Künstler als
Maler und Plastiker dieselben Stoffgebiete, wie
in der Radierung: „Antike", „Christentum", das
„Rätsel des Lebens" zum Ausdruck bringt. Die
einzelnen Stoffgebiete liegen neben einander
und gestalten sich immer mehr zu Problemen,
mit denen er ringt. Im Keim sind sie schon
alle in den Jugendzeichnungen enthalten. Die
Verfasserin wendet sich hier gegen Versuche,
wie sie u. a. Brieger-Wasservogel unternommen
hat, der eine der wirklichen Chronologie der
Werke nicht entsprechende Entwicklung Klingers
vom antiken Heidentum zum Christentum und end-
lich zum „dritten Reich", dem „Gottmenschentum"
dartun will. Sie beweist ferner, daß Klinger
der Mithilfe aller Kunstgattungen zum Ausdruck
seiner unteilbaren Künstlerpersönlichkeit bedarf.
Reine „Augenfreudenkunst" geht in seiner
Malerei und Plastik neben der geistige Inhalte
stark betonenden Radierung her, so daß man
danach die malerischen und plastischen Werke

in zwei Gruppen scheiden kann. Für die Ma-
lerei vertritt Klinger diese Anschauungen auch
theoretisch in seiner Schrift „Malerei und Zeich-
nung".
Ferner beweisen malerische und plastische
Werke, obgleich letztere später in Angriff ge-
nommen worden sind, wiederum eine Entwick-
lung vom Pessimismus Schopenhauers zu
Nietzsches Lebensbejahung und zum Evolutio-
nismus. Soweit also die philosophisch-geistige
Seite der modernen Zeit in Betracht kommt,
ist Klinger direkt auch der Interpret unseres
spezifischen, „modernen" Zeitgeistes.
G. J. Kern.
g
Otto Hoerth. Das Abendmahl des
Leonardo da Vinci. Ein Beitrag zur Frage
seiner künstlerischen Rekonstruktion. Mit 25 Abb.
in Lichtdruck auf 23 Tafeln. Leipzig, K. W.
Hiersemann 1907. 250 S. 20 M.
Diese sehr sorgfältige, freilich auch sehr um-
ständlich abgefaßte Untersuchung hat zwei Ziele.
Sie setzt sich zunächst mit Strzygowskis im
Goethe-Jahrbuch 1896, S. 138 ff gegebener Deu-
tung auseinander, wonach nicht das „Unus ves-
trum" den klassischen Moment bezeichne, sondern
vielmehr die Stelle Matth. 26, 23: „Qui intigit
mecum manem in paropside, hic me tradet."
Schon Weizsäcker (Goethe-Jahruuch 1898,S.248 ff)
und Jansen (Beil. z. Allgem. Ztg. 1'4. Aug. 1896)
hatten ablehnend geantwortet. Auch Hoerth
kommt zu einer ausführlichen Widerlegung zu-
gunsten der alten Goetheschen Deutung, geht
aber den Entwürfen zum Abendmahl (Windsor,
Louvre, Venedig usw.) nach, aus denen hervor-
geht, daß in der Tat die ersten Skizzen sich
eng an die Tradition anschlossen, den Judas
diesseits des Tisches setzten, Johannes „an des
Herrn Brust" plazierten und daß die Schüssel
ein wesentlicher Träger der Aktion sein sollte.
Warum Leonardo dann diesen scheinbar drasti-
schen Moment des Eintauchens aufgab, ist leicht
zu erkennen; die Spannung des Zweifels, wer
der Verräter sei, wäre ja dann nicht möglich
gewesen. Übrigens schließt die Vulgata nicht
notwendig den Irrtum der Luther-Übersetzung
mit in sich; es handelt sich im griechischen Text
nicht um die Aufforderung, in diesem Augen-
blick in die Schüssel zu greifen, vielmehr sagt
Christus: Einer, der täglich mit mir aus einer
Schüssel gegessen hat, wird mich verraten.
Daß der durch solche Ankündigung des Meisters
hervorgerufene Schrecken der jünger von Leo-
nardo durch das Zucken von 24 Händen illustriert
wird, hat schon Carl Justi als unmännlich ge-
 
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