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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0105

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Literatur

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schölten; aber die Deutung des Unus vestrum
bleibt doch die einzig mögliche. Hoerth nimmt
nun jeden Apostel vor und deutet die Gebärde;
eine Kühnheit für jeden Nordländer, der die
Gebärdensprache des Südländers nie ganz be-
herrschen wird, trotz eifrigster Umfrage. Vor
allem laufen wir Gefahr, zu viel hereinzulegen.
Im Anschluß an diese Diskussion wird nun auch
das Räumliche und Perspektivische noch einmal
vorgenommen. Hoerth sieht seltsamerweise in
den großen Wandbehängen eher Fresken als
Teppiche — schon das Format schließt dies aus.
Die psychologische Abhandlung über Judas über-
rascht etwas in einem kunsthistorischen Buche;
daß Leonardo ihn nicht als Bösewicht schlecht-
hin aufgefaßt hat, geht doch schon aus dem
Kopf hervor. — Das zweite Thema des Buches
ist die Kritik der bekannten Apostel- (und
Christus-) Köpfe in Straßburg und Weimar.
Hier wird noch einmal mit aller Akribie, unter
Entlarvung der englischen Fälscher, nachgewiesen,
daß die Weimarer Köpfe nach den 6 in Straß-
burg und 6 anderen noch nicht wieder aufgefun-
denen Blättern gefälscht sind, und zwar erst
um 1815. Den Straßburger Blättern aber möchte
Hoerth die Autorschaft des Meisters vindizieren,
der sie vermutlich bei seinem zweiten Mailänder
Aufenthalt, kurz vor der Abreise nach Frank-
reich, gezeichnet hätte, um darin die Grundlage
für eine von König Franz I. gewünschte Wieder-
holung zu haben. Dehio hatte an Boltraffio
gedacht und den Charakter der Nachzeichnung
betont, während Hoerth eine Art Selbstkopie
des Meisters annimmt. In jedem Fall fallen
die Weimarer Köpfe von jetzt an in jedem Sinne
fort; sie können auch nicht für die in Straßburg
fehlenden und im Original unkenntlichen Köpfe
als Anhalt verwandt werden, da die ganze
Weimeraner Folge nicht nur auf den Straß-
burger Blättern, sondern auch auf Stichen ruht.
Die Bedeutung der Straßburger Folge wächst,
selbst wenn man dem Verf. nicht beipflichtet in
der Zurückführung auf Leonardo selbst. Die
Untersuchung ist äußerst gewissenhaft, nur, wie
gesagt, zu umständlich. Der lange Weg, auf
dem der Verf. zu seinen Resultaten kam, wird
uns nicht erspart, sodaß es nicht leicht ist, sich
durch die Fülle des Details durchzufinden. Im
Einzelnen sei noch bemerkt: Hoerth hält den
Christuskopf der Brera für echt. Bei Tafel XII
muß es oben rechts D1, nicht D heißen. Der
Verf, meint, angesichts des desolaten Zustandes
müsse sich ein Künstler an die Rekonstruktion
machen, und für diese liefert der Verf. eine
Menge wichtiges Material. Was aber kann von
diesem Werk kopiert werden, was nicht Neben-
sache wäre? Alles Große hat seine Geschichte

und seine Zeit. Und der cenacolo Leonardos
bildet einen festen Besitz im geistigen Haus-
halt der letzten vier Jahrhunderte, den immer
wieder zu beleben das beschädigte Fresco noch
durchaus fähig ist. Dessen Zustand nach Kräften
zu konservieren, ist selbstverständliche Pflicht.
Aber alle Ableitungen sind eher gefährlich, eben-
so wie alle Renovierungen und „Ausbauten"
architektonischer Denkmäler.
Paul Schubring.
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S. Sanpere y Miquel: Los quatrocentistas
catalanes. Libreria „L'Avenc". Barcelona 1906.
Bd. I. VII u. 319. Bd. II. 284 u. CI S. mit
180 Abb.
Das vorliegende reich illustrierte Werk ver-
dankt seine Entstehung der Exposiciön de Arte
antiguo, die 1902 in Barcelona stattgefunden
hat; es ist mit außerordentlichem Fleiß gear-
beitet und zeugt von großer Liebe zur heimat-
lichen Kunst, ja von fast allzugroßer Liebe.
Denn hat Casellas, der verdienstvolle Heraus-
geber der „Veu de Catalufia", bisher den Ein-
fluß der fremden Schulen auf die katalonische
Kunst überschätzt, so verfällt Sanpere ins Gegen-
teil und bemüht sich, uns eine große, nationale
katalonische Quatrocentokunst zu zeigen.
Katalonien hat sowohl als Grenzland wie
unter der Regierung seiner verschiedenen von
auswärts gekommenen Herrscher die mannig-
faltigsten Einflüsse in seiner Kunst erfahren;
die Meister, die über das bessere Mittelmaß
hinausragen, sind selten und dann, wie Alfonso
und Bermejo, keine Katalonier; Sanpere möchte
sie wohl gerne dazu machen, ist uns aber den
untrüglichen Beweis dafür schuldig geblieben.
In Kürze hier die Hauptresultate der Arbeit:
Juan I. (gest. 1396) war mit einer Französin
vermählt und führte französische Sitten in
seinem Lande ein; sein Nachfolger Martin, der
1397 von Sizilien kam, liebte neben italienischen
Gemälden flämische Gobelins. 1403 schenkte er
der Kathedrale von Barcelona eine „Veronika",
ein sienisches Gemälde. Es wird nicht das ein-
zige Sieneser Kunstwerk gewesen sein, das die
katalonischen Meister zu Gesicht bekamen.
Ganz unter dem Einfluß dieser italienischen
Kunst steht, sowohl was Auffassung wie Ge-
wandbehandlung anbetrifft, vor allem Luis
Borassa, 1396—1426 als Künstler nachweis-
bar. Hauptwerke: Retablo S. Clara (Vich. 1415),
Madonna von Manresa, Allerheiligenaltar S.
Cugat de Valles, S. Llorens de Morunys (1419).
Die Zuweisung des Johannesaltars in Paris an
Borassa halte ich nicht für berechtigt. Die Ge-
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