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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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Weese-Bern, Artur: Burgunder Kirchen: (Cluny, Autun, Pontigny)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0195

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Weese. Burgunder Kirchen

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fenster, kein Altar, kein Bild. Wie ausgeplündert. Unter dem Dache der katholischen
Kirche haben alle guten Geister der schmückenden Künste Unterschlupf gefunden. Die
ernsten und andächtigen, ebenso wie die weltlustigen und farbenfreudigen. Selbst
Witz und Burleske, Spott und Ironie, kecker Übermut und volkstümliche Derbheit, alle
die lauten und dreisten, die stillen und frommen Gesellen aus der großen fabrica
ecclesiae der Dombauhütte sind aufgenommen worden in dem Schoße der alleinselig-
machenden Kirche.
Aber in dieser Urkirche des Cistercienser Ordens hat auch nicht einer der
kunstreichen Köpfe an die Arbeit gehen dürfen; nur der Baumeister hat geschafft.
Als sollten die Handwerker, die Maler und Gipser, die Schreiner und Tüncher, die
Schlosser und Steinmetzen, die Bildschnitzer und Glasmaler erst einziehen, so erwar-
tungsvoll und sdimuckbedürftig standen die Wände, Pfeiler und Altäre und riefen nach
Farbe und Bild.
Vor solchen Bauten verstummt das fachwissenschaftliche Interesse für Stil- und
Schulfragen, die nach rückwärts Zusammenhänge suchen. Das sind deutlich Anfänge.
Sie haben etwas vom Ernst des ersten Schöpfungstages. Hier redet ein Wille der klar
und groß, aber auch hart und rücksichtslos auf sein Ziel gegangen ist. Er will nicht
gewinnen, sondern abwehren. Er ist nie verlegen um Ausdrucksmittel, weil er immer
nur ein „Nein" und abermals ein „Nein" zu sagen hat. So streng herrisch ist die
Kunst nie angepackt worden wie von diesen Bauherren. Als dienende Magd hat sie
sich zu beugen und nichts darf sie aus dem großen Schatz ihrer Bilder und Herrlich-
keiten einschmuggeln, denn dieser Wille haßt alles Spiel und jeden Traum, er kennt
nur Verzicht und Entbehrung als Ziel und Dank des Lebens. Er würgt die Phantasie
und blendet „der Augen weit- und erdgemäß Organ". Er ist der Todfeind der Frau
Welt und ihrer schönsten Gespielin, der schmuckfreudigen Kunst. Wo keine Lust ist,
ist keine Kunst; alles Puritanertum wird aus dem Paradies der freien Künste hinaus-
getrieben in die Wüste der Abstraktion. So hat auch das Mönchswesen, wenn es seinen
innersten Willen durchsetzen konnte alle Blüten der malerischen und schmückenden
Phantasie verdorren lassen. Ob sich diese Zeloten den Himmel ihrer Sehnsucht auch
so kahl und erstorben vorgestellt haben? Wer hätte es da nicht als echtes Weltkind
vorgezogen, bei dem dichtgedrängten Sündervolk in der wohltemperierten Vorhölle
zu sitzen.
Pontigny ist die Urkirche des Cistercienser Ordens. Nirgendwo hat sich die
mittelalterliche Weltflucht ein Bauwerk geschaffen, das so dogmatisch und kanonisch
den Geist des Mönchtums ausgesprochen hätte. Die Cistercienser waren eine purifizierte
Neugründung auf dem Boden der alten Benediktinerregel. In Cluny und seinen Tochter-
klöstern war der Geist der Üppigkeit eingezogen. In Citeaux und Clairvaux sollte die
reine und echte Klösterlichkeit wieder hergestellt werden. Die strengste Askese und
die unbedingte Treue gegen die drei Gelübde wurde zur hehrsten Pflicht gemacht und
als ein sichtbarer Ausdruck der radikalen Verschärfung der Ordensregel entstand eine
Bauordnung für die neuen Kirchenbauten, die sich deutlich Satz für Satz gegen den
hochmütigen Machtausspruch der Clunyacenser Baugewohnheit wendete. Die Cister-
 
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