Studien und Forschungen
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Bank die Umfassungsmauern Tangenten bilden.
Es bleiben dann nur in den hinteren Ecken zwei
relativ winzige Zwickelpodeste in der Höhe des
ersten Stockwerkes übrig, die durch Treppen
von der Rückseite des Gebäudes her zugänglich
sind. Im Obergeschoß werden dann, nach der
Rekonstruktion von Knackfuß, einfach die auf-
steigenden Fensterwände sichtbar, die mit ihrer
rechtwinkligen Anordnung zu den Kurven der
Sitzbänke recht dissonierend gewirkt haben
müßten, wie denn überhaupt die Ansicht des
Innenraumes in der Rekonstruktion einen her-
vorragend nüchternen Eindruck macht. Das
Befremdliche des Bildes wird noch gesteigert
durch die von Knackfuß gewählte Anordnung der
Deckenstützen, die bei der großen Spannweite
des Raumes nötig waren, und deren Existenz
durch Auffindung von Säulentrümmern im Innern
der Ruine gesicliert ist. Knackfuss setzt zwei
von den Säulen mitten in die Reihen der Sitz-
bänke hinein, zwei andere auf die Parodoswände
zwischen „Orchestra" und Vorflur, die er zu
diesem Zwecke bis zur Höhe des ersten Stock-
werkes emporführen muß. Ist diese Rekon-
struktion, die ästhetisch mehrfach anfechtbar ist,
durch den Zustand der Ruine zwingend nahe
gelegt? Diesen Eindruck gewinnt man nach der
Zeichnung des tatsächlichen Befundes auf Tafel I
nicht, namentlich scheint es mir nicht nötig, die
Sitzreihen bis zur Tangierung mit den Um-
fassungsmauern emporzuführen. Erhalten sind
nur neun Reihen, von einer zehnten die Unter-
mauerung aus Porosblöcken. Da bleibt noch
viel Raum bis zu den Umfassungsmauern. Muß
dieser notwendig mit weiteren Sitzbänken aus-
gefüllt gewesen sein? Der Vergleich mit dem
Ekklesiasterion von Priene legt den Versuch einer
andern Rekonstruktion nahe mit dem Ziele,
einen oberen Umgang mit Stützenstellungen zu
gewinnen, welche die in der Spannweite ver-
ringerte Decke aufnehmen und tragen könnten.
Das würde erreicht, wenn man in Milet die
Sitzreihen in einer bestimmten Entfernung von
den Wänden aufhören läßt und hinter der obersten
eine der Kurve folgende Podestmauer bis zur
Höhe des äußeren Gurtgesimses aufgeführt denkt,
die den Boden eines Umganges in eben dieser
Höhe stützte. Am inneren Rande dieses Um-
ganges könnten dann die Säulen gestanden
haben, welche das Balkenlager der Decke trugen
und zugleich den harten Zusammenstoß gerader
und gekrümmter Linien und Flächen milderten,
wie er in der jetzt gegebenen Rekonstruktion
so empfindlich wirkt. Gleichzeitig würde dann
im oberen Geschoß eine gewisse Fußbodenfläche
gewonnen, die man wegen des doppelten Treppen-
zuganges dorthin voraussetzen möchte, während
im andern Falle die Treppen als Zugang zu den
winzigen Zwickeln ziemlich deplaciert erscheinen
wollen. Ob die so gewonnene Verringerung der
Spannweite genügt, um ohne weitere Mittel-
stützen, vielleicht gar ohne die beiden Säulen
auf den Parodoswänden auszukommen, müssen
Kundigere entscheiden. Bei der Bibliothek von
Ephesos war eine Spannweite von 16,50 m ohne
Innenstützen zu bewältigen. Auf ein ähnliches
Maß müßte in Milet auf dem angedeuteten Wege
wohl zu gelangen sein.
Zu erwähnen ist noch ein besonderer kleiner
Zierbau, der sich frei in der Mitte des peristylen
Vorhofes erhebt. Er ist mit der Erbauung des
Rathauses nicht gleichzeitig, die Verwendung
von Kalkmörtel weist seine Errichtung in römische
Zeit. Auf einem Unterbau von drei Stufen erhebt
sich ein massiver, mit Girlanden geschmückter
Sockel, darüber eine Säulenstellung mit reichem
Gebälk vor geschlossenen Wänden, die in den
Interkolumnien, diese ganz ausfüllend, mit Reliefs
geschmückt sind. Die Bedeutung des Denkmals
ist nicht klar. Man möchte an einen Altar
denken, den man im Zusammenhang mit der
Rathausanlage ungern vermißt, wie er denn auch
im Ekklesiasterion von Priene vorhanden war,
der aber an anderer Stelle des milesischen Baus
nicht nachweisbar ist. Die Entdecker machen
gegen diese Erklärung die späte Entstehung des
Denkmals geltend und daß es schwierig sei, die
für eine Altaranlage erforderliche Treppe zu
rekonstruieren. Bruchstücke eines in der Nähe
gefundenen steinernen Sarkophages, die man zu
dem besprochenen Bau in Beziehung setzte,
haben zu der Vermutung geführt, daß in ihm
ein „Ehrengrab" erhalten sei. Das letzte Wort
in dieser Sache scheint mir noch nicht gesprochen,
Rätselhaft wie der Bau selbst, sind ihrem Stil
nach auch die Reliefs, die ihn schmückten. Wenn
auch flüchtig in der Ausführung, haben sie doch
einen bestimmt ausgesprochenen künstlerischen
Charakter, zu dem ich in römischer Plastik keine
Analogien finde. Wenn Wiegand die Reliefs
neben die Sarkophage der römischen Kaiserzeit
setzt, so kann ich darin nicht folgen, empfinde
hier und dort vielmehr alles gegensätzlich. Das
Formengefühl, die Behandlung des Stofflichen,
die Anlage in großen, breiten Flächen, die durch
schwere, lastende Faltenzüge unterbrochen sind,
überhaupt der Zug zum Großen und Massigen,
wie er sich namentlich in den beiden Reliefs auf
Tafel XVII ausspricht, findet am ersten eine
Parallele in den Skulpturen von Magnesia, und
zwar eher in denen der älteren Reihe, dem
Fries vom Altar der Artemis Leukophryene, als
in den jüngeren. Als Besonderheit zeigen aber
die milesischen Reliefs einen Zug zum Malerischen,
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Bank die Umfassungsmauern Tangenten bilden.
Es bleiben dann nur in den hinteren Ecken zwei
relativ winzige Zwickelpodeste in der Höhe des
ersten Stockwerkes übrig, die durch Treppen
von der Rückseite des Gebäudes her zugänglich
sind. Im Obergeschoß werden dann, nach der
Rekonstruktion von Knackfuß, einfach die auf-
steigenden Fensterwände sichtbar, die mit ihrer
rechtwinkligen Anordnung zu den Kurven der
Sitzbänke recht dissonierend gewirkt haben
müßten, wie denn überhaupt die Ansicht des
Innenraumes in der Rekonstruktion einen her-
vorragend nüchternen Eindruck macht. Das
Befremdliche des Bildes wird noch gesteigert
durch die von Knackfuß gewählte Anordnung der
Deckenstützen, die bei der großen Spannweite
des Raumes nötig waren, und deren Existenz
durch Auffindung von Säulentrümmern im Innern
der Ruine gesicliert ist. Knackfuss setzt zwei
von den Säulen mitten in die Reihen der Sitz-
bänke hinein, zwei andere auf die Parodoswände
zwischen „Orchestra" und Vorflur, die er zu
diesem Zwecke bis zur Höhe des ersten Stock-
werkes emporführen muß. Ist diese Rekon-
struktion, die ästhetisch mehrfach anfechtbar ist,
durch den Zustand der Ruine zwingend nahe
gelegt? Diesen Eindruck gewinnt man nach der
Zeichnung des tatsächlichen Befundes auf Tafel I
nicht, namentlich scheint es mir nicht nötig, die
Sitzreihen bis zur Tangierung mit den Um-
fassungsmauern emporzuführen. Erhalten sind
nur neun Reihen, von einer zehnten die Unter-
mauerung aus Porosblöcken. Da bleibt noch
viel Raum bis zu den Umfassungsmauern. Muß
dieser notwendig mit weiteren Sitzbänken aus-
gefüllt gewesen sein? Der Vergleich mit dem
Ekklesiasterion von Priene legt den Versuch einer
andern Rekonstruktion nahe mit dem Ziele,
einen oberen Umgang mit Stützenstellungen zu
gewinnen, welche die in der Spannweite ver-
ringerte Decke aufnehmen und tragen könnten.
Das würde erreicht, wenn man in Milet die
Sitzreihen in einer bestimmten Entfernung von
den Wänden aufhören läßt und hinter der obersten
eine der Kurve folgende Podestmauer bis zur
Höhe des äußeren Gurtgesimses aufgeführt denkt,
die den Boden eines Umganges in eben dieser
Höhe stützte. Am inneren Rande dieses Um-
ganges könnten dann die Säulen gestanden
haben, welche das Balkenlager der Decke trugen
und zugleich den harten Zusammenstoß gerader
und gekrümmter Linien und Flächen milderten,
wie er in der jetzt gegebenen Rekonstruktion
so empfindlich wirkt. Gleichzeitig würde dann
im oberen Geschoß eine gewisse Fußbodenfläche
gewonnen, die man wegen des doppelten Treppen-
zuganges dorthin voraussetzen möchte, während
im andern Falle die Treppen als Zugang zu den
winzigen Zwickeln ziemlich deplaciert erscheinen
wollen. Ob die so gewonnene Verringerung der
Spannweite genügt, um ohne weitere Mittel-
stützen, vielleicht gar ohne die beiden Säulen
auf den Parodoswänden auszukommen, müssen
Kundigere entscheiden. Bei der Bibliothek von
Ephesos war eine Spannweite von 16,50 m ohne
Innenstützen zu bewältigen. Auf ein ähnliches
Maß müßte in Milet auf dem angedeuteten Wege
wohl zu gelangen sein.
Zu erwähnen ist noch ein besonderer kleiner
Zierbau, der sich frei in der Mitte des peristylen
Vorhofes erhebt. Er ist mit der Erbauung des
Rathauses nicht gleichzeitig, die Verwendung
von Kalkmörtel weist seine Errichtung in römische
Zeit. Auf einem Unterbau von drei Stufen erhebt
sich ein massiver, mit Girlanden geschmückter
Sockel, darüber eine Säulenstellung mit reichem
Gebälk vor geschlossenen Wänden, die in den
Interkolumnien, diese ganz ausfüllend, mit Reliefs
geschmückt sind. Die Bedeutung des Denkmals
ist nicht klar. Man möchte an einen Altar
denken, den man im Zusammenhang mit der
Rathausanlage ungern vermißt, wie er denn auch
im Ekklesiasterion von Priene vorhanden war,
der aber an anderer Stelle des milesischen Baus
nicht nachweisbar ist. Die Entdecker machen
gegen diese Erklärung die späte Entstehung des
Denkmals geltend und daß es schwierig sei, die
für eine Altaranlage erforderliche Treppe zu
rekonstruieren. Bruchstücke eines in der Nähe
gefundenen steinernen Sarkophages, die man zu
dem besprochenen Bau in Beziehung setzte,
haben zu der Vermutung geführt, daß in ihm
ein „Ehrengrab" erhalten sei. Das letzte Wort
in dieser Sache scheint mir noch nicht gesprochen,
Rätselhaft wie der Bau selbst, sind ihrem Stil
nach auch die Reliefs, die ihn schmückten. Wenn
auch flüchtig in der Ausführung, haben sie doch
einen bestimmt ausgesprochenen künstlerischen
Charakter, zu dem ich in römischer Plastik keine
Analogien finde. Wenn Wiegand die Reliefs
neben die Sarkophage der römischen Kaiserzeit
setzt, so kann ich darin nicht folgen, empfinde
hier und dort vielmehr alles gegensätzlich. Das
Formengefühl, die Behandlung des Stofflichen,
die Anlage in großen, breiten Flächen, die durch
schwere, lastende Faltenzüge unterbrochen sind,
überhaupt der Zug zum Großen und Massigen,
wie er sich namentlich in den beiden Reliefs auf
Tafel XVII ausspricht, findet am ersten eine
Parallele in den Skulpturen von Magnesia, und
zwar eher in denen der älteren Reihe, dem
Fries vom Altar der Artemis Leukophryene, als
in den jüngeren. Als Besonderheit zeigen aber
die milesischen Reliefs einen Zug zum Malerischen,