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Monatshefte für Kunstwissenschaft
gründen für Abtragung der Augustinerkirche
eingetreten, die kirchliche Behörde hat von
dem Gebäude, das einst Tintorettos riesen-
hafte Kreuzigung (jetzt in Schleißheim) beher-
bergte, jetzt aber längst profanen Zwecken dient,
für alle Zeiten ihre Hand endgültig abgezogen,
audi unser Gabriel von Seidl, der treue
Vorkämpfer für die Erhaltung der Kirche, hatte
durch ein ihm in unglücklicher Stunde ein-
gefallenes Kompromiß-Umbauprojekt die Lage
nicht verbessert. Dazu kam ausschlaggebend,
daß das bayerische Generalkonservatorium für
Erhaltung der Kunstdenkmäler den architekto-
nischen Wert der Kirche verneint hatte. Ein
verhängnisvolles „Nein", für das natürlicher-
weise jetzt „die" Kunstgelehrten von der auf-
gebrachten Künstlerschaft verantwortlich ge-
macht werden. Aber man mag über die Ant-
wort denken wie man will: jedenfalls war die
Fragestellung verfehlt. Verfehlt, weil unsach-
lich, unfachmännisch, unlogisch. — Nicht auf die
arme, alte, halbzerfallene Kirche kam es an,
sondern auf das Ensemble, von dem sie ein
Teil ist. Daß aber auch ein Städtebild — ein
„Bild", ein unantastbares Kunstwerk sein kann,
scheint bei jener Fragestellung niemand einge-
fallen zu sein.
Die Schlacht war bereits so gut wie ver-
loren, als in der denkwürdigen Sitzung des
bayrischen Reichsrats vom 13. März 1. J. eine
unerwartete Wendung eintrat. Dank des Zu-
sammenwirkens dreier starker Männer, des
Prinzen Rupprecht von Bayern, des Erz-
gießers Ferd. von Miller und des Frei-
herrn von Cramer-Klett wurde der Antrag
auf Abbruch der Kirche nochmals zur Beratung
an den Ausschuß zurückgegeben. Es ist also
noch Zeit zur Überlegung! — Die Angelegen-
heit wird sich in Bälde zu einer sehr prak-
tischen Frage zuspitzen. Wird man kurzsichtig
genug sein, an dieser Stelle mitten in der
besten Geschäftslage, wie von der Regierung
projektiert ist, ein riesenmäßiges Polizei-
gebäude mit Amtsgefängnis (!) und Schutz-
mannskaserne (!) zu errichten? — Oder wird
sich das Kapital finden zur Anlage eines groß-
zügigen Passagebaues in der Art der Mailänder
Galerie, wie er ein solcher hier einzig und
allein am Platze ist? — Im ersteren Fall wäre
die viel umstrittene Kirche freilich ein Unding;
sie müßte fallen. Im anderen Fall aber ließe
sie sich (durchaus als Hallenbau) erhalten: man
vermehre nur die Zahl der seitlichen Tor-
eingänge entsprechend der Länge des Ganzen
und man hat für die projektierte „Passage" den
monumentalsten Portalvorbau, der sich denken
läßt. Es kommt nur auf die Baukünstler an,
für die Verbindung der zu errichtenden Galerie-
umgänge mit dem Kirdienbau eine architekto-
nische Lösung zu finden.
Georg Habicht
FLORENZ ^ =-.=
Von den Statuen, die Michelangelo in Flo-
renz für das Juliusgrabmal arbeitete, war die
Gruppe des „Siegers" bis zum Jahre 1565
in der Werkstatt Michelangelos in der Via
Mozza, der jetzigen Via Zanobi geblieben; in
jenem Jahre gelangten sie als Geschenk der
Erben des Meisters in den Besitz des Herzogs
Cosimo und wurde im großen Saale des Pa-
lazzo Vecchio aufgestellt. Bei der Gründung
des Museo Nazionale im Jahre 1868 gelangte
sie in dessen Räume. Sie war also stets der
Bewunderung der Welt zugänglich. Nicht so
erging es den vier angehauenen Blöcken,
aus welchen Michelangelo große Einzelfiguren
schaffen wollte und die in seinem Werke die
Funktion von tragenden Kräften erfüllen sollten.
Sie wurden in den die Reisenden so lebhaft
anziehenden romantisch- barocken Grotten der
Boboli-Gärten zu Florenz in die Tropfstein-
dekoration einbezogen und so zum größten Teil
verdeckt. In den letzten Tagen sind sie nun
von dort entfernt und in die „Opera delle
Pietre dure" geschafft worden, wo sie in Gips
abgegossen werden sollen. Gipskopien sollen
sie an ihrer alten Stelle ersetzen; die Originale
selber werden aber in der Tribuna des David
in der Akademie aufgestellt werden. Wir wer-
den nun durch die unbehinderte Prüfung einer
ganzen Reihe von mitten in der Arbeit ver-
lassenen Statuen in der Lage sein, neue Er-
kenntnisse über den Arbeitsprozeß des Meisters
zu gewinnen; nach der Untersuchung eines der
Blöcke, die dem Unterzeichneten ermöglicht war,
hat Michelangelo das Verfahren der schicht-
weisen Ablösung des Steins von der Haupt-
ansicht her, wie es Hildebrand als das dem
Meister gewohnte Vorgehen annimmt und wie
es beim Matthäus angewendet ist, nicht be-
folgt, sondern sofort von drei Seiten her die
Freilegung der Gestalt in Angriff genommen.
Die Herausholung dieser angefangenen Werke
ist zum Teil wenigstens durch die neuen For-
schungen über Michelangelo, welche die letzten
Jahre gebracht haben und welche das Floren-
tiner Publikum sehr beschäftigten, angeregt
worden. Solches erneute starke und lebendige
Interesse ist es auch, welchem wir es bald ver-
danken werden, daß eine getreue Marmorkopie
Monatshefte für Kunstwissenschaft
gründen für Abtragung der Augustinerkirche
eingetreten, die kirchliche Behörde hat von
dem Gebäude, das einst Tintorettos riesen-
hafte Kreuzigung (jetzt in Schleißheim) beher-
bergte, jetzt aber längst profanen Zwecken dient,
für alle Zeiten ihre Hand endgültig abgezogen,
audi unser Gabriel von Seidl, der treue
Vorkämpfer für die Erhaltung der Kirche, hatte
durch ein ihm in unglücklicher Stunde ein-
gefallenes Kompromiß-Umbauprojekt die Lage
nicht verbessert. Dazu kam ausschlaggebend,
daß das bayerische Generalkonservatorium für
Erhaltung der Kunstdenkmäler den architekto-
nischen Wert der Kirche verneint hatte. Ein
verhängnisvolles „Nein", für das natürlicher-
weise jetzt „die" Kunstgelehrten von der auf-
gebrachten Künstlerschaft verantwortlich ge-
macht werden. Aber man mag über die Ant-
wort denken wie man will: jedenfalls war die
Fragestellung verfehlt. Verfehlt, weil unsach-
lich, unfachmännisch, unlogisch. — Nicht auf die
arme, alte, halbzerfallene Kirche kam es an,
sondern auf das Ensemble, von dem sie ein
Teil ist. Daß aber auch ein Städtebild — ein
„Bild", ein unantastbares Kunstwerk sein kann,
scheint bei jener Fragestellung niemand einge-
fallen zu sein.
Die Schlacht war bereits so gut wie ver-
loren, als in der denkwürdigen Sitzung des
bayrischen Reichsrats vom 13. März 1. J. eine
unerwartete Wendung eintrat. Dank des Zu-
sammenwirkens dreier starker Männer, des
Prinzen Rupprecht von Bayern, des Erz-
gießers Ferd. von Miller und des Frei-
herrn von Cramer-Klett wurde der Antrag
auf Abbruch der Kirche nochmals zur Beratung
an den Ausschuß zurückgegeben. Es ist also
noch Zeit zur Überlegung! — Die Angelegen-
heit wird sich in Bälde zu einer sehr prak-
tischen Frage zuspitzen. Wird man kurzsichtig
genug sein, an dieser Stelle mitten in der
besten Geschäftslage, wie von der Regierung
projektiert ist, ein riesenmäßiges Polizei-
gebäude mit Amtsgefängnis (!) und Schutz-
mannskaserne (!) zu errichten? — Oder wird
sich das Kapital finden zur Anlage eines groß-
zügigen Passagebaues in der Art der Mailänder
Galerie, wie er ein solcher hier einzig und
allein am Platze ist? — Im ersteren Fall wäre
die viel umstrittene Kirche freilich ein Unding;
sie müßte fallen. Im anderen Fall aber ließe
sie sich (durchaus als Hallenbau) erhalten: man
vermehre nur die Zahl der seitlichen Tor-
eingänge entsprechend der Länge des Ganzen
und man hat für die projektierte „Passage" den
monumentalsten Portalvorbau, der sich denken
läßt. Es kommt nur auf die Baukünstler an,
für die Verbindung der zu errichtenden Galerie-
umgänge mit dem Kirdienbau eine architekto-
nische Lösung zu finden.
Georg Habicht
FLORENZ ^ =-.=
Von den Statuen, die Michelangelo in Flo-
renz für das Juliusgrabmal arbeitete, war die
Gruppe des „Siegers" bis zum Jahre 1565
in der Werkstatt Michelangelos in der Via
Mozza, der jetzigen Via Zanobi geblieben; in
jenem Jahre gelangten sie als Geschenk der
Erben des Meisters in den Besitz des Herzogs
Cosimo und wurde im großen Saale des Pa-
lazzo Vecchio aufgestellt. Bei der Gründung
des Museo Nazionale im Jahre 1868 gelangte
sie in dessen Räume. Sie war also stets der
Bewunderung der Welt zugänglich. Nicht so
erging es den vier angehauenen Blöcken,
aus welchen Michelangelo große Einzelfiguren
schaffen wollte und die in seinem Werke die
Funktion von tragenden Kräften erfüllen sollten.
Sie wurden in den die Reisenden so lebhaft
anziehenden romantisch- barocken Grotten der
Boboli-Gärten zu Florenz in die Tropfstein-
dekoration einbezogen und so zum größten Teil
verdeckt. In den letzten Tagen sind sie nun
von dort entfernt und in die „Opera delle
Pietre dure" geschafft worden, wo sie in Gips
abgegossen werden sollen. Gipskopien sollen
sie an ihrer alten Stelle ersetzen; die Originale
selber werden aber in der Tribuna des David
in der Akademie aufgestellt werden. Wir wer-
den nun durch die unbehinderte Prüfung einer
ganzen Reihe von mitten in der Arbeit ver-
lassenen Statuen in der Lage sein, neue Er-
kenntnisse über den Arbeitsprozeß des Meisters
zu gewinnen; nach der Untersuchung eines der
Blöcke, die dem Unterzeichneten ermöglicht war,
hat Michelangelo das Verfahren der schicht-
weisen Ablösung des Steins von der Haupt-
ansicht her, wie es Hildebrand als das dem
Meister gewohnte Vorgehen annimmt und wie
es beim Matthäus angewendet ist, nicht be-
folgt, sondern sofort von drei Seiten her die
Freilegung der Gestalt in Angriff genommen.
Die Herausholung dieser angefangenen Werke
ist zum Teil wenigstens durch die neuen For-
schungen über Michelangelo, welche die letzten
Jahre gebracht haben und welche das Floren-
tiner Publikum sehr beschäftigten, angeregt
worden. Solches erneute starke und lebendige
Interesse ist es auch, welchem wir es bald ver-
danken werden, daß eine getreue Marmorkopie