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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0215

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Rundschau

207

ob ein ehrlidier Bewunderer sie darauf gesetzt
hatte, ist nicht bekannt geworden, doch wurden
sie beim akademischen Wägen sicherlich zu
leicht befunden. Die Academy wählte sich lieber
die Herren Dagnan-Bouveret und den Bildhauer
Antonin Mercie zu Mitgliedern. Der erstere
hat diese Auszeichnung sicher verdient, denn
sein Bild „Impfung" schmückte einst eine Aca-
demyausstellung und wurde dann bei Christie
für 1500 Gs. verkauft. Was Herrn Mercie grade
die Ehre verschafft hat, ist nicht so ersichtlich.
Mr. George Clausen ist endlich zum vollen Aka-
demiker gemacht worden. Da er seine Indivi-
dualität den akademischen Regeln nicht opfern
wollte, so hat er dreizehn Jahre darauf warten
müssen. Auch die internationale Gesellschaft
der Bildhauer, Maler und Radierer hat ihre
Wahlen abgehalten und u. a. Professor Freiherrn
v. Habermann zum Ehrenmitglied erwählt. Die
Gesellschaft eröffnet dieser Tage eine zweite
Ausstellung, die Porträts schöner Frauen aus
den letzten fünfzig Jahren bringen wird, darunter
auch Werke von Lenbach. Die im vorigen Jahre
gegründete „Modern Society of Portrait Painters"
hält jetzt ihre zweite Ausstellung in den Räumen
des Royal Institute ab. Die Ausstellung ist
eine Enttäuschung; viel Nachahmung und Mittel-
mäßiges macht sich breit. Dagegen bringt die
Ausstellung der „Society of Twelve" (Messrs.
Muirhead Bone, John, Charles Shannon, Legros,
George Clausen usw.) eine Reihe individuell be-
deutsamer Stücke, wie denn die Ausstellungen
dieser jungen Gesellschaft überhaupt zu den be-
deutenderen Ereignissen des Jahres gehören.
In Messrs. Agnews Ausstellungsraum in Bond
St. sind Aquarelle älterer wie neuerer Zeit in
interessanter Entwicklung vereinigt. In der
Galerie der „Fine Arts Society" deuten einige
Gartenskulpturen der Lady Chance auf den
Wechsel im Geschmack für Gartenanlagen hin.
Die Behandlung des Gartens als eine Fort-
setzung des Hauses scheint jetzt auch im klassi-
schen Lande des „englischen Gartens" Anklang zu
finden. Aus Glasgow und aus Edinburgh liest
man gute Berichte über die Ausstellungen der
„Glasgow Society of Artists" und der „Royal
Scottish Academy", welch letztere wenigstens
es nicht unter ihrer Würde hielt Rodin zum
Ehrenmitglied zu ernennen. Er steuert denn
auch ein Stück, „Love the Conqueror", bei.
Ein seltsamer Rechtsfall beschäftigte hier
jüngst die Künstlerwelt. Mitglieder des „United
Arts Club" sahen ihre Werke plötzlidi beschlag-
nahmt, weil der Grundbesitzer eine Forderung
gegen den dem Club sein Ausstellungslokal ver-
mietenden Hausinhaber geltend machte, und da-
her alles, was in dem Hause zu finden war, zur

Deckung dieser Forderung dienen mußte. Für
Künstler also besteht jetzt hier ein neues Risiko;
sie müssen für die Schulden anderer mit ihren
Werken haften.
Das wichtigste Ereignis des vergangenen
Monats war die Entscheidung bezüglich des
neuen Rathauses für den Londoner County
Council. Für lange Zeit bedeutet es die hervor-
ragendste Monumentalaufgabe, die London zu
vergeben hat. An der Themse, schräg gegen-
über dem Parlament soll es sich erheben, 100
Fuß über dem Wasser und 700 Fuß lang, —
wahrlich eine Gelegenheit ersten Ranges für
einen großen Architekten. Aber die in Frage
kommenden Autoritäten wünschten vor allem,
daß es möglichst wenig kosten solle. So wurden
denn schon bei der Ausschreibung allerlei Be-
schränkungen auferlegt, und was herausge-
kommen ist, ist denn auch nur ein riesiger Nutzbau-
kasten in sogenannter englischer Renaissance, der
zwar all die vielen Schreiber schönstens beher-
bergen, sonst aber zum Ruhme Londons wenig
hinzufügen wird. Die Juroren, unter ihnen der
greise Norman Shaw und Sir Aston Webb,
Erbauer des riesigen neuen Victoria- und Albert-
Museums, erkannten einem Mr. R. Knott,
einem dreiundzwanzigjährigen jungen Architek-
ten, einstimmig den Preis zu. Da Knott ein
Schüler Webbs ist, und sein Entwurf nichts von
einer besonderen Note aufweist, kann man wohl
eigentlich sagen, daß Webb der Vater desselben
ist. Erstaunlich ist es allerdings, wie sehr der
Entwurf allen gemachten praktischen An-
forderungen gerecht wird. Um die furchtbare
Monotonie der siebenhundert Fuß langen Fluß-
front einigermaßen abzuschwächen, hebt Knott
den Mitteltrakt des Gebäudes durch eine wuch-
tige Säulenstellung heraus und gibt wenigstens
den Enden der zwei Seitenflügel durch durch-
gehende Rustikapilaster einen gewissen Charak-
ter. Die Dachproblemlösung scheint am wenigsten
gelungen; acht Schornsteine, je vier auf den zwei
Seitenflügeln, erheben sich schüchtern einige Fuß
hoch, als wäre die Vertikale hier ganz verpönt.
Und die kleine Laterne auf dem Mitteltrakt
kann da auch keine Abhilfe schaffen. Eine ge-
wisse utilitarische Würde wird man ja dem Ge-
bäude nicht absprechen können, denkt man aber
an das gegenüberliegende Parlament und seine
historische Bedeutung für die Architektur des
neunzehnten Jahrhunderts, so muß man die Spar-
samkeit der Stadtväter doppelt bedauern, denen
es nur um die Befriedigung ihrer Not, nicht um
den Ruhm und die Schönheit ihrer Stadt zu
tun war.
Daß diese Herrschaften natürlidi keinen
Pfennig übrig hatten, um die alte Crosby Hall
 
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