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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0222

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

anderer norddeutscher Städte. Die Renaissance ist
zunächst, vom ersten Drittel des 16. Jahrhunderts
an, nur durch Fachwerkbauten vertreten, denen
Melhop ein eignes Kapitel widmet. Als frühester
Massivbau der Renaissance wird die Fassade
bezeichnet, die man 1602 aus Ziegel- und Hau-
stein in holländischem Geschmack vor das lang-
gestreckte gotische Rathaus setzte. Zwischen
den breiten Fenstern standen Kaiserfiguren in
Nischen. Ein Giebel fehlt merkwürdigerweise,
wenigstens auf der erhaltenen Ansicht. Dagegen
ist der charakteristische Dachreiter da. Das „rote
Haus" (1617) und der „Kaiserhof" (1619), dessen
Front im Museum für Kunst und Gewerbe kon-
serviert wird, sind die einzigen wichtigen Zeugen
für die Aufteilung der Fassade durch ein Gerüst
von Pilastern resp. Halbsäulen und Gurtgesimsen.
In den so gebildeten rechteckigen Feldern machen
sich die Fenster derart breit, daß kaum ein
schmaler Wandstreifen übrig bleibt. Ein solches
konsequent durchgeführtes System von Trägern
und Gesimsen, das sonst in Norddeutschland
schon früher, in Danzig z. B. in den 60er Jahren
des 16. Jahrhunderts auftaucht, geht mehr auf
süddeutsche Anregungen zurück, als auf Holland,
wie Melhop meint. Für längere Zeit eingebürgert
hat sich dieser Aufbau im Norden nirgends. Man
empfand eine gesunde Abneigung gegen das
vorgelegte Rahmenwerk, das weder eine or-
ganische Funktion hat noch rhythmisch gliedert.
Die holländische Architektur mit ihrem male-
rischen Flächencharakter wurde als sinnesver-
wandter willkommen geheißen. Neben den be-
deutenden auswärtigen Denkmälern dieses Stiles
(Rathaus in Münden, Zeughaus in Danzig, Börse
in Kopenhagen) ist das hamburgische Rathaus,
nach der dürftigen Abbildung zu urteilen, nur
ein bescheidenes Beispiel.
Bedeutungsvoller für Hamburg sind die zahl-
reichen, durch Photographie und vereinzelt noch
im Original erhaltenen Fassaden aus der 2. Hälfte
des 17. Jahrhunderts, in denen Melhop „franzö-
sischen Einfluß" wahrnimmt. Sie sind ebenso-
gut der klassizistischen Richtung in Holland an-
zugliedern, deren Hauptdenkmal, das Stadthaus
zu Amsterdam, 1648 begonnen wurde. Man
überträgt die Kolossalordnung von Pilastern auf
die schmalen, oft nur dreiachsigen Fronten und
führt die mittleren Vertikalen am Giebel auf-
wärts. Überschlanke Pilaster (aus Holz) ziehen
sich auch an den Rändern der bis zu 3 Stock
hohen „Ausluchten" hinauf, die den Häusern
einen charakteristischen asymmetrischen Akzent
geben. Diese Vorbauten, auf schmalem recht-
eckigen Grundriß in Fachwerk errichtet, sind je-
doch nur ein beweglicher, von der massiven Wand
lösbarer Schmuck, unabhängig von der eigent-

lichen Fassade. Diese bewahrt ein flaches Relief.
Es schieben sich nicht, wie in Süddeutschland,
zwei Träger, Pfeiler und Säule, voreinander. Ein
breiter flacher Pilaster ist die Regel. Säulen
fehlen gänzlich. Die Fenster sitzen rahmenlos
und ohne vorspringende Verdachung in der
Wand. In der Folge der Fenster findet kein
Wechsel statt. Das Mezzaningeschoß ist eine
Ausnahme. Kommt einmal Schmuck an der
Fassade vor, dann sind es schwere, üppig zu-
sammengedrängte Frucht- und Blumenguirlanden,
die glatte Fläche ringsum eher betonend als ne-
gierend. — Gegen Ende des Jahrhunderts tauchen
einzelne breit sich streckende Palastbauten
zwischen den hohen Fronten auf, zum Teil völlig
im internationalen Modestil, wie das Görzische
Palais (1710).
Eigenartiger entwickelt sich die Physiognomie
des bürgerlichen Hauses im 18. Jahrhundert. Ja,
man kann sagen, daß die hamburgische Archi-
tektur nun ihren eigensten Ausdruck findet. Der
abwägende, zurückhaltende Charakter, den die
Fassade bereits im 17. Jahrhundert angenommen
hatte, steigerte sich zu einer kühlen, harten Vor-
nehmheit. Die Kolossalordnungen verschwinden.
Kapitäle, jede Schmuckform scheiden aus. Schlichte
Lisenen bilden mit glatten Gesimsen die Rahmen
der ganz wenig zurückliegenden Fensterfelder.
Ein flach aufliegendes Band markiert die Stock-
werke. Der Hauptmeister dieser Zeit, Sonnin
(1713—1794), pflegt seine Fronten seitlich durch
rustikaartig gegliederte Streifen zu begrenzen,
die der Flächenbewegung ein neues, aber nicht
vorlautes Moment zufügen. Hier und da ist der
Mittelteil der Fassade als Risalit um ein Geringes
vorgezogen. In dieser Folge knapp und kantig
sich voneinander absetzender Schichten scheint
jeder Zentimeter Stein genau berechnet, der
schmälste Schlagschatten berücksichtigt. Es ist
charakteristisch, daß man den Ziegel roh läßt
und die weichen, verwischenden Übergänge des
Verputzes vermeidet. Eine norddeutsche, ver-
standesmäßige, wenn man will, etwas pedan-
tische und phantasiearme, aber für unser mo-
dernes Empfinden höchst geschmackvolle und
distinguierte Kunst, aus der auch Messels Fas-
saden ihren Ruhm schöpfen. Einmal hat man
versucht, einer Front durch Rokokoornament
und eine bewegtere Giebelsilhouette einen sprü-
henderen Zug zu geben. Zwischen süddeutschen
Fassaden würde sie sich ausnehmen wie ein
Hamburger, der in einen Münchner Karneval
hineingeschneit ist.
Die allgemeine Wendung zur klassizistischen
Architektur am Ende des 18. Jahrhunderts be-
deutete für Hamburg keinen „völligen Um-
schwung in der Bauweise", wie Melhop glaubt.
 
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