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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Am Schlüsse dieser Periode wird er von
Signorelli beeinflußt, der mit ihm gemeinsam
an der Kreuzigung der Akademie in Florenz
arbeitet. Freilich ist der Anteil Signorellis an
diesem Bilde doch wohl größer als Knapp an-
nimmt.
Die zweite Epoche Peruginos 1491 bis 1496
ist die fruchtbarste und glänzendste Schaffens-
zeit, die mit einem Aufenthalte in Florenz zu-
sammenfällt. In diesen Jahren sind seine Haupt-
schöpfungen, wie die Vision des heiligen Bern-
hard in München und das monumentale Fresco
in Santa Maria della Pace in Florenz entstanden.
Hier wird ein neuer Hymnus auf ein stilles,
keusches Schönheitsideal gesungen, das dann
auch teilweise die Hochrenaissance beherrschen
sollte. Aber man darf nicht glauben, dies neue
Ideal würde etwa bewußt als eine Art Protest
dem energisch temperamentvollen Naturalismus
in Florenz und seinen Begriffen der künstleri-
schen Wahrheit entgegengesetzt. Es handelt
sich eben hier nur um eine auf anderem Boden
gewachsene Kunst, die stark genug war, in der
anderen schärferen Luft von Florenz zu ge-
deihen. Der Mangel an dramatischer Kraft
und ursprünglichem Temperament ist übrigens
in dem Bilde in München geradezu zur Tugend
geworden. Filippino Lippi erscheint kleinlich
gegenüber dieser grandiosen Feierlichkeit. Das
Visionäre kommt durch die ätherische Empfin-
dungsweise und den durchsichtigen Glanz der
Farben vorzüglich zum Ausdruck. Dagegen zei-
gen nun die größten Monumentalgemälde, wie
die Himmelfahrt Christi in Borgo San Sepolcro
deutlich genug die Grenzen der Kunst Peru-
ginos. Seine figürlichen Kompositionen bleiben
ganz in der Bildfläche haften, deren Silhouette
freilich ohne sinngemäße lineare Tendenz allein
die künstlerische Wirkung des Ganzen über-
nimmt. Der Sinn für Proportionierung der
Massen geht Perugino vollkommen ab. Auch
macht sich der Mangel einer scharfen Mar-
kierung des Vordergrundes unangenehm fühlbar.
Perugino organisiert seine Gruppen nur der
Breite, nicht auch der Höhe und Tiefe nach.
Vielleicht hätte das von Knapp mehr betont
werden sollen. Der kurze Aufenthalt in Vene-
dig, der in der Madonna im Louvre den künst-
lerischen Niederschlag am deutlichsten erkennen
läßt, war, abgesehen vielleicht von dem Heiligen-
bilde in Sant' Agostino in Cremona für die
folgende Zeit nicht von weittragender Bedeu-
tung. Im Gegenteil, in den Jahren 1496 bis
1499 setzt bereits langsam ein Niedergang der
Kunst Peruginos in koloristischer Hinsicht ein.
Perugino wird als vielbegehrter Künstler mehr zu
einem fa presto Maler, dem das Geschäft über
die Kunst geht. Brach doch sogar der Volks-
unwille los, als er sich in der für S. Maria
Annunziata in Florenz gemalten Himmelfahrt
teilweise selbst wiederholte. Aber ganz so
stupide war die Wiederholung doch nicht: Bei
näherem Zusehen ergeben sich sehr feine, aber
sehr bedeutungsvolle Unterschiede, die Knapp
vielleicht doch hätte andeuten sollen, da sich
da deutlich die Entwicklung der Kunst Peru-
ginos manifestiert. Die untere Gruppe versucht
unter klarer Unterscheidung von Vordergrund-
und Mittelgrund — maßgebend ist das quanti-
tativ vollkommen andere Verhältnis der beiden
Jünger im Vordergründe zu den nunmehr ganz
mit Rücksicht auf diese angeordneten Gruppen
des Hintergrundes — nach der Tiefe hin sich
zu entwickeln, während der obere Teil durch
verschiedene kleine Änderungen, besonders der
Anordnung der Seraphimköpfe einen linearen,
rhythmischen Zusammenschluß nach oben hin
versucht. Aus demselben Grunde bleibt es auch
zu bedauern, daß Knapp es sich hat entgehen
lassen, an der Hand der Madonnendarstellungen
im Vatican, in Fano und Sinigaglia anzudeuten,
daß hier trotz der Wiederholungen und trotz
des Verfalls ein nicht zu leugnender Fortschritt
in der Organisation des Raumes und der Figuren-
gruppen sich vollzieht, der manche seiner Schwä-
chen in milderem Lichte erscheinen läßt.
Neben Signorelli ist vor allem Ghirlandajos
und Lorenzo di Credis Kunstweise für Perugino
in dieser Periode seines Schaffens von Bedeu-
tung geworden.
Die nächste Epoche seines Schaffens steht
für uns in dem Zeichen der Lehrjahre Rafaels.
In diese Zeit fällt die Ausmalung des Collegio
del Cambio, die entschieden zu viel gelobt
wurde, immerhin ein interessantes Gemisch von
antiken, philosophischen und religiösen Begriffen
und Allegorien, wie es für die Zeit charakteristisch
und in ähnlicher Weise ja auch anderwärts, wie
etwa der Sassettikapelle in Santa Trinitä in
Florenz u. a. vorkommt. Sicherlich macht sich
hier der vollständige Mangel an dramatischer
Belebung wie andererseits die Eintönigkeit des
Ausdruckes und das Schemenhafte der Bewegung
am stärksten fühlbar. Aber ganz ohne Fort-
schritt sind hinsichtlich der Raumkomposition
einige dieser Fresken doch nicht. Es steigert
sich das Volumen der Gestalten und die Ge-
wandung geht mehr als bisher auf eine monu-
mentale Wirkung aus. Dieses Streben geht
freilich auf Kosten der Koloristik. Auch die
Typen lassen eine Wandlung im Sinne der
Hochrenaissance erkennen. Die Intimität der
Empfindung ist freilich nun zu einer hier und
da fast grotesken schauspielerischen Floskel ge-
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Am Schlüsse dieser Periode wird er von
Signorelli beeinflußt, der mit ihm gemeinsam
an der Kreuzigung der Akademie in Florenz
arbeitet. Freilich ist der Anteil Signorellis an
diesem Bilde doch wohl größer als Knapp an-
nimmt.
Die zweite Epoche Peruginos 1491 bis 1496
ist die fruchtbarste und glänzendste Schaffens-
zeit, die mit einem Aufenthalte in Florenz zu-
sammenfällt. In diesen Jahren sind seine Haupt-
schöpfungen, wie die Vision des heiligen Bern-
hard in München und das monumentale Fresco
in Santa Maria della Pace in Florenz entstanden.
Hier wird ein neuer Hymnus auf ein stilles,
keusches Schönheitsideal gesungen, das dann
auch teilweise die Hochrenaissance beherrschen
sollte. Aber man darf nicht glauben, dies neue
Ideal würde etwa bewußt als eine Art Protest
dem energisch temperamentvollen Naturalismus
in Florenz und seinen Begriffen der künstleri-
schen Wahrheit entgegengesetzt. Es handelt
sich eben hier nur um eine auf anderem Boden
gewachsene Kunst, die stark genug war, in der
anderen schärferen Luft von Florenz zu ge-
deihen. Der Mangel an dramatischer Kraft
und ursprünglichem Temperament ist übrigens
in dem Bilde in München geradezu zur Tugend
geworden. Filippino Lippi erscheint kleinlich
gegenüber dieser grandiosen Feierlichkeit. Das
Visionäre kommt durch die ätherische Empfin-
dungsweise und den durchsichtigen Glanz der
Farben vorzüglich zum Ausdruck. Dagegen zei-
gen nun die größten Monumentalgemälde, wie
die Himmelfahrt Christi in Borgo San Sepolcro
deutlich genug die Grenzen der Kunst Peru-
ginos. Seine figürlichen Kompositionen bleiben
ganz in der Bildfläche haften, deren Silhouette
freilich ohne sinngemäße lineare Tendenz allein
die künstlerische Wirkung des Ganzen über-
nimmt. Der Sinn für Proportionierung der
Massen geht Perugino vollkommen ab. Auch
macht sich der Mangel einer scharfen Mar-
kierung des Vordergrundes unangenehm fühlbar.
Perugino organisiert seine Gruppen nur der
Breite, nicht auch der Höhe und Tiefe nach.
Vielleicht hätte das von Knapp mehr betont
werden sollen. Der kurze Aufenthalt in Vene-
dig, der in der Madonna im Louvre den künst-
lerischen Niederschlag am deutlichsten erkennen
läßt, war, abgesehen vielleicht von dem Heiligen-
bilde in Sant' Agostino in Cremona für die
folgende Zeit nicht von weittragender Bedeu-
tung. Im Gegenteil, in den Jahren 1496 bis
1499 setzt bereits langsam ein Niedergang der
Kunst Peruginos in koloristischer Hinsicht ein.
Perugino wird als vielbegehrter Künstler mehr zu
einem fa presto Maler, dem das Geschäft über
die Kunst geht. Brach doch sogar der Volks-
unwille los, als er sich in der für S. Maria
Annunziata in Florenz gemalten Himmelfahrt
teilweise selbst wiederholte. Aber ganz so
stupide war die Wiederholung doch nicht: Bei
näherem Zusehen ergeben sich sehr feine, aber
sehr bedeutungsvolle Unterschiede, die Knapp
vielleicht doch hätte andeuten sollen, da sich
da deutlich die Entwicklung der Kunst Peru-
ginos manifestiert. Die untere Gruppe versucht
unter klarer Unterscheidung von Vordergrund-
und Mittelgrund — maßgebend ist das quanti-
tativ vollkommen andere Verhältnis der beiden
Jünger im Vordergründe zu den nunmehr ganz
mit Rücksicht auf diese angeordneten Gruppen
des Hintergrundes — nach der Tiefe hin sich
zu entwickeln, während der obere Teil durch
verschiedene kleine Änderungen, besonders der
Anordnung der Seraphimköpfe einen linearen,
rhythmischen Zusammenschluß nach oben hin
versucht. Aus demselben Grunde bleibt es auch
zu bedauern, daß Knapp es sich hat entgehen
lassen, an der Hand der Madonnendarstellungen
im Vatican, in Fano und Sinigaglia anzudeuten,
daß hier trotz der Wiederholungen und trotz
des Verfalls ein nicht zu leugnender Fortschritt
in der Organisation des Raumes und der Figuren-
gruppen sich vollzieht, der manche seiner Schwä-
chen in milderem Lichte erscheinen läßt.
Neben Signorelli ist vor allem Ghirlandajos
und Lorenzo di Credis Kunstweise für Perugino
in dieser Periode seines Schaffens von Bedeu-
tung geworden.
Die nächste Epoche seines Schaffens steht
für uns in dem Zeichen der Lehrjahre Rafaels.
In diese Zeit fällt die Ausmalung des Collegio
del Cambio, die entschieden zu viel gelobt
wurde, immerhin ein interessantes Gemisch von
antiken, philosophischen und religiösen Begriffen
und Allegorien, wie es für die Zeit charakteristisch
und in ähnlicher Weise ja auch anderwärts, wie
etwa der Sassettikapelle in Santa Trinitä in
Florenz u. a. vorkommt. Sicherlich macht sich
hier der vollständige Mangel an dramatischer
Belebung wie andererseits die Eintönigkeit des
Ausdruckes und das Schemenhafte der Bewegung
am stärksten fühlbar. Aber ganz ohne Fort-
schritt sind hinsichtlich der Raumkomposition
einige dieser Fresken doch nicht. Es steigert
sich das Volumen der Gestalten und die Ge-
wandung geht mehr als bisher auf eine monu-
mentale Wirkung aus. Dieses Streben geht
freilich auf Kosten der Koloristik. Auch die
Typen lassen eine Wandlung im Sinne der
Hochrenaissance erkennen. Die Intimität der
Empfindung ist freilich nun zu einer hier und
da fast grotesken schauspielerischen Floskel ge-