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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0232

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224

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Als in die selbständige Forschung großen
Stils eben eintretender Privatdozent an der
Universität Wien hat Strzygowski im J. 1891
seine Byzantinischen Denkmäler mit der
Behandlung des armenischen Etschmiadzin-
Evangeliars vom J. 989 eröffnet. Heute kehrt
der zum Bannerträger einer neuen kunstgeschicht-
lichen Schule gewordene Gelehrte von Weltruf
zu dem Gebiet der armenischen Buchmalerei
zurück, um an der Hand eines im J. 1113 nach
einer Vorlage vom J. 893 geschriebenen Evan-
gelienkodex, Ma XIII, 1 der Universitätsbiblio-
thek zu Tübingen, in die Bedeutung speziell der
kleinarmenischen Miniaturenmalerei einzuführen.
Man bedarf nicht erst seiner eigenen dies-
bezüglichen Ausführungen S. 11 f., um inne zu
werden, welchen gewaltigen Fortschritt des
Verfassers über sich selbst hinaus die um ein
Vierteljahrhundert jüngere Publikation bezeich-
net. Dem Sospitator des Etschmiadzin-Evan-
geliars schien eine Frühperiode syrischen Ein-
flusses ein „ursprünglich so kunstarmes Gebiet
wie Armenien" für ein maßgebendes Zeitalter
byzantinischer Kunst vorbereitet und eine nur
recht allmähliche Emanzipation von der künst-
lerischen Weise Konstantinopels sich in der
armenischen Buchmalerei durch „sarazenische
Motive" angebahnt zu haben. Die Tübinger
Handschrift enthält von ihren Evangelisten-
bildern nur mehr die drei letzten und den über-
aus reichen ornamentalen Schmuck ebensovieler
Evangelientitelblätter, sowie zahlreicher Initialen
und Randdekorationen zu Anfang jedes Text-
kapitels. Aber dem durch eine unglaublich
emsige Forschungsarbeit immer tiefer in die
grundlegende Bedeutung des eigentlichen Orients
für die mittelalterliche Kunstentwicklung ein-
geführten, vor allem dem frisch von seinen
genialen Untersuchungen überMschatta kommen-
den Gelehrten genügt dieses Material, um eine
völlig neue und ungleich tiefere Auffassung von
der Stellung — zunächst einmal des kilikischen
— Armeniens im Rahmen der „byzantinischen
Frage" zu begründen, und mit einem nur dem
echten und ganzen Meister eigenen Freimut
sagt er klar und scharf, wie vieles er umgelernt
hat, auf verhältnismäßig sehr engem Raume
wieder eine Arbeit von grundlegender Bedeutung
liefernd.
Nicht eine vom spätantiken Hellenismus aus-
gegangene byzantinische Hauptstadtkunst ist es
mehr, von welcher das Tübinger Evangelien-
buch seinem Bearbeiter Armenien einseitig ab-
hängig zeigt. Der Typus des sitzenden Autoren-
bilds mag den Evangelistenblättern dieses Buches
aus dem ursprünglich hellenistischen Kleinasien
gekommen sein. Aber sein Mutterboden ge-

hörte von vornherein „künstlerisch in die Ein-
flußsphäre von Antiocheia, Edessa und Nisibis",
und was sich — vor allem im Ornament —
übermächtig hier ausdrückt, ist ein durch und
durch Orientalisches, in dem kaum „mehr als
ein vereinzeltes Motiv der Antike" sich „nahe
bringen" läßt, dessen Durchbruch vielmehr „ir-
gendwie zusammenzuhängen" scheint „mit der
Überflutung Kleinasiens durch die seldschukischen
Türken": der Einfluß des sassanidischen Persiens,
vermittelt durch denjenigen „der ungeheuer aus-
gedehnten islamischen Kulturwelt". Die „christ-
liche Enklave", welche das armenische Kilikien
in dieser Welt darstellt, ist wesenhaft nicht der
Schuldner eines von Westen kommenden Ein-
flusses Konstantinopels, sondern „Vermittler von
Kunstformen", die von Osten her ihrerseits „den
Ornamentstil der byzantinischen" ebensogut als
der „armenischen und slavischen Miniaturen-
malerei für alle Zeiten bestimmten." Was diese
Erkenntnis für die Gesamtwürdigung der kultur-
geschichtlichen Stellung des persisch-islamischen
Orients bedeutet, liegt auf der Hand. Jedes
überflüssige Wort könnte hier den Eindruck nur
abschwächen. Die scharfsinnige und umsichtige
Begründung der neuen These wird man ohne-
hin bei Strzygowski selbst nachzulesen haben.
Ein Doppeltes kommt in Frage. Zunächst er-
weist S. 8—21 eine sorgfältige Typenvergleidiung
Schritt für Schritt für die Flächenornamente der
armenischen Handschrift und deren einzelne Ele-
mente wie Palmette, Ranke, Bandgeflecht und
geometrische Muster ohne Ende, für ihre Streifen-
und Zickzackornamente, für die Initialen mit
ihren, Nabengelenke, Achter und Herzformen
durchsetzenden, Stielen, ihren Halbpalmetten
und Bandgeflechtsenden und vor allem für die
aus Bandverschlingungen und Halbpalmetten
gebildeten Randzierden auf dem Wege direkter
kunstwissenschaftlicher Prüfung „die Tatsache
der persischen Wurzel". Die Bedeutung einer
historischen Gegenprobe auf die Richtigkeit der
so gewonnenen Ergebnisse hat es alsdann,
wenn Strzygowski S. 21—26 über die Miniaturen-
schule des Königsklosters von Drasark handelt,
in welchem wie die vorliegende Handsdirift
vom J. 1113 so auch schon deren Original vom
J. 893 gefertigt werde. Denn hier kann er zeigen,
wie vermöge seiner „einzigartigen Lage" jenes
„Florenz im geistigen und künstlerischen Leben
des kilikischen Teiles von Armenien" zu „einem
der wichtigsten Knotenpunkte der mittelalter-
lichen Welt" werden mußte, wie leicht eben von
Drasark aus, wo „die große Verkehrsstraße"
„nach Persien, Zentral- und Ostasien" einmün-
dete, „persische Art" zunächst die armenische
Kunst zu erobern vermochte, um „vielleicht
 
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