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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0234

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226

Monatshefte für Kunstwissenschaft

liehe ornamentale Randdekoration der Tübinger
Handschrift, wo sie im armenischen Tetraevan-
geliensdimuck auftritt, ein unter dem Einfluß
persisch-islamischen Ornamentstils vollzogener
Ersatz für eine aufgegebene Randillustration
altsyrischen bildlichen Schmuckstils. Jedenfalls
eine solche, wenn nicht zugleich eine Serie
seitengroßer Vorsatzbilder, hat also zweifellos
schon das älteste Glied derjenigen Entwicklungs-
reihe gehabt, die mit der vorliegenden Tübinger
Handschrift des 12. Jahrhs. abschließt. Das
fragliche Ausgangsglied ist nun nach der vom
Schreiber des J. 1113 kopierten und zwar nicht
in dessen Kopie selbst, wohl aber in einer mo-
dernen Abschrift derselben erhaltenen Subscrip-
tio der Vorlage vom J. 893 nicht erst in dieser
sondern in einem wiederum ihr zugrunde liegen-
den „wahren und auserwählten Exemplar" von
der Hand oder aus dem Besitz des hl. Katho-
likos Sahak „des Übersetzers" (390—440) zu
erblicken. Daß der Buchschmuck dieser Hand-
schrift des 5. Jahrhs. ein durchaus altsyrischer
war, liegt in der Natur der Dinge. Man wird
ihn sich vorzustellen haben als bestehend
aus einem unter eine Arkade gesetzten Titel-
bild und den paarweise unter Arkaden ange-
ordneten Bildern der stehenden Evangelisten
nach Art der syrischen Vorsatzblätter des Et-
schmiadzin-Evangeliars (Byz. Denkm. I Taf.
11 2. III), mit oder ohne weitere Vollbilder, den
dekorativen Kanonesarkaden und einer bild-
lichen Randillustration neben diesen oder dem
Texte. Die vier selbständigen Evangelisten-
blätter mit dem hellenistisch-kleinasiatischen
Autorentypus müssen sodann wenigstens grund-
sätzlich auf die Kopie vom J. 893 zurückgeführt
werden, da der Kopftypus des Lukas, wie Strzy-
gowski S. 6 hervorhebt, noch nicht der schon
im J. 902 durch das Evangelienbuch der Köni-
gin Melke bezeugte aller späteren armenischen
Kunst ist. Was sodann die von ihm S.24 nur
aufgeworfene Frage betrifft, ob schon 893 oder
erst 1113 „die persischen Ornamentmotive" zum
Durchbruch gekommen seien, so möchte ich
glauben, daß man sich auch bezüglich ihrer zu-
nächst für das frühere Datum zu entscheiden,
aber anzunehmen haben wird, der Miniator von
1113 sei die hier prinzipiell von seinem Vor-
gänger schon eingeschlagenen Bahnen noch sehr
über diesen hinaus weiter gegangen. In Sonder-
heit könnten beispielsweise sehr wohl erst durch
ihn die Randornamente des neuen Stils an
Stelle der altsyrischen Randillustrationen gesetzt
worden sein. Auch dürfte er die Evangelisten-
blätter noch modifiziert haben. Denn der im
Tetraevangelium Leos II wieder fehlende archi-
tektonische Hintergrund wird schwerlich bis

zum J. 893 hinaufreichen. Schließlich könnten
sogar die Initialen aus Stielen, Geflechten und
Palmetten erst im J. 1113 ältere Tierbuchstaben
ersetzt haben, wie sie in Übereinstimmung mit
dem Etschmiadzin-Evangeliar in den späteren
Handschriften des kilikischen Kreises gleich der
bildlichen Randillustration vermöge eines höchst
bedeutsamen Rückschlages gegen die Allein-
herrschaft des neuen persisch-islamischen Orna-
mentstils wieder stark hervortreten.
Es ergibt sich bei einem Überblick über diese
Entwicklung meines Erachtens so klar als mög-
lich, welche Beachtung das Gebiet der armeni-
schen Buchmalerei seitens der Orientalisten und
der Kunstwissenschaftler verdient, wie von ge-
radezu fundamentaler Bedeutung für das Ver-
ständnis der kunst- und kulturgeschichtlichen
Entwicklungsströmungen des mittelalterlichen
Vorderasiens und Südosteuropas die Beschäf-
tigung mit ihm wird werden müssen. In typi-
scher Klarheit tritt uns hier das Nacheinander
und Durcheinander dieser Strömungen entgegen.
Der eigentliche Untergrund ist der frühchristlich-
syrische, in welchem bereits seinerseits östlicher
Hellenismus der Küstenzone und sassanidischer
Orientalismus des Hinterlands ineinander fließen.
Konstantinopel, für dessen Kunst und Kultur
der orientalische Hellenismus Kleinasiens den
nächsten Mutterboden abgegeben hat, macht
sich, aber nicht in entscheidender Weise, geltend.
Eine Sturzwelle innerasiatischer Herkunft droht
in Gestalt des persisch-islamischen Einflusses
alles zu verschlingen, behauptet dauernd auf
dem ornamentalen Gebiet maßgebende Bedeu-
tung, ebbt aber hier und dort wieder von Sand-
bänken mehr oder minder byzantinisch durch-
setzter altsyrischer Art, wie den Tierbuchstaben,
der Randillustration, den seitengrossen Vorsatz-
bildern zurück, bis endlich — man denke an
Ma XIII 4 in Tübingen — seit dem 16. und
17. Jahrh. im Ikonographisdien auch der Ein-
fluß des durch die Renaissance hindurchge-
gangenen Abendlands fühlbar wird. Ich hatte
damit gerechnet, daß mir selbst die Arbeit über
die armenischen Tetraevangelien in Jerusalem
und Bethlehem Gelegenheit geben würde, zuerst
dies alles näher zu beleuchten. Wenn Strzy-
gowski mit seiner schönen jüngsten Publikation
am Kernpunkt der Sache — und dies ist zwei-
fellos der rein ostwestliche Gang der persischen
Ornamentwelle über Kleinarmenien nach dem
erst später von ihr erreichten Byzanz — mir
zuvorgekommen ist, so empfinde ich, weitentfernt
von jeder Regung enttäuschter Findereitelkeit,
nur aufrichtige Genugtuung, daß sein eigenes
Eingreifen es mir erspart, gegen seine früheren
noch ungereiften Anschauungen vom geschieht-
 
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