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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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Der Kunstsammler
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0249

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□ EINELFENBEINWERK □
DES ALESSANDRO ALGARDI.
Von Christian Scherer.
Durch die gründlichen Untersuchungen Hans
Posses1) ist unsere Kenntnis von Alessandro
Algardis bildhauerischer Tätigkeit großen Stiles,
sowie von dem Wesen seiner Kunst im allge-
meinen und des Künstlers Verhältnis zu seinem
ungleich bedeutenderen und temperamentvolleren
Rivalen Bernini erheblich gefördert und be-
reichert worden. Dagegen fehlt es uns bis jetzt
leider immer noch an einer ausreichenden Vor-
stellung von Algardis Leistungen auf dem Gebiet
der Kleinplastik und des Kunstgewerbes. Und
doch scheinen, wie wir aus den Nachrichten
seiner Biographen Bellori und Passeri schließen
können, gerade die Arbeiten dieser Art, die er
entworfen und modelliert oder auch selbst in
Silber, Erz und Elfenbein ausgeführt hat, einen
breiten Raum in Algardis gesamtem Schaffen
eingenommen zu haben. Denn sie waren es,
die ihn nicht nur am Hofe von Mantua, wohin
er 1622 als Zwanzigjähriger berufen war, sowie
in der ersten Zeit seiner Übersiedelung nach
Rom (1625) fast ausschließlich beschäftigten,
sondern die auch später noch während seines
ganzen Lebens stets sehr gesucht waren und daher
immer wieder gelegentlich in seiner Werkstätte
angefertigt wurden.
Leider scheinen die meisten dieser Arbeiten,
darunter vor allem auch die, welche in Mantua
entstanden waren, schon frühe in alle Winde
zerstreut worden oder im Laufe der Zeit ver-
loren gegangen zu sein. Viele — und unter
ihnen wohl besonders auch seine Elfenbein-
schnitzereien — mögen auch mit ähnlichen Werken
von anderer Hand vermischt worden sein und
dadurch allmählich den Namen ihres wirklichen
Urhebers in Vergessenheit gebracht haben. Das
dürfte in erster Linie von jenen „putti" und
„crocifissi" gelten, die uns Bellori neben „figurine,
teste ed ornamenti" als die hauptsächlichsten
Arbeiten dieser Art nennt. Denn gerade diese

9 Vergl. Chennevieres, Notes d'un compilateur, p. 52f.
2) Der Engel mit dem Schweißtudi und die drei Putten
9 Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen 1905 (Band 26) links unten sind bereits in dem obenerwähnten Aufsatz
p. 169ff und Thieme-Becker, Künstlerlexikon I, p. 281 ff. von Posse abgebildet worden.

beiden Gruppen kleinplastischer Kunst haben ja,
bei der großen Fülle ihres Materials und einer
gewissen äußerlichen Verwandtschaft fast aller
dieser Werke unter sich, der Stilkritik von jeher
besondere Schwierigkeit bereitet, sobald es sich
um eine schärfere Unterscheidung der einzelnen
Werke und ihre Zuweisung an bestimmte Meister
oder Schulen handelte.
Es beruht daher auf bloßer Vermutung, wenn
man einige solche Werke, wie z. B. das schöne
Elfenbeinkruzifix in der Reichen Kapelle zu
München oder ein anderes, das der Katalog der
retrospektiven Kunstgewerbe-Ausstellung zu
Brüssel (1888) unter Nr. 1389 verzeichnet, unserem
Künstler zuzuweisen versucht hat. Ebenso ver-
hält es sich mit verschiedenen andern Elfenbein-
werken, wie z. B. einem Relief des Parisurteils,
das P. Mantz auf einer Ausstellung in Manchester
sah1), der Elfenbeinstatuette eines David mit
dem Haupte Goliaths, die Havard in der Gazette
des beaux arts 1883 p. 328 erwähnt, u. a. m.
Bei allen diesen Arbeiten wird trotz der Über-
lieferung und obgleich bei einigen eine gewisse
stilistische Verwandtschaft mit der Kunst des
Meisters nicht bestritten werden mag, doch die
Urheberschaft Algardis immer mehr oder weniger
in Frage bleiben müssen.
Anders verhält es sich mit der hier zum ersten
Male vollständig veröffentlichten Pietagruppe2),
die sich im Besitze des Herrn Dr. P. von Lieber-
mann in Berlin befindet, der mir schon vor
Jahren eine Anzahl trefflicher Photographien
derselben zur Verfügung gestellt und dann vor
einiger Zeit auch Gelegenheit geboten hat, das
Werk selbst in seinem Heim besichtigen zu
können. Die Gruppe zeigt vor einer von Fels-
blöcken umrahmten Pforte den am Erdboden
liegenden Leichnam Christi, neben dem rechts
die trauernd an das Kreuz gelehnte Maria steht,
während von links ein Engel mit dem Schweiß-
tuch hinzutritt; oben auf Wolken klagende Putten
und Cherubimköpfchen. Sämtliche Figuren sind
in meisterhafter Weise in Elfenbein geschnitzt
 
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