Der Kunstsammler
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eine Spur von der künstlerischen Machtfülle,
die der Saal einstens mit seiner offenen Holz-
konstruktion bot, und das Loch, das die Kugel
in die Treppenwand des Prinsenhofes bohrte,
kann nur naiven Gemütern gruselnde Bewun-
derung abringen, wenn die geschnitzte Treppe
nicht mehr echt ist und an dem ganzen Schau-
platz nur mehr das historische Gemengsel hete-
rogener Dinge wahr ist, die in den Vitrinen
stehen. Die Blätter der genannten Sammlung
haben den enormen Vorzug, daß sie keine Re-
konstruktion vergegenwärtigen, sondern den
Zustand, den das Kulturleben in verschiedenen
Jahrhunderten geschaffen, und der, wie es den
Anschein hat, als Dokument fortbesteht. Die
Reihe der erschlossenen Interieurs ist bunt und
nicht nach Geschichtszahlen oder Stilepochen
oder einer sonstigen sachlichen Bestimmung
geordnet; trotzdem ist Einheit in der Mannig-
faltigkeit, die durch die rassige und lokale
Eigenart gegeben ist. Der bürgerliche Genius
loci hat alle fremden Einflüsse verarbeitet, die
patrizierhaft betonte heimische Physiognomie
tritt beherrschend hervor, die den Interieurs von
den Holzkonstruktionen der Gotik bis zu den
eleganten Erscheinungen der Empirezeit die
holländische Marke verleiht. Schon der histo-
rischen Seltenheit wegen sei das entzückende
Denkmal tektonischer Kunst hervorgehoben,
die Decke im Rathaus zu Zierikzee, eine offene
Holzdeckenkonstruktion im Spitzbogen, die im
Kleinen wenigstens die Schönheit und die Wir-
kung verkörpert, die in höherem Maße der
Rittersaal in den Haag mit seiner weitaus
mächtigeren Gewölbespannung einstmals geboten
hat. Der Schwerpunkt der überlieferten Räume
liegt allerdings in der großen Blütezeit der
holländischen Bürgerkultur, die sich in der Kunst
der van der Helst, der Rembrandt und der
Frans Hals spiegelt. Außer den Rathaussälen
schuf jene Zeit der großen holländischen Bürger-
kultur eine Gattung von Repräsentationsräumen,
die ganz eigenartig sind und in der Überliefe-
rung nirgends vorkommen, als eben in Holland.
Es sind die sogenannten Regentenzimmer der
öffentlichen Stiftungen für Hospitäler, für Armen-
fürsorge und für sonstige Institutionen der freien
bürgerlichen Initiative, sowie die Gildenzimmer,
in denen sich ein guter Teil des Standes- und
Machtbewußtseins innerhalb der autonomen
Städteverfassung ausprägte, der in den ent-
scheidenden Zeiten das höfische Vorbild gefehlt
hatte. Diese Regenten und Regentinnen, die
Offiziere und Vorstände der Gilden waren die
Konsumenten, die für die Kunst in Betracht
kamen, und sie waren die Träger jener aristo-
kratischen Kunst des Porträts, das in der
holländischen Malerei des 15. und 16. Jahr-
hunderts einen ungewöhnlich breiten Raum
eingenommen hat, allerdings bestimmt von dem
Geschmack und den mehr oder weniger ge-
wöhnlichen Neigungen des bürgerlichen Be-
stellers. In den Regenten- und Gildenzimmern
prangten die Gilden- und Schützenstücke an der
weißen Wand über dem marmornen Kamin, bis
zur Balkendecke ragend, wo sie nicht nur ihren
koloristischen Eigenschaften gemäß, sondern
auch hinsichtlich ihrer Proportion und der
architektonischen Bestimmung eine künstlerische
Funktion zu erfüllen hatten. Auf weiß und
schwarz bis schwarzbraun waren die Räume
gestimmt, in denen die Gemälde den farbigen
Akzent bildeten, dessen Stärke das Tempe-
rament des Künstlers bestimmte. Wie anders
noch als in der Anhäufung in den Haarlemer
Rathausräumen wirkte hier in dem Regentinnen-
zimmer das Alterswerk des Frans Hals. Zwar
ist an den Altfrauenbildnissen seiner Spätzeit
nicht mehr der helle seidenweiche Glanz da,
wie in den Bildern seiner besten Zeit; nicht in
kräftigen Pinselstrichen sind diese Porträts hin-
gesetzt, sondern fast unsicher getupft in breiten
Flocken, rührend anzusehen in der scheinbaren
Hilflosigkeit und interessant wie ein neues Ex-
periment, fast impressionistisch modern und im
wesentlichen aus einem Dreifarbenakkord gebaut,
einem Sdiwarz von Hintergrund und Gewändern,
einem duftigen Weiß der spanischen Hals-
krause, und einem zarten Altrot, das auf den
Wangen der alten Weiber glüht, die durch die
Noblesse der Künstlerhand liebenswert er-
scheinen. Aber außer diesen Räumen, die im
wesentlichen durchaus übereinstimmende Züge
aufweisen, wollen wir die Wohnräume der
vornehmen Patrizier des 16. 17. und 18. Jahr-
hunderts kennen lernen, die verschlossener
waren, als jene offiziellen Interieurs, die mehr
dem öffentlichen Leben und seinen Institutionen
dienten. In dieser Hinsicht bietet die Sammlung
die interessantesten Aufschlüsse, indem sie die
holländische Abart der von Frankreich vornehmlich
bestimmten verfeinerten Lebensweise und Woh-
nungskunst erschließt, die mit schwerem Schnitz-
werk, Bildteppichen und kostbaren Tapeten aus-
gestatteten Wohnzimmer auf den Schlössern und
in den reichen Stadthäusern, die mit der alten
strengen Tradition das Gesetz der rhythmischen
Proportion gemeinsam haben, die für alle Größen-
verhältnisse des Raumes und der Flächen, ein-
schließlich der Bilder und Wandbespannungen,
des Kaminaufbaues usw. verbindlich ist. Diese
strenge Rhythmik der Innenarchitektur ist der
hervorragendste Wesenszug, der die ganze
Reihe der Interieurs aller Epochen in Holland
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eine Spur von der künstlerischen Machtfülle,
die der Saal einstens mit seiner offenen Holz-
konstruktion bot, und das Loch, das die Kugel
in die Treppenwand des Prinsenhofes bohrte,
kann nur naiven Gemütern gruselnde Bewun-
derung abringen, wenn die geschnitzte Treppe
nicht mehr echt ist und an dem ganzen Schau-
platz nur mehr das historische Gemengsel hete-
rogener Dinge wahr ist, die in den Vitrinen
stehen. Die Blätter der genannten Sammlung
haben den enormen Vorzug, daß sie keine Re-
konstruktion vergegenwärtigen, sondern den
Zustand, den das Kulturleben in verschiedenen
Jahrhunderten geschaffen, und der, wie es den
Anschein hat, als Dokument fortbesteht. Die
Reihe der erschlossenen Interieurs ist bunt und
nicht nach Geschichtszahlen oder Stilepochen
oder einer sonstigen sachlichen Bestimmung
geordnet; trotzdem ist Einheit in der Mannig-
faltigkeit, die durch die rassige und lokale
Eigenart gegeben ist. Der bürgerliche Genius
loci hat alle fremden Einflüsse verarbeitet, die
patrizierhaft betonte heimische Physiognomie
tritt beherrschend hervor, die den Interieurs von
den Holzkonstruktionen der Gotik bis zu den
eleganten Erscheinungen der Empirezeit die
holländische Marke verleiht. Schon der histo-
rischen Seltenheit wegen sei das entzückende
Denkmal tektonischer Kunst hervorgehoben,
die Decke im Rathaus zu Zierikzee, eine offene
Holzdeckenkonstruktion im Spitzbogen, die im
Kleinen wenigstens die Schönheit und die Wir-
kung verkörpert, die in höherem Maße der
Rittersaal in den Haag mit seiner weitaus
mächtigeren Gewölbespannung einstmals geboten
hat. Der Schwerpunkt der überlieferten Räume
liegt allerdings in der großen Blütezeit der
holländischen Bürgerkultur, die sich in der Kunst
der van der Helst, der Rembrandt und der
Frans Hals spiegelt. Außer den Rathaussälen
schuf jene Zeit der großen holländischen Bürger-
kultur eine Gattung von Repräsentationsräumen,
die ganz eigenartig sind und in der Überliefe-
rung nirgends vorkommen, als eben in Holland.
Es sind die sogenannten Regentenzimmer der
öffentlichen Stiftungen für Hospitäler, für Armen-
fürsorge und für sonstige Institutionen der freien
bürgerlichen Initiative, sowie die Gildenzimmer,
in denen sich ein guter Teil des Standes- und
Machtbewußtseins innerhalb der autonomen
Städteverfassung ausprägte, der in den ent-
scheidenden Zeiten das höfische Vorbild gefehlt
hatte. Diese Regenten und Regentinnen, die
Offiziere und Vorstände der Gilden waren die
Konsumenten, die für die Kunst in Betracht
kamen, und sie waren die Träger jener aristo-
kratischen Kunst des Porträts, das in der
holländischen Malerei des 15. und 16. Jahr-
hunderts einen ungewöhnlich breiten Raum
eingenommen hat, allerdings bestimmt von dem
Geschmack und den mehr oder weniger ge-
wöhnlichen Neigungen des bürgerlichen Be-
stellers. In den Regenten- und Gildenzimmern
prangten die Gilden- und Schützenstücke an der
weißen Wand über dem marmornen Kamin, bis
zur Balkendecke ragend, wo sie nicht nur ihren
koloristischen Eigenschaften gemäß, sondern
auch hinsichtlich ihrer Proportion und der
architektonischen Bestimmung eine künstlerische
Funktion zu erfüllen hatten. Auf weiß und
schwarz bis schwarzbraun waren die Räume
gestimmt, in denen die Gemälde den farbigen
Akzent bildeten, dessen Stärke das Tempe-
rament des Künstlers bestimmte. Wie anders
noch als in der Anhäufung in den Haarlemer
Rathausräumen wirkte hier in dem Regentinnen-
zimmer das Alterswerk des Frans Hals. Zwar
ist an den Altfrauenbildnissen seiner Spätzeit
nicht mehr der helle seidenweiche Glanz da,
wie in den Bildern seiner besten Zeit; nicht in
kräftigen Pinselstrichen sind diese Porträts hin-
gesetzt, sondern fast unsicher getupft in breiten
Flocken, rührend anzusehen in der scheinbaren
Hilflosigkeit und interessant wie ein neues Ex-
periment, fast impressionistisch modern und im
wesentlichen aus einem Dreifarbenakkord gebaut,
einem Sdiwarz von Hintergrund und Gewändern,
einem duftigen Weiß der spanischen Hals-
krause, und einem zarten Altrot, das auf den
Wangen der alten Weiber glüht, die durch die
Noblesse der Künstlerhand liebenswert er-
scheinen. Aber außer diesen Räumen, die im
wesentlichen durchaus übereinstimmende Züge
aufweisen, wollen wir die Wohnräume der
vornehmen Patrizier des 16. 17. und 18. Jahr-
hunderts kennen lernen, die verschlossener
waren, als jene offiziellen Interieurs, die mehr
dem öffentlichen Leben und seinen Institutionen
dienten. In dieser Hinsicht bietet die Sammlung
die interessantesten Aufschlüsse, indem sie die
holländische Abart der von Frankreich vornehmlich
bestimmten verfeinerten Lebensweise und Woh-
nungskunst erschließt, die mit schwerem Schnitz-
werk, Bildteppichen und kostbaren Tapeten aus-
gestatteten Wohnzimmer auf den Schlössern und
in den reichen Stadthäusern, die mit der alten
strengen Tradition das Gesetz der rhythmischen
Proportion gemeinsam haben, die für alle Größen-
verhältnisse des Raumes und der Flächen, ein-
schließlich der Bilder und Wandbespannungen,
des Kaminaufbaues usw. verbindlich ist. Diese
strenge Rhythmik der Innenarchitektur ist der
hervorragendste Wesenszug, der die ganze
Reihe der Interieurs aller Epochen in Holland