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Monatshefte für Kunstwissenschaft
tragen haben. In diesen Tafeln tritt Brangwyns
Eigenart, die Einzelheiten eines Bildes zu einem
großen Ganzen zusammenzufügen, ohne ihnen
eignes, individuelles Interesse zu rauben, sehr
glücklich zutage; so erscheint das Ganze im
besten Sinne typisch und setzt sich doch aus
eigenmächtigen, eines eigenen Lebens nicht ent-
behrenden Werten zusammen. Die künstlerische
Auslese, die Brangwyn trifft, geht nämlich ein-
mal aus seiner an Rembrandt erinnernden
großen Liebe für alles Menschliche und Male-
rische in der Natur, sodann aus seinem Gefühl
für den Ein- und Zusammenklang aller Dinge
hervor. Darum wirken auch seine wundervollen
Radierungen stark malerisch, und sind vor allem
auf Licht- und Schattenwerte gestellt, wenn
auch oft mit Kühnheit und stets mit Gelingen,
Höhe oder Weite durch die Linie eines über
den Rahmen des Bildes aufstrebenden Baumes
oder eines Gerüstes in das Bild gebracht wird.
— Im Osten Londons, in Whitechapel, das jeder
Kunst bar zu sein scheint, steht seit einigen Jahren
ein schlichter Ziegelbau, der aus Geldnöten innen
nicht einmal völlig verputzt ist. Hier werden
unter der energischen und umsichtigen Leitung
Mr. Ch. Aitkens alljährlich zwei bis drei populäre
Ausstellungen abgehalten (bei freiem Eintritt
und mit Führungen und Vorträgen verbunden),
die dem Volke wahre Kunst näher bringen
sollen. Bis zu einem gewissen Grade wird das
wohl erreicht, und für ähnliche Bestrebungen
könnte man sich die Galerie und ihre Leitung
wohl zum Muster nehmen. Aber abgesehen
davon, weiß Mr. Aitken auch dem schon kunst-
liebenden Publikum, ja dem Kenner und sogar
Historiker fast stets etwas besonderes zu bieten,
und so gelingt es ihm, dieses Publikum vor-
übergehend einmal hinaus in den fernen Osten
zu locken, zu meist sehr lohnenden Entdeckungs-
fahrten. Diesmal konzentriert sich für diesen
Teil des Publikums das Hauptinteresse auf eine
Reihe berühmter Kopien nach bekannten Mei-
stern. Da hängt vor allem Gainsboroughs Kopie
nach van Dycks „Lord John und Lord B. Stuart",
die Gainsboroughs Verehrung und allerdings
auch sein Herkommen von diesem Meister sehr
deutlich erweist: nur ist Gainsborough damit
denn doch noch nicht in seiner künstlerischen
Totalität erkannt und erklärt. Von Gains-
borough auch stammt eine außerordentlich fri-
sche Kopie nach Teniers „Jäger in einer
Land schaft, und eine Landschaft „in der Art
des Jean Both", die aber schon ganz Gains
borough selber erkennen läßt. Von Constable
kann man eine Schneelandschaft, eine Kopie
nach Ruysdal, sehen, in der man Spuren der
Verwandschaft Constables mit den Niederländern
nachgehen mag. Interessant ist, daß Constable,
als wünschte er sich ein Gegengewicht gleichsam
gegen sich selber und die Art seines Sehens
und Schaffens zu geben, immer und immer wie-
der Claude kopiert hat. Schade, daß keine die-
ser Kopien hier sichtbar ist. Dann finden sich
eine Reihe Kopien des großen englischen Bild-
hauers des vergangenen Jahrhunderts, A. Stevens
namentlich Tizians Assunta und Herzog und
Herzogin von Urbino seien erwähnt. Von Sar-
gent sind einige zum Teil treffliche Velasquez-
kopien ausgestellt. Der noch immer geschätzte
Akademiker Etty, dem es die Farbigkeit und
Fleischmalerei der Venezianer angetan hatten,
zeigt in einer „freien Kopie" nach Giorgiones
berühmtem Louvrestück „Fete Champetre", wes
Geistes Kind er ist; er läßt nämlich einfach die
weibliche Figur am Brunnen weg. — Mit mehr
Mitteln hätte diese Ausstellung berühmter Ko-
pien noch interessanter und lehrreicher gestaltet
werden können; so aber mußte man der Kosten
wegen z. B. auf beabsichtigte Kopien von der
Hand Manets verzichten. Es wäre einmal die
Aufgabe der Royal Academy den trefflichen
Gedanken einer solchen Ausstellung berühmter
Kopien während eines Winters zur vollen Tat
werden zu lassen. In den Kunstsalons kann
man zurzeit vorzügliche Blätter von Dürer
(Große Passion und Apokalypse usw.) und
Rembrandt bei Gutekunst (King Street); eine
interessante Sammlung frühenglischer Bilder
(Crome, Constable, Raeburn usw.) bei Messrs.
Shepherd (King Street); und alte farbige Re-
produktionen nach Reynolds, Romney usw. aus
der Kollektion Herrn Models bei Messrs. Col-
naghi (Pall-mall East) sehen; unter letzteren
befinden sich einige sehr seltene und geschätzte
Stücke.
Von der Gründung zweier neuer Künstler-
vereinigungen ist schon wieder zu berichten,
der „New Society of Painters and Sculptors",
die eine erste Ausstellung in der Rowley Gallery
hält, und sich offenbar meist aus jungen Künst-
lern zusammensetzt; und einer Gesellschaft, die
sich die französischen Unabhängigen zum Muster
genommen hat: keine Hängekommission, keine
Jury; wer Mitglied ist, kann eine bestimmte
Anzahl Bilder vorführen. — Crosby Hall, deren
trübes Ende im letzten Hefte geschildert worden
ist, wird nun wie ein Phönix wieder aus der Asche
erstehen und als Universitätshalle des College
der Londoner Universität dienen. Da man sämt-
liche alte Teile der Halle sorgfältig aufbewahrt
hat, ist dies für die verhältnismäßig geringe
Summe von 10000 Pfund auch möglich, und die
Besitzerin der Überreste, eine Bank, ist bereit,
diese umsonst herzugeben, wenn die Halle da-
Monatshefte für Kunstwissenschaft
tragen haben. In diesen Tafeln tritt Brangwyns
Eigenart, die Einzelheiten eines Bildes zu einem
großen Ganzen zusammenzufügen, ohne ihnen
eignes, individuelles Interesse zu rauben, sehr
glücklich zutage; so erscheint das Ganze im
besten Sinne typisch und setzt sich doch aus
eigenmächtigen, eines eigenen Lebens nicht ent-
behrenden Werten zusammen. Die künstlerische
Auslese, die Brangwyn trifft, geht nämlich ein-
mal aus seiner an Rembrandt erinnernden
großen Liebe für alles Menschliche und Male-
rische in der Natur, sodann aus seinem Gefühl
für den Ein- und Zusammenklang aller Dinge
hervor. Darum wirken auch seine wundervollen
Radierungen stark malerisch, und sind vor allem
auf Licht- und Schattenwerte gestellt, wenn
auch oft mit Kühnheit und stets mit Gelingen,
Höhe oder Weite durch die Linie eines über
den Rahmen des Bildes aufstrebenden Baumes
oder eines Gerüstes in das Bild gebracht wird.
— Im Osten Londons, in Whitechapel, das jeder
Kunst bar zu sein scheint, steht seit einigen Jahren
ein schlichter Ziegelbau, der aus Geldnöten innen
nicht einmal völlig verputzt ist. Hier werden
unter der energischen und umsichtigen Leitung
Mr. Ch. Aitkens alljährlich zwei bis drei populäre
Ausstellungen abgehalten (bei freiem Eintritt
und mit Führungen und Vorträgen verbunden),
die dem Volke wahre Kunst näher bringen
sollen. Bis zu einem gewissen Grade wird das
wohl erreicht, und für ähnliche Bestrebungen
könnte man sich die Galerie und ihre Leitung
wohl zum Muster nehmen. Aber abgesehen
davon, weiß Mr. Aitken auch dem schon kunst-
liebenden Publikum, ja dem Kenner und sogar
Historiker fast stets etwas besonderes zu bieten,
und so gelingt es ihm, dieses Publikum vor-
übergehend einmal hinaus in den fernen Osten
zu locken, zu meist sehr lohnenden Entdeckungs-
fahrten. Diesmal konzentriert sich für diesen
Teil des Publikums das Hauptinteresse auf eine
Reihe berühmter Kopien nach bekannten Mei-
stern. Da hängt vor allem Gainsboroughs Kopie
nach van Dycks „Lord John und Lord B. Stuart",
die Gainsboroughs Verehrung und allerdings
auch sein Herkommen von diesem Meister sehr
deutlich erweist: nur ist Gainsborough damit
denn doch noch nicht in seiner künstlerischen
Totalität erkannt und erklärt. Von Gains-
borough auch stammt eine außerordentlich fri-
sche Kopie nach Teniers „Jäger in einer
Land schaft, und eine Landschaft „in der Art
des Jean Both", die aber schon ganz Gains
borough selber erkennen läßt. Von Constable
kann man eine Schneelandschaft, eine Kopie
nach Ruysdal, sehen, in der man Spuren der
Verwandschaft Constables mit den Niederländern
nachgehen mag. Interessant ist, daß Constable,
als wünschte er sich ein Gegengewicht gleichsam
gegen sich selber und die Art seines Sehens
und Schaffens zu geben, immer und immer wie-
der Claude kopiert hat. Schade, daß keine die-
ser Kopien hier sichtbar ist. Dann finden sich
eine Reihe Kopien des großen englischen Bild-
hauers des vergangenen Jahrhunderts, A. Stevens
namentlich Tizians Assunta und Herzog und
Herzogin von Urbino seien erwähnt. Von Sar-
gent sind einige zum Teil treffliche Velasquez-
kopien ausgestellt. Der noch immer geschätzte
Akademiker Etty, dem es die Farbigkeit und
Fleischmalerei der Venezianer angetan hatten,
zeigt in einer „freien Kopie" nach Giorgiones
berühmtem Louvrestück „Fete Champetre", wes
Geistes Kind er ist; er läßt nämlich einfach die
weibliche Figur am Brunnen weg. — Mit mehr
Mitteln hätte diese Ausstellung berühmter Ko-
pien noch interessanter und lehrreicher gestaltet
werden können; so aber mußte man der Kosten
wegen z. B. auf beabsichtigte Kopien von der
Hand Manets verzichten. Es wäre einmal die
Aufgabe der Royal Academy den trefflichen
Gedanken einer solchen Ausstellung berühmter
Kopien während eines Winters zur vollen Tat
werden zu lassen. In den Kunstsalons kann
man zurzeit vorzügliche Blätter von Dürer
(Große Passion und Apokalypse usw.) und
Rembrandt bei Gutekunst (King Street); eine
interessante Sammlung frühenglischer Bilder
(Crome, Constable, Raeburn usw.) bei Messrs.
Shepherd (King Street); und alte farbige Re-
produktionen nach Reynolds, Romney usw. aus
der Kollektion Herrn Models bei Messrs. Col-
naghi (Pall-mall East) sehen; unter letzteren
befinden sich einige sehr seltene und geschätzte
Stücke.
Von der Gründung zweier neuer Künstler-
vereinigungen ist schon wieder zu berichten,
der „New Society of Painters and Sculptors",
die eine erste Ausstellung in der Rowley Gallery
hält, und sich offenbar meist aus jungen Künst-
lern zusammensetzt; und einer Gesellschaft, die
sich die französischen Unabhängigen zum Muster
genommen hat: keine Hängekommission, keine
Jury; wer Mitglied ist, kann eine bestimmte
Anzahl Bilder vorführen. — Crosby Hall, deren
trübes Ende im letzten Hefte geschildert worden
ist, wird nun wie ein Phönix wieder aus der Asche
erstehen und als Universitätshalle des College
der Londoner Universität dienen. Da man sämt-
liche alte Teile der Halle sorgfältig aufbewahrt
hat, ist dies für die verhältnismäßig geringe
Summe von 10000 Pfund auch möglich, und die
Besitzerin der Überreste, eine Bank, ist bereit,
diese umsonst herzugeben, wenn die Halle da-