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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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Rundschau
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Rundschau

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Stellungen großes Interesse entgegen. Und end-
lich wurden die zu allen Zeiten im Menschen
wohnende Lust und Freude am Betrachten fremd-
artiger Gegenden, Bauten usw. auf diese Weise
durch die Künstler befriedigt.
Eine ganz andere, eigenartige Ausstellung
ist im großen Zeichnungensaal des Museums
Boymans in Rotterdam zu sehen: eine Kollektion
von Werken, die bei dem Brande des Museums
am 27. Febr. 1864 zugrunde gegangen sind —
natürlich nur in Kopien. Ein Jammer, daß es
gar so wenige sind, und daß diese nicht ein-
mal die besten Meisterwerke wiedergeben, die
damals im Feuer ihren Untergang fanden. Den
Veranstalter trifft daran freilich keine Schuld,
denn was kann er dafür, daß von den 372 ver-
brannten Gemälden nur die paar jetzt ausge-
stellten Reproduktionen erhalten sind oder dem
Museum im Augenblick zur Verfügung stehen!
Damals fehlten eben noch die großen photo-
graphischen Firmen, die jetzt einigermaßen
systematisch die Kunstschätze unserer Museen
für die späteren Geschlechter aufbewahren.
Sonst müßten wir hier wohl sicherlich nicht
vergeblich nach dem großen Porträtstück von
Carel Fabritius suchen, um nur ein Gemälde
zu nennen und zwar dasjenige, dessen Ver-
lust heute wohl am empfindlichsten gefühlt wird.
Was nützen uns bei ihm die noch erhaltenen
Beschreibungen! Ja, an diesem Beispiel ist so recht
zu sehen, daß auch der exaktesten Wortbe-
schreibung durchaus die gestaltende Kraft fehlt,
ein Gemälde — wissenschaftlich brauchbar —
in der Phantasie erstehen zu lassen. Man ver-
suche nur einmal die Rekonstruktion, indem
man nach den Angaben der Beschreibung mit
dem Stift zeichnet und dann koloriert! Sie
hat nur den geringen Wert, mit ihrer Hilfe
vorhandene Werke rekognoszieren zu können.
Liest man nun die von W. Bürger in der Gaz.
d. b. Arts 1864 gegebene lange Liste der Maler,
von denen damals Werke verbrannt sind, und
das, was er über diese Bilder in seinen Mus.
de la Hollande schreibt, so kann man sich doch
auch heute noch einer gewissen Angst nicht er-
wehren für den Fall, daß sich wieder einmal
eine derartige Katastrophe ereignen sollte. Ge-
wiß, alle klassischen Meisterwerke sind durch
unzählige Reproduktionen für alle Zeiten vor
der Vergessenheit geschützt. Ist das gleiche
aber der Fall bei der Fülle von Bildern, die
„nur wissenschaftliches" Interesse haben oder
erst später einmal bekommen können, und die
zum großen Teil noch nicht einmal beschrieben
sind? Sollte es im Hinblick darauf nicht
doch anzustreben sein, daß jede Galerie von
ihrem ganzen Bilderbestand ein photographi-

sches Inventar aufnimmt? Dann käme man
wohl auch nach und nach zu leidlich billigen und
handlichen Katalogen, in denen statt der Be-
schreibungen gleich die Abbildungen zu finden
sind, und außerdem die brauchbaren Farbenan-
gaben und die kurzen künstlerisch - ästhetischen
Bemerkungen, die Wölfflin wünscht. Das von der
Londoner National Gallery1) gegebene Beispiel
müßte sich doch wirklich ausbauen lassen. Auch
würden nicht nur diejenigen, die für spezielle Stu-
dien noch nicht photographierte Gemälde beson-
ders aufnehmen lassen müssen, viel Zeit, Schrei-
bereien und Geldsparen, sondern ebenso würden
die Museumsverwaltungen, denen jetzt die Er-
ledigung derartiger Anfragen und Gesuche ob-
liegt, entlastet werden. Vielleicht nimmt sich
der deutsche Verein für Kunstwissenschaft der
Sache an, zu deren Verwirklichung — an dem
geplanten Riesenwerke der „Denkmäler deutscher
Kunst" gemessen — doch nur sehr bescheidene
Mittel erforderlich wären. Ich habe mich von
meinem eigentlichen Thema etwas abbringen
lassen, aber die zur Besprechung stehende
Ausstellung forderte zu solchen Erwägungen
heraus. Die wichtigsten der ausgestellten Re-
produktionen sind: erstens das Brustbild des
holländischen Geschichtsschreibers Pieter Bor
von Frans Hals (Aquarellkopie von Joh. de
Haart), dann das Familienporträt des Gouver-
neurs von Ost-Indien, Rijklof van Goens (Aqua-
rellkopie von Joh. Phil. Koelman), ein lesender
alter Mann von L. Bramer, ein Schützenstück
von Ludolf de Jongh (Buntdruck, der in Oud
Holland 1896 von Haverkorn van Rijsewijk pub-
liziert wurde). Ferner wurde von Jak. van
Ochtervelt Kartenspieler, von W. v. d. Velde
d. J. die Seeschlacht bei Soleway. (Das Original
dieser Kopie ist übrigens nicht verbrannt, aber
während des Brandes verschwunden; es tauchte
später im Amsterdamer Kunsthandel wieder
auf und wurde von einem Sammler, dem die
Herkunft unbekannt war, erworben). Ferner sind
da Reproduktionen nach Dusart, C. Troost,
F. v. Mieris d. Ä. Die einzige Ölkopie zeigt in
einem P. de Hooch-artigen Schlafzimmer eine
Dame bei der Toilette und eine Dienerin, die
das Bett macht. Im Katalog der Versteigerung
Boymans 1811 hieß das Bild noch P. de Hooch,
wurde aber später (1849) als Boursse katalogi-
siert. Richtig ist dagegen die jetzige, auf Dr.
Hofstede de Groot zurückgehende Zuweisung an
Jan Siberechts, von dem das Original ein
interessantes Werk gewesen sein muß. Auf
demselben hängt über dem Kamin eine Land-

9 The National Gallery, editet by Sir Edward J. Poynter,
London 1899, 3 Bde.
 
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