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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0343

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Literatur

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weiß, wie er die verschollensten Künstler bis
zur vollständigsten Greifbarkeit wieder ausgräbt,
sondern auch, was er alles sieht und mit wel-
cher Sicherheit er sich durch die scheinbar oft
pfadlose Urwaldwildnis der spanischen Kunst
hindurchzufinden versteht.
Und dann sind auch diese scheinbar zufällig
entstandenen Einzelaufsätze in ihrer Zusammen-
fügung eine unschätzbare Gabe für den Freund
spanischer Kunstgeschichte.
Spanischer Kunst selber kann man hier nicht
recht sagen, denn es handeln diese 11 Aufsätze
in der Hauptsache von den italienischen, fland-
rischen, deutschen Künstlern, die im Lande der
Kastanien in der bezeichneten Zeitspanne tätig
waren.
Und doch wieder ist es spezifisch spanische
Kunst, insofern als tatsächlich kaum ein Land
in jener künstlerisch so gewaltigen Zeit so sehr
von ausländischen Malern und Bildhauern über-
flutet wurde, als Spanien, und anderseits kaum
wieder ein Land so starken rückwirkenden Ein-
fluß auf diese Fremden ausübte, so daß diese
eingewanderte Kunst — mit wenigen Ausnah-
men — sehr rasch spezifisch spanische Züge,
jene eigentümliche halb düstere halb flammende
tiefe Leidenschaftlichkeit, jenes Streben nach
äußerster Steigerung des Ausdruckes, jene ans
phantastisch Märchenhafte grenzende Stimmung
annahm.
Merkwürdig genug ist es dabei, daß, nach-
dem noch im 15. Jahrhundert einige deutsche
Baukünstler, die die wesensverwandte deutsche
Spätgotik an spanische Kathedralen übertragen
hatten, in der Malerei — und in der dazu ge-
hörigen Altarschnitzerei — die flandrischen Künst-
ler auf lange hinaus bestimmend wurden, wäh-
rend in der eigentlichen frühen Renaissance-
bildhauerei fast ausschließlich Italiener in Spanien
wirkten.
Der Inhalt der einzelnen Aufsätze — die
teils in den Jahrb. der Kgl. Preuß. Kunst-
sammlungen und den Ztschr. f. bild. Kunst und
für Christl. Kunst erschienen, teils als Vorträge
an das Licht traten, ist hierfür höchst bezeich-
nend. Die Kölnischen Meister an der Kathedrale
zu Burgos, Altflandrische Malerei in Spanien,
Die Lombarden in Sevilla, Torrigiano, usw. sind
die sprechenden Titel einiger Hauptaufsätze.
Zum ersten Kapitel möchte ich auf die in man-
cher Hinsicht bemerkbare innere Verwandtschaft
des berühmten achteckigen Vierungsturmes zu
Burgos, auch in seiner jetzigen Gestalt nach
dem Wiederaufbau, mit dem achteckigen Rat-
hausturm zu Köln hindeuten.
Es ist hier völlig untunlich auf den un-
endlich reichen Inhalt der Aufsätze etwas

näher einzugehen, die ganz außerordentlich
interessante Gegenstände behandeln. So sind
des weiteren jene besonders bemerkenswert,
die sich mit der Entwicklung der eigentlidi
spanischen Kunst beschäftigten, wie der über
D. Pedro de Mendoza, den großen Kardinal
von Spanien und seine Kunstschöpfungen.
Sehr eingeleuchtet hat mir die Vermutung, das
Grabmal dieses Kirchenfürsten stehe zu Andrea
Sansovino in Beziehung. In der Tat möchten
sich nicht viele derartige Werke finden, die so
sehr an die Denkmäler des Genannten erinnern,
wie das großartige Grabmal Mendozas in Toledo.
Freude macht es, daß Justi dem sonst nicht
auftretenden spanischen Baumeister Pedro Ma-
chuca und seinem ausgezeichneten Palaste für
Karl V. auf der Alhambra eingehende Behand-
lung widmet. Schade, daß Justi über diesen Mann
nicht noch mehr hat ausfindig machen können.
Für mich ist sein Werk von raffaelischer Art
und Schönheit, und die allerlei Einzelheiten, die,
wohl dem Maler angehörig, die technische
Routine des eigentlichen Architekten vermissen
lassen, erhöhen den Reiz des Ganzen durch
pikanten Gegensatz zu der zunächst etwas aka-
demischen Gesamterscheinung. Vielleicht ist
dieser raffaelische Zug durch den von Justi
ebenfalls herangezogenen Freund Raffaels Bald.
Castiglione vermittelt. —
Freude hat es mir ferner gemacht, auch einen
Aufsatz zu finden, der sich mit der Goldschmiede-
familie Arphe, insbesondere ihrem bekanntesten
Sprossen Juan d' Arphe y Villafane, beschäftigt.
Grade diese über die Grenze der Gotik und
Renaissance nach zwei Seiten hinüberragende
Familie gibt uns ein treues Abbild jener Kunst-
bewegung, deren charakteristischsten Werke in
der Baukunst man ja als plateresk — silber-
schmiedemäßig — bezeichnet. Und nicht min-
der interessant ist die Mitteilung, daß diese be-
rühmteste aller spanischen Goldschmiedefamilien
eine ursprünglich deutsche ist, daß der Stamm-
vater Enrique d' Arphe am Beginn des 16. Jahr-
hunderts mit anderen Deutschen die nordische
Art in dieser Kunst in Spanien einführte. Seine
Custodie in Cordoba deutet freilich mehr auf
Holland oder Flandern, als auf Deutschland als
seine Lehrheimat. —
Kurz — es ist für jeden, der sich mit spani-
scher Kunst beschäftigt, eine Freude, das Justische
Buch zur Hand zu nehmen; es enthält aber auch
eine solche Fülle ernster wissenschaftlicher Ar-
beit und bedeutsamen Materials, daß dieser
Band I eine der wichtigsten Vorarbeiten für
die Geschichte der spanischen Renaissance blei-
ben wird. Albrecht Haupt.
 
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