Literatur
337
nische Kunstauffassung. Die Art der Diktion
ist ganz europäisch, sie unterscheidet sich in
nichts von typischen europäischen KongreBreden.
Das ist schon interessant genug. Der Verfasser
ist sehr selbstbewußt und völlig durchdrungen
von der Überzeugung, daß die japanische Kunst
der europäischen ebenbürtig ist. Er ist sehr
feinsinnig und kenntnisreich. Er zeigt in jedem
Wort eine hohe Auffassung der Kunst und ein
tiefes Eingehen auf ihre Probleme.
Kakuzo betrachtet die Probleme der Malerei
von zwei Gesichtspunkten aus. Von einem
subjektiven, der sich mit dem Verhältnis des
Maiers selbst zur Kunst, und von einem objek-
tiven, der sich mit dem Verhältnis der Kunst
zur Gesellschaft beschäftigt. Für beide Gesichts-
punkte seien ganz besonders prägnante Sätze
zusammengestellt. Zur subjektiven Seite: „Der
Fortschritt von den symbolischen Umrissen der
früheren Naramaler zu der konzentrierten Tiefe
und Kraft der schwarzen Tuschpoesie des
15. Jahrhunderts, das ist ein Kontrast, der das
eine und das andre gänzlidi verschieden er-
scheinen läßt. Und doch ist alle Pein und alles
Glück der Späteren ganz in gleicher Weise
auch von den primitiven Künstlern empfunden
worden." Gemeint ist die Entwicklung von der
hieratischen buddhistischen Kunst seit dem
8. Jahrhundert zu den chinesisch beeinflußten
Schulen der Ashikagaperiode. „Hat nicht zu
allen Zeiten und bei allen Völkern die Malerei
das Streben gezeigt, der Natur treu zu sein?"
Aber „wir müssen bedenken, daß, was uns in
der archaischen Malerei als Symbolik erscheint,
jener Zeit als höchste Naturwahrheit galt". Ein
für das Verständnis der japanischen Malerei
hochwichtiger Satz. Immer haben sich die ja-
panischen Maler um die Wirklichkeit bemüht.
Schon alte Anekdoten erzählen, Mäuse wären
so naturgetreu gemalt worden, daß sie Tempel-
pfeifer zu benagen begannen, oder Pferde, daß
sie fortliefen. Durch solche Anekdoten darf
man sich aber bei der Betrachtung der Bilder
nicht beirren lassen. Naturwahrheit ist ein
völlig relativer Begriff. Jede Zeit und jedes
Volk hat eine andere entwickelt.
Nun der objektive Gesichtspunkt: Die öst-
liche Kunst machte ähnliche Katastrophen durch
wie die westliche. Die Eroberung Chinas durch
die Mongolen unterbrach jäh die glänzendste
Zeit chinesischer Malerei: die wunderbare
Schwarzweißkunst der Sungdynastie (960 bis
1280), die Chinesen und Japanern erst eine
„höhere Vorstellung von dem Wert der Linie
und von der Behandlung von Licht und Luft
gab". In Japan selbst richteten die Bürger-
kriege der Ashikagaperiode (1333 — 1573) die
blühende Yamato-Tosakunst mit ihren bunten,
lebensprühenden Emakimonos und mit ihren
vornehmen Porträtdarstellungen zugrunde.
Weiterhin behandelt der Verfasser das Ver-
hältnis des Künstlers zur Religion, zu hoch-
stehenden Mäcenen und zur Familie. Ein hei-
liges Sujet macht das Bild noch nicht zum
Kunstwerk. „Die stereotypen Darstellungen
christlicher und buddhistischer Sujets sind nicht
nur eine Parodie auf die Religion, sondern eine
Karikatur der Kunst selbst." Die Bilder, die
der gewaltige Shogun Hideyoshi (1536—1598)
für sein Schloß Momoyama malen ließ, sind
nicht minder hohl, als „Vernets Gemälde für
Versailles" oder die Statuen der Siegesallee.
Die Tatsache, daß die alten japanischen Maler
entweder einer Familie oder einem Kloster eng
angehörten, gab ihnen Halt und eine groß-
artige Tradition; so daß sie nicht, wie bei uns,
oft Gefahr liefen, in fruchtlosen Versuchen sich
zu zersplittern. Für Familie und Orden sind
„Akademie und Institut nur armselige Surrogate."
Schließlich werden die modernen sozialen
Bedingungen der Kunst in Japan und Europa
besprochen. Der Verfasser nimmt kein Blatt
vor den Mund. „Wir Orientalen fragen uns
oft, ob Ihrer Gesellschaft überhaupt etwas an
Kunst liegt.Lassen Sie sich durch meine
Worte nicht beleidigen. Japan folgt mit Eifer
Ihren Fußtapfen und lernt rasch, sich um die
Kunst nicht zu kümmern. .... Im Augenblick
droht der japanischen Malerei der völlige Unter-
gang." Schuld daran sind die innere Revo-
lution, die äußeren Kriege und „der Anprall
westlicher Kunst auf unsere nationale Malerei".
Unlösliche Konflikte. Es ist dem Japaner un-
möglich, seinen alten Stil wirklich kraftvoll zu
bewahren, da er europäische Kultur intensiv in
sich aufgenommen hat. Aber auch die europä-
ische Malart kann er sich nach jahrtausend-
langer, ganz verschiedener Entwicklung seiner
Kunst und Kultur nicht recht aneignen. Dazu
kommt, daß das Land immer mehr industrie-
alisiert, also immer kunstfremder wird. Wo
liegt der Ausweg? Alles ist auf die Kraft des
japanischen Volkes gestellt. Wird sie groß ge-
nug sein, um die neuen Gedanken innerlich
verarbeiten zu können?
Das Schauspiel des Ringens der japanischen
Kunst mit der europäischen wird noch gar
nicht genug beachtet. Hier spielt sich vor un-
seren Augen eine Entwicklung ab, wie sie in
der Weltkunstgeschichte schon vielemale vor
sich gegangen sein muß. Der Kultur- und
Kunsthistoriker wird aus der gegenwärtigen
künstlerischen Not Japans reichste Lehren
schöpfen können. William Cohn.
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nische Kunstauffassung. Die Art der Diktion
ist ganz europäisch, sie unterscheidet sich in
nichts von typischen europäischen KongreBreden.
Das ist schon interessant genug. Der Verfasser
ist sehr selbstbewußt und völlig durchdrungen
von der Überzeugung, daß die japanische Kunst
der europäischen ebenbürtig ist. Er ist sehr
feinsinnig und kenntnisreich. Er zeigt in jedem
Wort eine hohe Auffassung der Kunst und ein
tiefes Eingehen auf ihre Probleme.
Kakuzo betrachtet die Probleme der Malerei
von zwei Gesichtspunkten aus. Von einem
subjektiven, der sich mit dem Verhältnis des
Maiers selbst zur Kunst, und von einem objek-
tiven, der sich mit dem Verhältnis der Kunst
zur Gesellschaft beschäftigt. Für beide Gesichts-
punkte seien ganz besonders prägnante Sätze
zusammengestellt. Zur subjektiven Seite: „Der
Fortschritt von den symbolischen Umrissen der
früheren Naramaler zu der konzentrierten Tiefe
und Kraft der schwarzen Tuschpoesie des
15. Jahrhunderts, das ist ein Kontrast, der das
eine und das andre gänzlidi verschieden er-
scheinen läßt. Und doch ist alle Pein und alles
Glück der Späteren ganz in gleicher Weise
auch von den primitiven Künstlern empfunden
worden." Gemeint ist die Entwicklung von der
hieratischen buddhistischen Kunst seit dem
8. Jahrhundert zu den chinesisch beeinflußten
Schulen der Ashikagaperiode. „Hat nicht zu
allen Zeiten und bei allen Völkern die Malerei
das Streben gezeigt, der Natur treu zu sein?"
Aber „wir müssen bedenken, daß, was uns in
der archaischen Malerei als Symbolik erscheint,
jener Zeit als höchste Naturwahrheit galt". Ein
für das Verständnis der japanischen Malerei
hochwichtiger Satz. Immer haben sich die ja-
panischen Maler um die Wirklichkeit bemüht.
Schon alte Anekdoten erzählen, Mäuse wären
so naturgetreu gemalt worden, daß sie Tempel-
pfeifer zu benagen begannen, oder Pferde, daß
sie fortliefen. Durch solche Anekdoten darf
man sich aber bei der Betrachtung der Bilder
nicht beirren lassen. Naturwahrheit ist ein
völlig relativer Begriff. Jede Zeit und jedes
Volk hat eine andere entwickelt.
Nun der objektive Gesichtspunkt: Die öst-
liche Kunst machte ähnliche Katastrophen durch
wie die westliche. Die Eroberung Chinas durch
die Mongolen unterbrach jäh die glänzendste
Zeit chinesischer Malerei: die wunderbare
Schwarzweißkunst der Sungdynastie (960 bis
1280), die Chinesen und Japanern erst eine
„höhere Vorstellung von dem Wert der Linie
und von der Behandlung von Licht und Luft
gab". In Japan selbst richteten die Bürger-
kriege der Ashikagaperiode (1333 — 1573) die
blühende Yamato-Tosakunst mit ihren bunten,
lebensprühenden Emakimonos und mit ihren
vornehmen Porträtdarstellungen zugrunde.
Weiterhin behandelt der Verfasser das Ver-
hältnis des Künstlers zur Religion, zu hoch-
stehenden Mäcenen und zur Familie. Ein hei-
liges Sujet macht das Bild noch nicht zum
Kunstwerk. „Die stereotypen Darstellungen
christlicher und buddhistischer Sujets sind nicht
nur eine Parodie auf die Religion, sondern eine
Karikatur der Kunst selbst." Die Bilder, die
der gewaltige Shogun Hideyoshi (1536—1598)
für sein Schloß Momoyama malen ließ, sind
nicht minder hohl, als „Vernets Gemälde für
Versailles" oder die Statuen der Siegesallee.
Die Tatsache, daß die alten japanischen Maler
entweder einer Familie oder einem Kloster eng
angehörten, gab ihnen Halt und eine groß-
artige Tradition; so daß sie nicht, wie bei uns,
oft Gefahr liefen, in fruchtlosen Versuchen sich
zu zersplittern. Für Familie und Orden sind
„Akademie und Institut nur armselige Surrogate."
Schließlich werden die modernen sozialen
Bedingungen der Kunst in Japan und Europa
besprochen. Der Verfasser nimmt kein Blatt
vor den Mund. „Wir Orientalen fragen uns
oft, ob Ihrer Gesellschaft überhaupt etwas an
Kunst liegt.Lassen Sie sich durch meine
Worte nicht beleidigen. Japan folgt mit Eifer
Ihren Fußtapfen und lernt rasch, sich um die
Kunst nicht zu kümmern. .... Im Augenblick
droht der japanischen Malerei der völlige Unter-
gang." Schuld daran sind die innere Revo-
lution, die äußeren Kriege und „der Anprall
westlicher Kunst auf unsere nationale Malerei".
Unlösliche Konflikte. Es ist dem Japaner un-
möglich, seinen alten Stil wirklich kraftvoll zu
bewahren, da er europäische Kultur intensiv in
sich aufgenommen hat. Aber auch die europä-
ische Malart kann er sich nach jahrtausend-
langer, ganz verschiedener Entwicklung seiner
Kunst und Kultur nicht recht aneignen. Dazu
kommt, daß das Land immer mehr industrie-
alisiert, also immer kunstfremder wird. Wo
liegt der Ausweg? Alles ist auf die Kraft des
japanischen Volkes gestellt. Wird sie groß ge-
nug sein, um die neuen Gedanken innerlich
verarbeiten zu können?
Das Schauspiel des Ringens der japanischen
Kunst mit der europäischen wird noch gar
nicht genug beachtet. Hier spielt sich vor un-
seren Augen eine Entwicklung ab, wie sie in
der Weltkunstgeschichte schon vielemale vor
sich gegangen sein muß. Der Kultur- und
Kunsthistoriker wird aus der gegenwärtigen
künstlerischen Not Japans reichste Lehren
schöpfen können. William Cohn.