Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 4
DOI article:
Der Kunstsammler
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0365

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

DIE SAMMLUNG CHERAMY.
I.
Vor wenigen Tagen wurden wir durch die
Nachricht überrascht, daß die berühmte Samm-
lung Cheramy bereits in den ersten Tagen des
Mai (am 3., 4., 5.) unter den Hammer kommen
soll. Was der Sammlung Cheramy, man kann
sagen, ihren europäischen Ruf eingetragen hat,
war ihre geschlossene Auswahl, die sich
auf wenige Kunstgebiete beschränkte, hier
aber eine Serie von Werken von höchstem
entwicklungeschichtlichen Interesse zusammen-
brachte. Zielbewußtes Sammeln ist von jeher
eine Tugend des Pariser Amateurs gewesen.
Wir geben im folgenden einen kurzen Über-
blick über diese berühmte Sammlung, über die
kürzlich eine Veröffentlichung von Julius Meier-
Graefe und Erich Klossowski erschienen ist. Der
Katalog der vente ist noch nicht ausgegeben.
Als Experten fungieren Haro und Georges Petit.
Bei dem Bericht über die vente selber werden
wir Gelegenheit nehmen, ausführlicher auf die
Einzelheiten zurückzukommen.
Die Sammlung Cheramy umfaßt drei ver-
schiedene Teile, die alten Meister, die englische
Schule und Werke moderner französischer
Meister. Besonders bekannt sind die englischen
Werke der Kollektion, da in ihrer Mitte eine
Anzahl prächtiger Constables stehen, ein auf
dem Kontinent seltener Schatz.
Unter den alten Bildern ragt zunächst eine
Gruppe von Werken der oberitalienischen Schulen
hervor, von Crivelli eine Madonna mit dem
Jesuskind von Engeln umgeben, von der Mai-
ländischen Schule ein Andrea Solario, zwei
Madonnen von Boltraffio und eine interes-
sante Replik der Madonna in der Felsgrotte
von Leonardo. Diese italienischen Werke sind
eine Art Präludium für die übrige Sammlung,
deren Ensemble uns anmutet wie ein geist-
reicher Essay nicht über die moderne Malerei,
sondern vielmehr über die Entwicklung des
Malerischen in den letzten Jahrhunderten. Sie
ist wie eine Reihe zusammenhängender Apho-
rismen, die alle demselben Geist entsprungen
sind, die das angeschlagene Thema immer wieder


# CONSTABLE: La Charette de foin
□ No. 13 du Catalogue □
neu und interessant beleuchten, ohne auf die
pedantische Umständlichkeit eines Handbuches
Anspruch zu machen.
Bei der spanischen Schule hat Cheramy die
beiden großen ptoblemreichen Meister bevor-
zugt, die neben Velazquez die großen Anreger
für die Moderne geworden sind, und hier wie
bei dem Reste der Sammlung war der Sammler
darauf bedacht, neben das repräsentative Galerie-
stück die intimen Studien und Skizzen zu stellen,
in denen die Künstler vielleicht innigere Ge-
heimnisse ihres Innern offenbart haben. Und
sind nicht gerade solche impulsive Skizzen durch
ihre persönliche Sprache die eindringlichsten
Ratgeber der heutigen Kunst geworden?
Von dem Greco besitzt Cheramy einen
machtvollen heiligen Bernhard, eine Pieta und
eine unglaublich frische, flimmernde Skizze zu
dem Hochaltarbild der Kathedrale von Toledo,
das die Gefangennahme Christi darstellt. Diese
Skizze wurde nach dem Vermerk auf der Rück-
seite für die Herzogin von Alba, gemalt.
Goya ist neben dem großen Porträt der Lola
Ximenez durch eine kleine Skizze zu dem im
Prado befindlichen großen Bilde der Familie
Karl IV vertreten.
An älteren Franzosen ist nur ein Porträt
Sedaines von Chardin zu nennen.
 
Annotationen