382
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Übermalt ist am brutalsten die Luft; die Glorie scheint zwar wenigstens zum
großen Teile alt zu sein, dagegen sind die Wolken darunter roh überschmiert. Die
Übermalung reicht außerhalb des Regenbogens über den Höhenzug bis zu dem dunklen
Walde, innerhalb wenigstens bis zu dem Höhenzuge und dem Kopfe der Maria, rechts
in die angrenzenden Teile der Kirche hinein und über die in die Luft ragenden Teile
des Granatbaumes.
Sicher scheint mir, daß auch der Kontur des Kopfes der Maria etwas verändert
wurde, obwohl die Haare im wesentlichen alt sind. Stark ausgebessert sind sie freilich
an der rechten Wange und unter dem Kinn. Aber auch das Gesicht selbst hat stark
gelitten. Ergänzt ist eine größere Stelle in der linken Augenhöhle im Schatten der
Nase. Nachgezogen scheinen mir auch die Augenlider. Neben den sdiwellenden,
Ausdruck und Leben sprühenden Formen der Colmarer Madonna erscheint denn auch
dieser Kopf heute wie das stupide Machwerk eines Stümpers schon in der Photo-
graphie. Der Mund, der am besten erhalten scheint, erinnert dagegen auffallend an die
eigentümliche Art, wie der Mund des Erasmus auf dem Münchener Bilde gemalt ist.
Freilich muß auch über den unteren Teil des Gesichtes die Schnecke eines Restaurators
gekrochen sein. Auch hier ist alles weit lebloser als in dem Münchener Bilde und
in dem Gesichte des Kindes nebenan. Das Christkind ist besser erhalten und scheint
im wesentlichen in urspünglichem Zustande auf uns gekommen zu sein, ebenso die
rechte Hand der Mutter. Gut erhalten ist alles, was links davon sich befindet, die
Gewandfalten, die Landschaft, und zwar diese von den Häusern des Städtchens bis
herab zu der weißen Schale, endlich auf der anderen Seite der größte Teil der Kirche.
Außerdem ist aber noch die rechte untere Ecke des Bildes stark ruiniert. Die Lilien
sind intakt oder doch fast unberührt, ebenso die meisten übrigen Blumen, dagegen
sind alle dunkleren Teile, die Töpfe, die Gewandfalten und die Wurzel des Granat-
baumes in sehr schlimmen Zustand, ferner auch sonst ein großer Teil des Rockes der
Mutter in den Schatten.
Wenn ich heute glaube für die Autorschaft Grünewalds eintreten zu können, obwohl
ich das Bild auch bei einem zweiten Besuch nicht im Freien sehen konnte, obwohl so
viel ruiniert ist und sich wenigstens mündlicher Widerspruch gegen die Autorschaft
Grünewalds bereits erhoben hat und sich noch mehr erheben wird, so geschieht das
deshalb, weil mir bei dem zweiten Besuche auch im Zwielicht der Kirche einige Stellen
die Klaue des Löwen zu verraten schienen und weil unter den Trümmern anderer
Teile, wie dem Untergesicht der Maria, noch insbesondere die Merkmale des Spätstils
hervorsehen, den ich seither genauer kennen gelernt.
Denn daß das Bild der Spätzeit angehört, erscheint mir außer aller Frage, es
ist das ebensowohl meine als Langes Bestimmung. Die erhaltenen Teile stimmen am
meisten mit dem Münchener Bilde, dann mit den Gemälden in Aschaffenburg und
Karlsruhe überein. Das Werk stellt wohl die letzte Phase dieser letzten Stilepoche vor
und ist als Arbeit Grünewalds überhaupt verständlich, wenn man die späte Ent-
stehungszeit annehmen darf. Wir sehen nicht mehr dieselbe Handschrift wie auf dem
Colmarer Altarwerke, wohl aber die Spuren oder die Weiterbildung derselben.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Übermalt ist am brutalsten die Luft; die Glorie scheint zwar wenigstens zum
großen Teile alt zu sein, dagegen sind die Wolken darunter roh überschmiert. Die
Übermalung reicht außerhalb des Regenbogens über den Höhenzug bis zu dem dunklen
Walde, innerhalb wenigstens bis zu dem Höhenzuge und dem Kopfe der Maria, rechts
in die angrenzenden Teile der Kirche hinein und über die in die Luft ragenden Teile
des Granatbaumes.
Sicher scheint mir, daß auch der Kontur des Kopfes der Maria etwas verändert
wurde, obwohl die Haare im wesentlichen alt sind. Stark ausgebessert sind sie freilich
an der rechten Wange und unter dem Kinn. Aber auch das Gesicht selbst hat stark
gelitten. Ergänzt ist eine größere Stelle in der linken Augenhöhle im Schatten der
Nase. Nachgezogen scheinen mir auch die Augenlider. Neben den sdiwellenden,
Ausdruck und Leben sprühenden Formen der Colmarer Madonna erscheint denn auch
dieser Kopf heute wie das stupide Machwerk eines Stümpers schon in der Photo-
graphie. Der Mund, der am besten erhalten scheint, erinnert dagegen auffallend an die
eigentümliche Art, wie der Mund des Erasmus auf dem Münchener Bilde gemalt ist.
Freilich muß auch über den unteren Teil des Gesichtes die Schnecke eines Restaurators
gekrochen sein. Auch hier ist alles weit lebloser als in dem Münchener Bilde und
in dem Gesichte des Kindes nebenan. Das Christkind ist besser erhalten und scheint
im wesentlichen in urspünglichem Zustande auf uns gekommen zu sein, ebenso die
rechte Hand der Mutter. Gut erhalten ist alles, was links davon sich befindet, die
Gewandfalten, die Landschaft, und zwar diese von den Häusern des Städtchens bis
herab zu der weißen Schale, endlich auf der anderen Seite der größte Teil der Kirche.
Außerdem ist aber noch die rechte untere Ecke des Bildes stark ruiniert. Die Lilien
sind intakt oder doch fast unberührt, ebenso die meisten übrigen Blumen, dagegen
sind alle dunkleren Teile, die Töpfe, die Gewandfalten und die Wurzel des Granat-
baumes in sehr schlimmen Zustand, ferner auch sonst ein großer Teil des Rockes der
Mutter in den Schatten.
Wenn ich heute glaube für die Autorschaft Grünewalds eintreten zu können, obwohl
ich das Bild auch bei einem zweiten Besuch nicht im Freien sehen konnte, obwohl so
viel ruiniert ist und sich wenigstens mündlicher Widerspruch gegen die Autorschaft
Grünewalds bereits erhoben hat und sich noch mehr erheben wird, so geschieht das
deshalb, weil mir bei dem zweiten Besuche auch im Zwielicht der Kirche einige Stellen
die Klaue des Löwen zu verraten schienen und weil unter den Trümmern anderer
Teile, wie dem Untergesicht der Maria, noch insbesondere die Merkmale des Spätstils
hervorsehen, den ich seither genauer kennen gelernt.
Denn daß das Bild der Spätzeit angehört, erscheint mir außer aller Frage, es
ist das ebensowohl meine als Langes Bestimmung. Die erhaltenen Teile stimmen am
meisten mit dem Münchener Bilde, dann mit den Gemälden in Aschaffenburg und
Karlsruhe überein. Das Werk stellt wohl die letzte Phase dieser letzten Stilepoche vor
und ist als Arbeit Grünewalds überhaupt verständlich, wenn man die späte Ent-
stehungszeit annehmen darf. Wir sehen nicht mehr dieselbe Handschrift wie auf dem
Colmarer Altarwerke, wohl aber die Spuren oder die Weiterbildung derselben.