Schmid. Die Stuppadier Madonna des Matthias Grünewald
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Es fehlen zunächst die für Grünewald charakteristischen Wellenlinien bei der
Umschreibung der menschlichen Form. Grünewald sah freilich auch früher die Welt
weniger knorrig als Dürer, aber auch er übertrieb. Dunkle Konturen, wie noch bei
den Fingern des Johannes in der Karlsruher Kreuzigung, sind überhaupt verschwunden
und merkwürdig flau ist auch die Architektur im Hintergründe behandelt. Der spät-
romanische Bau ist mit spätgotischen Details ausgestattet, die sehr von der Architektur
des Engelkonzertes abstechen und fast an die Gothik der Biedermeierzeit erinnern.
Markiger, und weit mehr in der früheren Art, ist freilich die Darstellung der Blumen,
Sträucher und Kräuter.
Der Farbenauftrag beim Fleisch von Mutter und Kind, heute wenigstens fast
emailartig, erinnert geradezu an gleichzeitige Bilder eines neuauftauchenden Genius, an die
Lais von Holbein d. J. Der temperamentvolle Vortrag, der für die Karlsruher Kreuzigung
und auch für einige Köpfe des Münchener Bildes so charakteristisch ist, findet sich nur
in der Gewandung. Hier freilich ist auch am deutlichsten der von anderen Gemälden
und den Zeichnungen her bekannte, Grünewald eigentümliche zitternde Verlauf der
Säume wieder zu erkennen.
Weniger als die Art der Darstellung scheint sich die Bevorzugung bestimmter
Bewegungen, Formen und Dinge verändert zu haben. Was bei der Madonna so sehr
an Colmar erinnert, ist die Körperhaltung, daß die Bewegung der einen Hand bei
einem Engel in Colmar wiederkehrt, hat schon Lange gezeigt, aber auch die andere
ist für Grünewald charakteristisch, die alte Neigung, die Finger nach außen umzubiegen,
ist bei Mutter und Kind noch deutlich erkennbar, wenn auch weniger ausgeprägt wie
früher. Das schlecht gezeichnete Ohr des Kindes ist das für Grünewald charakeristische
und findet sich u. a. beim Mauritius in München ähnlich. Die Vorliebe für durch-
sichtige Tücher ist für Grünewald charakteristisch vom ersten Bild an und es ist nicht
ganz bedeutungslos, daß ein raffiniert gemalter durchsichtiger Stoff auch auf dem
Stuppacher Gemälde wiederkehrt.
Immerhin ist das Gesicht des Kindes auch nicht ganz so lebendig wie die Köpfe
des Münchener Gemäldes, auch die besser erhaltene rechte Hand der Mutter hat noch
etwas befremdendes für den Maler des Händeringens.
Das Kolorit wurde beherrscht durch die reiche Gewandung der Madonna,
die einen großen Teil des Bildes einnimmt. Wie zu Colmar ist auf die Farben dieser
Gewänder das übrige gestimmt worden, in dem Sinne, daß dieselben in der Um-
gebung stumpfer oder duftiger wiederkehren.
Das Carnat von Mutter und Kind spricht weniger stark mit, es ist sehr hell,
weißlich, die Schatten sind teils lichtbraun, teils spielen sie auch ins Grünliche,
Bläuliche, Violette. Die Haare sind blond, heller beim Kinde, etwas dunkler bei
der Mutter.
Der Rock besteht aus Goldbrokat, der gelbrot wirkt, dessen Grund aber
karminrot ist. Der Mantel ist blau und hat purpurviolettrotes Futter, das neben der
linken Hand der Mutter, dann unter der rechten und nochmals in der rechten unteren
Ecke zum Vorschein kommt. Das Gelbrot kehrt dann stumpfer wieder in dem Braunrot
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Es fehlen zunächst die für Grünewald charakteristischen Wellenlinien bei der
Umschreibung der menschlichen Form. Grünewald sah freilich auch früher die Welt
weniger knorrig als Dürer, aber auch er übertrieb. Dunkle Konturen, wie noch bei
den Fingern des Johannes in der Karlsruher Kreuzigung, sind überhaupt verschwunden
und merkwürdig flau ist auch die Architektur im Hintergründe behandelt. Der spät-
romanische Bau ist mit spätgotischen Details ausgestattet, die sehr von der Architektur
des Engelkonzertes abstechen und fast an die Gothik der Biedermeierzeit erinnern.
Markiger, und weit mehr in der früheren Art, ist freilich die Darstellung der Blumen,
Sträucher und Kräuter.
Der Farbenauftrag beim Fleisch von Mutter und Kind, heute wenigstens fast
emailartig, erinnert geradezu an gleichzeitige Bilder eines neuauftauchenden Genius, an die
Lais von Holbein d. J. Der temperamentvolle Vortrag, der für die Karlsruher Kreuzigung
und auch für einige Köpfe des Münchener Bildes so charakteristisch ist, findet sich nur
in der Gewandung. Hier freilich ist auch am deutlichsten der von anderen Gemälden
und den Zeichnungen her bekannte, Grünewald eigentümliche zitternde Verlauf der
Säume wieder zu erkennen.
Weniger als die Art der Darstellung scheint sich die Bevorzugung bestimmter
Bewegungen, Formen und Dinge verändert zu haben. Was bei der Madonna so sehr
an Colmar erinnert, ist die Körperhaltung, daß die Bewegung der einen Hand bei
einem Engel in Colmar wiederkehrt, hat schon Lange gezeigt, aber auch die andere
ist für Grünewald charakteristisch, die alte Neigung, die Finger nach außen umzubiegen,
ist bei Mutter und Kind noch deutlich erkennbar, wenn auch weniger ausgeprägt wie
früher. Das schlecht gezeichnete Ohr des Kindes ist das für Grünewald charakeristische
und findet sich u. a. beim Mauritius in München ähnlich. Die Vorliebe für durch-
sichtige Tücher ist für Grünewald charakteristisch vom ersten Bild an und es ist nicht
ganz bedeutungslos, daß ein raffiniert gemalter durchsichtiger Stoff auch auf dem
Stuppacher Gemälde wiederkehrt.
Immerhin ist das Gesicht des Kindes auch nicht ganz so lebendig wie die Köpfe
des Münchener Gemäldes, auch die besser erhaltene rechte Hand der Mutter hat noch
etwas befremdendes für den Maler des Händeringens.
Das Kolorit wurde beherrscht durch die reiche Gewandung der Madonna,
die einen großen Teil des Bildes einnimmt. Wie zu Colmar ist auf die Farben dieser
Gewänder das übrige gestimmt worden, in dem Sinne, daß dieselben in der Um-
gebung stumpfer oder duftiger wiederkehren.
Das Carnat von Mutter und Kind spricht weniger stark mit, es ist sehr hell,
weißlich, die Schatten sind teils lichtbraun, teils spielen sie auch ins Grünliche,
Bläuliche, Violette. Die Haare sind blond, heller beim Kinde, etwas dunkler bei
der Mutter.
Der Rock besteht aus Goldbrokat, der gelbrot wirkt, dessen Grund aber
karminrot ist. Der Mantel ist blau und hat purpurviolettrotes Futter, das neben der
linken Hand der Mutter, dann unter der rechten und nochmals in der rechten unteren
Ecke zum Vorschein kommt. Das Gelbrot kehrt dann stumpfer wieder in dem Braunrot