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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 5
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Schmarsow, August: Über die karolingischen Wandmalereien zu Münster in Graubünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0396

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388

Monatshefte für Kunstwissenschaft

jedem Strich auf ihre Zuverlässigkeit durchgeprüft ward, hinter dem Eindruck des
Originals zurückbleiben mußte. Die ängstliche Nachbildung, Fleck für Fleck, konnte
nur in unmittelbarer Nähe zustande kommen; sie ist eine Mosaikarbeit, die sich für
den Betrachter der Publikation in dem kleinen Maßstabe notwendig wieder in ihre
Bestandteile auflöst, und wenn man auch versucht, sie weiter vom Auge zu halten,
damit das Ganze besser zusammengehe, doch nicht befriedigt, weil dann die Erkenn-
barkeit des Dargestellten leidet, also eine andre Forderung zu kurz kommt. Außerdem
ist der farbige Eindruck so wesentlich und unentbehrlich für den Charakter dieser
Werke, daß jede Übertragung in monochrome Wiedergabe nur ein kümmerliches Sur-
rogat sein kann. Die Originale sind aber selbstverständlich für den Abstand des
Besuchers unten in der Kirche gemalt, ja so stark für diese Entfernung berechnet, daß
sie ganz verkehrt wirken, solange der Aufblick zum obersten Wandstreifen unter der
ursprünglichen Holzdecke von unten her ausgeschlossen ist. Droben vermag man sich
nur einigermaßen dieser Voraussetzung anzupassen, indem man sich in leidlicher Seh-
weite zusammenkauert oder niederbeugt. Gerade in dieser Routine dekorativer Be-
handlung liegt ein wesentliches Merkmal. Selbst die Beurteilung der Perspektive in
den Bildern dürfte nur von dem unteren Standpunkt auf dem gemeinsamen Fußboden
der Kirche ausgehen. Es ist also eine höchst willkommene Botschaft, daß die Ablösung
der Reste und die Übertragung nach Zürich bevorsteht. Ist diese Prozedur erst
glücklich gelungen, so werden auch alle Beschauer die Aussage begreifen, die ich in
voller Übereinstimmung mit dem Verfasser des Textes wiederhole: hier herrscht ein
eminent malerischer Stil, der auf koloristische Einheit gegründet ist, — „eine warme,
freundliche, harmonische Tonalität, die an die Farbenstimmung der frühchristlichen
Katakombenbilder und an die Malereien von S. Maria antiqua in Rom erinnert"; —
aber nichts von dem Dürftigen, Greisenhaften, mühsam Zusammengestrichelten hat, das
man sich nach dem Anblick der Tafeln vorstellen könnte. All das Stückwerk fließt
zusammen zu einem wohltuenden Gesamteindruck, sowie man hinreichenden Abstand
gewinnt. Also die Originale sind unerwartet viel schöner und bereiten dem, der zu
ihnen hindurchdringt, keine Enttäuschung, sondern einen ganz eigenartigen Genuß von
befreiender Größe.

Innerhalb dieser großflächigen Breite der Erscheinung die allen einigermaßen
erhaltenen Bestandteilen gemeinsam ist, gibt es aber noch drei Stufen zu unterscheiden:
einmal das rein Dekorative in der Umrahmung aller Bilder, das sich an allen Wänden
entlang zieht; — dann die alttestamentlichen Historien, die sich an Süd-, West- und
Nordwand erstrecken und an der letzten deutlich als die Geschichte Absaloms erkennbar
sind; — endlich an der Ostwand über den drei Apsiden ein feierliches Repräsentations-
bild, das eine sogenannte Majestas Domini darbot. In dieser Reihenfolge möchte ich sie
besprechen, im Unterschiede von Zemp; denn ich glaube, durch diese kleine Ver-
schiebung der Disposition gelangen wir noch sicherer und klarer zur Erfassung des
wichtigen Unterschiedes, der auch ihm natürlich nicht entgangen ist, der mir jedoch für
 
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