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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Schmarsow, August: Über die karolingischen Wandmalereien zu Münster in Graubünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0400

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

nach rechts, oder gelegentlich einmal die widerstrebende Bewegung von rechts nadi
links, je nach dem Inhalt des Geschehens.
Schon diese unvergleichbare Versdiiedenheit der Aufgaben und der Bedingungen
des Aufnehmens für den Betrachter muß der stilistischen Haltung einen nicht nur be-
sonderen, sondern geradezu entgegengesetzten Charakter aufprägen. Aber auch diese
erklärt die Unterschiede nicht zur Genüge und erschöpft nicht ihre Tragweite. Wir
können und müssen dem vorhandenen Befund dieses karolingischen Gemäldezyklus
noch mehr abgewinnen, um der Bedeutung des Gegensatzes vollauf gerecht zu
werden.
In dem erhaltenen Bilderstreifen der Nordwand ist die Geschichte Absaloms mit
großer Ausführlichkeit erzählt. Das nächste Feld neben der Chorwand schließt diese
Geschichte ab, mit der Nachricht vom Tode des aufrührerischen Sohnes, die David
empfängt. Von hier aus müssen wir also die acht Bilder dieser Seite rückwärts ver-
folgen. Das erste neben der Westwand zeigt die Fürbitte des Weibes von Thekoa
für den bis dahin Verbannten, das folgende die Rückkehr und die Begnadigung. An
dieser Nordwand ist also noch nicht die ganze Geschichte Absaloms gegeben; die
voraufgehenden Ereignisse, wie die Ursache seiner Flucht usw., müssen an den andern
Wänden erzählt gewesen sein. Fraglich erscheint es dagegen, wie weit wir in dieser
obersten Reihe zum übrigen Leben des Königs David selber gelangen; nach ihrem
sicher dastehenden Schlußbild ist eine solche Erweiterung sogar unwahrscheinlich.
Diese Reihe zuoberst kann nur an der südlichen Langseite der Kirche, d. h. neben der
Altarwand, dem Schlußbild gegenüber, begonnen haben. Für spätere Tatsachen aus
dem Leben Davids, die wichtig genug wären, wie die Salbung Salomos, ist kein
Platz vorhanden. Die früheren Schicksale Davids und etwa Sauls könnten nur in
unteren Reihen gesessen haben, so daß die Erzählung von unten nach oben umlaufend
abgelesen werden mußte. Aber die gleiche Felderteilung über die drei Wände durch-
geführt zu denken, wie Zemp annimmt (und in Fig. 14 entwirft), so daß wir auf
hundert gleichgroße Historienbilder kämen, will mir nicht recht in den Sinn. Zunächst
ergibt sich aus der vorhandenen obersten Reihe nur die Forderung einer zweiten, die
noch zur Fensterregion gehört. Rechnen wir oben allein mit dem Leben Absaloms,
so stünde für die zweite darunter der Gedanke an eine neutestamentliche Parallele
offen. Die typologische Gegenüberstellung würde dann auf Christus führen. Sollte
die judenchristliche Tendenz sich dazu verstiegen haben, den Messias mit Absalom zu
vergleichen? Für die einheitlichen Flächen der Vollmauern unterhalb der Fenster wäre
wohl eher das Beispiel von S. Martino in coelo aureo (S. Apollinare nuovo) zu Ra-
venna, mit den feierlichen Prozessionen unter den kleinen Historienbildern, herbeizu-
ziehen. Die ganze Kirche, auch wenn sie einschiffig und verhältnismäßig klein war,
als ein Bilderbuch mit hundert gleichen Feldern auszumalen, würde in meinen Augen
eine gewisse Barbarei bedeuten. Dann hätten wir zu Münster ein Zeugnis für
provinziellen Mangel an monumentaler Raumkunst. Und gerade für die Voraussetzung
solcher Befangenheit, der wir später in schweizerischen Kirchen oft begegnen, scheint
angesichts des Erhaltenen kein Anlaß. Wir haben vielmehr in dem heutigen Befunde
 
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