Schmarsow. Über die karoling. Wandmalereien zu Münster in Graubünden 393
Absaloms Tod und die Boten vor David
einen großen, sicher durchgehaltenen Gegensatz zwischen der Altarwand, als der Stelle
des Allerheiligsten, und den übrigen Umfassungsmauern des Innern. An diesem
zweifellosen Ergebnis sollten wir jedenfalls so lange festhalten, bis auch die Apsiden
genau untersucht sind, und vielleicht eine Handhabe für Vermutungen über die weiteren
Faktoren des Gesamtschmuckes in der unteren Region ergeben.
Die zuverlässige Grundlage für die Erkenntnis des innersten Unterschiedes
finden wir m. E. in den Gesetzen der Komposition, die nach dem Darstellungsgegen-
stande hier und dort ganz verschieden sind. Dort ein großes feierliches Repräsentations-
bild; hier ausführliches Fabulieren in lauter Einzelbildern, die für sich abgeschlossen,
durch dekorative Umrahmung getrennt sind. Und da ist vor allen Dingen die Tatsache
wichtig: keine Spur fortlaufender Erzählungsweise, die mehrere Momente in einem
Rahmen vereinigte, oder gar aus dem einen Gemälde ins andere weiterflösse, sondern
klare Auswahl des Moments und isolierende Abrundung des Bildes als Einheit, wenn
auch innerhalb der Reihe, die weiterleitet bis zum Schluß.
„Das Grundgesetz der figürlichen Komposition ist ungefähr das gleiche, wie in
den Bildern aus der Geschichte Josefs in S. Maria antiqua zu Rom", schreibt auch
Zemp. „Die Vorgänge aus der Geschichte Absaloms werden in Münster ebenso
schlicht, anschaulich und ruhig geschildert." Selbst in dem erregten Vorwurf von
Absaloms Tod eine ganz objektive Tatsächlichkeit, die nur das gibt, worauf es an-
kommt. „Diese Ruhe wird ein Erbstück der Antike sein." Die rein anschaulichen
Absichten sind noch stärker als der Wille zur eindringlichen, ergreifenden Schilderung
des Inhaltes. Diese Werke stehen im Kreise einer Kunst, die das Bedürfnis nach
Steigerung der Ausdrucksfähigkeit noch nicht empfand, die vielmehr in ruhiger Be-
sonnenheit die Sache selbst gibt, daß sie sinnfällig vor Augen stehe.
Ziehen wir aus dieser Charakteristik nun aber auch die Konsequenzen. Die
Geschichten der Könige des auserwählten Volkes sind ein altbeliebter Darstellungs-
gegenstand, der gewiß früh im Wetteifer mit der Geschichte der römischen Kaiser oder
gar Könige (nach Livius), der Geschichte der Diadochen oder gar Alexanders des
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Absaloms Tod und die Boten vor David
einen großen, sicher durchgehaltenen Gegensatz zwischen der Altarwand, als der Stelle
des Allerheiligsten, und den übrigen Umfassungsmauern des Innern. An diesem
zweifellosen Ergebnis sollten wir jedenfalls so lange festhalten, bis auch die Apsiden
genau untersucht sind, und vielleicht eine Handhabe für Vermutungen über die weiteren
Faktoren des Gesamtschmuckes in der unteren Region ergeben.
Die zuverlässige Grundlage für die Erkenntnis des innersten Unterschiedes
finden wir m. E. in den Gesetzen der Komposition, die nach dem Darstellungsgegen-
stande hier und dort ganz verschieden sind. Dort ein großes feierliches Repräsentations-
bild; hier ausführliches Fabulieren in lauter Einzelbildern, die für sich abgeschlossen,
durch dekorative Umrahmung getrennt sind. Und da ist vor allen Dingen die Tatsache
wichtig: keine Spur fortlaufender Erzählungsweise, die mehrere Momente in einem
Rahmen vereinigte, oder gar aus dem einen Gemälde ins andere weiterflösse, sondern
klare Auswahl des Moments und isolierende Abrundung des Bildes als Einheit, wenn
auch innerhalb der Reihe, die weiterleitet bis zum Schluß.
„Das Grundgesetz der figürlichen Komposition ist ungefähr das gleiche, wie in
den Bildern aus der Geschichte Josefs in S. Maria antiqua zu Rom", schreibt auch
Zemp. „Die Vorgänge aus der Geschichte Absaloms werden in Münster ebenso
schlicht, anschaulich und ruhig geschildert." Selbst in dem erregten Vorwurf von
Absaloms Tod eine ganz objektive Tatsächlichkeit, die nur das gibt, worauf es an-
kommt. „Diese Ruhe wird ein Erbstück der Antike sein." Die rein anschaulichen
Absichten sind noch stärker als der Wille zur eindringlichen, ergreifenden Schilderung
des Inhaltes. Diese Werke stehen im Kreise einer Kunst, die das Bedürfnis nach
Steigerung der Ausdrucksfähigkeit noch nicht empfand, die vielmehr in ruhiger Be-
sonnenheit die Sache selbst gibt, daß sie sinnfällig vor Augen stehe.
Ziehen wir aus dieser Charakteristik nun aber auch die Konsequenzen. Die
Geschichten der Könige des auserwählten Volkes sind ein altbeliebter Darstellungs-
gegenstand, der gewiß früh im Wetteifer mit der Geschichte der römischen Kaiser oder
gar Könige (nach Livius), der Geschichte der Diadochen oder gar Alexanders des
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