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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 5
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Schmarsow, August: Über die karolingischen Wandmalereien zu Münster in Graubünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0404

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Monatshefte für Kunstwissenschaft


besonders auf die ältesten Mosaiken im Langhaus von S. Maria Maggiore in Rom
und die kleinen Szenen in der Fensterregion oben in S. Martino in ccelo aureo
(S. Apollinare nuovo) zu Ravenna hinweisen, obgleich das alles nicht völlig befrie-
digen kann.
Um so entscheidender muß der Gegensatz in der Kirche von Münster in Grau-
bünden selbst weiterhelfen. Ganz anders als die Historien ringsuhl an den drei
schlichten Wänden ist das große Hauptgemälde über den Altarnischen. In der Mitte
war in einem Medaillon das Brustbild Christi mit Kreuznimbus dargestellt, von zwei
schwebenden Engeln getragen, und mit diesen durch eine jener Umrahmungen, von
denen oben die Rede war, eingefaßt. Dann folgen links und rechts in runden Scheiben
die Halbfiguren von Sol und Luna, und auf den rechteckig begrenzten Feldern ordnet
sich eine Versammlung, der diese Vision zuteil wird: es sind die knieenden Apostel,
von stehenden Engeln, die nach der Erscheinung in der Höhe hinweisen, begleitet.
Hinter den äußersten Figuren am Rande wird der Giebel je eines übereckgestellten
Gebäudes sichtbar, in jener konventionellen Form, die uns bald als Ecclesia bald als
Martyrion, als Tempel oder als Haus gezeigt wird. Der helle Himmelsgrund da-
zwischen ist mit kleinen dreieckigen Wölkchen belebt. Die Apostel, zum Teil in vor-
nehmen Prachtgewändern, aber immer noch einfach gekleidet, erscheinen ohne Attribute,
sogar ohne Bücher und Rollen, immer zu zweien näher aneinander gerückt, aber auf
verschiedener Höhenlage, — das äußerste Paar auf jeder Seite nimmt die höchste, das
mittlere die tiefste Stelle ein, — und zwischen den Paaren bewegen sich die Engel,
die sie trennen und doch zu gemeinsamer Richtung, nach der Mitte hinauf, zusammen-
fassen. Diese Engel sind die außerordentlich anziehende und eigenartige Zutat, die
dem Bilde zu Münster einen ganz besonderen Wert sichert; sie sind künstlerisch
ebenso ausgezeichnet wie dogmengeschiditlidi bedeutsam, so daß fernere Untersuchung
mit ihrer Hülfe gewiß noch zu einer genaueren Feststellung der Entstehungszeit der
Komposition als solcher gelangen wird. Die freie große Anordnung des Ganzen ist
ohne ängstlichen Schematismus der Symmetrie, doch gleichmäßig abgewogen; die
rythmische Gliederung der seitlichen Gruppen, die wirksame Unterbrechung der knieenden
Apostelpaare durch die beschwingten Engel, mit ihrer lebendigen Bewegung und zum
Teil machtvollen Gebärde, die als Träger des gemeinsamen Geistes übrigens mit ihren
grauen Mänteln auch koloristisch die Reihe der farbigen Gewänder sowohl abteilen,
 
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