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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Schmarsow, August: Über die karolingischen Wandmalereien zu Münster in Graubünden
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0406

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398 Monatshefte für Kunstwissenschaft

verkehrte, sondern Engel treten als Mittler dazwischen und müssen sogar die un-
mittelbaren Jünger, die Evangelisten, die Verkündiger des Wortes, aufmerksam machen
oder ihnen den Sinn der Vision erklären. Diese Engel schreiten noch zwischen den
Menschen auf gleichem Boden einher, und so bleibt das plastische Grundgesetz der
Komposition nach gleichem Körpermaß aller Figuren und gleichen Bedingungen im
Raum bestehen. Aber sie entfalten ihre Flügel, die sie hinausheben könnten. Dies
Gefieder wird ein wirklicher Bestandteil der dekorativen Flächenfüllung, des Linien-
zuges von hüben und drüben zur Höhe, nach der Mitte, und gesellt sich der aus-
greifenden Gebärde ihrer Arme wie dem Schwung ihrer Gewänder. Diese Überirdischen
haben andre Heiligenscheine als die Apostel. Und wo befinden sich die Sendboten
des Wortes? -— auf der Erde, wie bei der Himmelfahrt des Erlösers oder der Aus-
gießung des heiligen Geistes? Nach den Gebäuden links und rechts könnte man
meinen, es sei ein irdischer Schauplatz, wenn auch die Oikumene, das Reich des be-
wohnten Erdkreises gemeint. Und doch müssen wir wohl eher an das himmlische
Jerusalem denken, als an die Kirche aus den Juden und die aus den Heiden, — und
zwar an eine Vision der Auserwählten in der Ewigkeit, im Himmel. Um so stärker
ist dann der Abstand zwischen ihnen und dem kleinen, fernen, auch ihrem Auge fast
entschwindenden Bilde der Gottheit, um so stärker die Rolle der Engel, die auch bei
ihnen sogar vermittelnd, helfend, belehrend eintreten müssen. Und dazu die Gebärden
und der Gesichtsausdruck der Apostel selbst. Wenn auch nicht mürrisch, doch zer-
knirscht, erschüttert, schaut der eine oder der andre drein; dort wird die Linke an
die Wange gelegt, oder gar die geballte Faust an die Schläfe gepreßt. Das grenzt
an die Ausdrucksbewegungen des Entsetzens, der Furcht und Überwältigung bei der
unerwarteten Wiederkunft des Herrn, d. h. des Richters am jüngsten Tag. Ist das die
ewige Seligkeit der Apostel, denen ein Thron im Himmel verheißen ward, wo sie den
Göttlichen von Angesicht zu Angesicht erblicken, — oder ist es ein angstvolles Erbeben
vor dem unnahbaren Mysterium, ein schrecklicher Höhepunkt ihres Vorzugsrechtes zu
schauen, die Offenbarung der Majestät zu empfangen, die sie doch nur mit Hilfe der
Engel gewahr werden? Wir sind auf dem Wege zu dem Wandel, den wir in der
Ausmalung von S. Georg zu Oberzell auf der Reichenau vollzogen finden.
Die Majestas Domini, vom Jahre 800 etwa, zu Münster in Graubünden, im
Dienst Karls des Großen gemalt, ist ein kirchengeschichtliches, dogmatisch bedeutsames
Dokument, dessen künstlerische Seite wir soeben allein beobachtet und aus dem sinn-
lich sichtbaren Bestände interpretiert haben. Sehen wir von der beträchtlich spätern
Darstellung des Jüngsten Gerichtes in S. Georg zu Oberzell ab, so müssen doch die
Wunder Christi und die Apostelfiguren an den Langwänden der Kirche herbeigezogen
werden, und zwar schon hier, im Vergleich mit dem Repräsentationsbilde der Altarwand
viel eher, als bei den profanen Historien von König David und Absalom, wo Zemp sie
wiederholt zur Hervorhebung der Unterschiede verwertet.
Ich bin mit seiner späten Datierung der Reichenauer Malereien von S. Georg in
Oberzell „etwa zweihundert Jahre nach denen zu Münster in Graubünden", also
ums Jahr 1000, oder gar auf den Anfang des XL Jahrhunderts, gern einver-
 
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