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Monatshefte für Kunstwissenschaft
„richtige" empfehlen, ihn belehren, daß er so die Linien in der Tiefe sich nähern lassen
müsse, um den Raum zu gewinnen? Ich denke, daß schon das eine Beispiel, wenn
es nur richtig verstanden wurde, zur Vorsicht mahnen muß.
Gehen wir zu einem zweiten über, einer Szene aus dem Leben des Priesters
Ippen1) (Meister unbekannt. XIV. Jahrh. Stil der Yoshimitsu Tosa). (Abb. 2.) Wir
haben weiteren Raum vor uns. Der Vorgang spielt im Freien. Zur Linken wird
ein Rundtanz aufgeführt. Die Zuschauer sitzen am Boden in einer Reihe, die vom
unteren Bildrande zuerst schräg nach rechts verläuft, dann rechtwinklig umbiegend
nach links. Zur Rechten bildeinwärts ist ein Haus sichtbar, nur im unteren Teile,
denn ein gerader Wolkenstreif schneidet oben das Bild rasch ab. Über die künst-
lerische Absicht, die der räumlichen Anlage zugrunde liegt, gibt das Verhältnis
des verschiedenen Maßstabes der Figuren sichere Auskunft. Am besten die Größen-
verhältnisse der Figuren, die am Boden hocken, denn deutlich wächst die Figuren-
größe bildeinwärts. Auch in den zwei Reihen des Rundtanzes wird man die
größeren Köpfe in der von uns aus hinteren Reihe finden (bei dem geringen räum-
lichen Abstand ist der Unterschied naturgemäß nicht bedeutend). Die Gruppe außen am
Hause ist im Maßstab deutlich größer als die gerade vor ihr vom unteren Bildrande
auftauchenden Menschen. Ein ganz bewußt gehandhabtes Prinzip also. Wieder ist
der Standort des Beschauers oben und bildeinwärts zu denken, und man versteht nun
erst auch die merkwürdigen, fingerförmigen Wolkengebilde, die als obere Begrenzung
von den Yamatomeistern so gern verwandt werden, sie sind als Blickgrenze zu fassen
und eine notwendige Konsequenz eben des eigentümlichen Standortes, der für den Be-
schauer vorausgesetzt wird. Denn einen sichtbaren Horizont wie in europäischen Bil-
dern kann es logischerweise nicht geben, die Blickrichtung, die von oben und aus der
Tiefe nach unten und vorn verläuft, läßt es nicht zu, daß man zugleich bildeinwärts
sieht. Und wie es uns ästhetisch anstößig ist, die Dinge nach vorn herauswachsen zu
sehen, greifbar und dem Bildraum nicht mehr untertan, so vermeidet es der Japaner
ebenfalls in seinem Sinne, sich die Dinge entgegenwachsen zu lassen, gibt darum ober-
halb die Begrenzung mit den langgezogenen Fingerwolken. Auf der anderen Seite
bekommen nun die häufig vorkommenden Überschneidungen von Figuren am unteren
Bildrande ebenfalls eine andere Bedeutung, nicht vergleichbar dem Herauswachsen der
Figuren in europäischen Bildern, die als vorderste Raumzone und durch Überschnei-
dungen, — die der Japaner gerade vermeidet, — dem Eindruck der Tiefe dienen, im
Maßstab am größten und dem Beschauer unmittelbar nahe. Für den Japaner ist hier
vorn und unten die Ferne, stehen hier die Dinge, die am unwesentlichsten sind, und
die vom Bildrande überschnitten werden, um anzudeuten, daß hier der Bildraum ins
weite verläuft, die Bildfläche nur einen Ausschnitt darstellt.
Eine zweifache Bestimmung ergibt sich aus den bisherigen Betrachtungen für
die Blickrichtung und den Standort des Beschauers im japanischen Gemälde: in der
Tiefe des Bildes (in unserem Sinne gesprochen) und am oberen Bildrande. Hatten wir
9 Selected relics of Japanese art. Edited by S. Tajima. Kyoto. Band VI, No. 19,
zweite Tafel,
Monatshefte für Kunstwissenschaft
„richtige" empfehlen, ihn belehren, daß er so die Linien in der Tiefe sich nähern lassen
müsse, um den Raum zu gewinnen? Ich denke, daß schon das eine Beispiel, wenn
es nur richtig verstanden wurde, zur Vorsicht mahnen muß.
Gehen wir zu einem zweiten über, einer Szene aus dem Leben des Priesters
Ippen1) (Meister unbekannt. XIV. Jahrh. Stil der Yoshimitsu Tosa). (Abb. 2.) Wir
haben weiteren Raum vor uns. Der Vorgang spielt im Freien. Zur Linken wird
ein Rundtanz aufgeführt. Die Zuschauer sitzen am Boden in einer Reihe, die vom
unteren Bildrande zuerst schräg nach rechts verläuft, dann rechtwinklig umbiegend
nach links. Zur Rechten bildeinwärts ist ein Haus sichtbar, nur im unteren Teile,
denn ein gerader Wolkenstreif schneidet oben das Bild rasch ab. Über die künst-
lerische Absicht, die der räumlichen Anlage zugrunde liegt, gibt das Verhältnis
des verschiedenen Maßstabes der Figuren sichere Auskunft. Am besten die Größen-
verhältnisse der Figuren, die am Boden hocken, denn deutlich wächst die Figuren-
größe bildeinwärts. Auch in den zwei Reihen des Rundtanzes wird man die
größeren Köpfe in der von uns aus hinteren Reihe finden (bei dem geringen räum-
lichen Abstand ist der Unterschied naturgemäß nicht bedeutend). Die Gruppe außen am
Hause ist im Maßstab deutlich größer als die gerade vor ihr vom unteren Bildrande
auftauchenden Menschen. Ein ganz bewußt gehandhabtes Prinzip also. Wieder ist
der Standort des Beschauers oben und bildeinwärts zu denken, und man versteht nun
erst auch die merkwürdigen, fingerförmigen Wolkengebilde, die als obere Begrenzung
von den Yamatomeistern so gern verwandt werden, sie sind als Blickgrenze zu fassen
und eine notwendige Konsequenz eben des eigentümlichen Standortes, der für den Be-
schauer vorausgesetzt wird. Denn einen sichtbaren Horizont wie in europäischen Bil-
dern kann es logischerweise nicht geben, die Blickrichtung, die von oben und aus der
Tiefe nach unten und vorn verläuft, läßt es nicht zu, daß man zugleich bildeinwärts
sieht. Und wie es uns ästhetisch anstößig ist, die Dinge nach vorn herauswachsen zu
sehen, greifbar und dem Bildraum nicht mehr untertan, so vermeidet es der Japaner
ebenfalls in seinem Sinne, sich die Dinge entgegenwachsen zu lassen, gibt darum ober-
halb die Begrenzung mit den langgezogenen Fingerwolken. Auf der anderen Seite
bekommen nun die häufig vorkommenden Überschneidungen von Figuren am unteren
Bildrande ebenfalls eine andere Bedeutung, nicht vergleichbar dem Herauswachsen der
Figuren in europäischen Bildern, die als vorderste Raumzone und durch Überschnei-
dungen, — die der Japaner gerade vermeidet, — dem Eindruck der Tiefe dienen, im
Maßstab am größten und dem Beschauer unmittelbar nahe. Für den Japaner ist hier
vorn und unten die Ferne, stehen hier die Dinge, die am unwesentlichsten sind, und
die vom Bildrande überschnitten werden, um anzudeuten, daß hier der Bildraum ins
weite verläuft, die Bildfläche nur einen Ausschnitt darstellt.
Eine zweifache Bestimmung ergibt sich aus den bisherigen Betrachtungen für
die Blickrichtung und den Standort des Beschauers im japanischen Gemälde: in der
Tiefe des Bildes (in unserem Sinne gesprochen) und am oberen Bildrande. Hatten wir
9 Selected relics of Japanese art. Edited by S. Tajima. Kyoto. Band VI, No. 19,
zweite Tafel,