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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Glaser, Curt: Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0418

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410 Monatshefte für Kunstwissenschaft


Abb. 8. NO-AMI (XV. Jahrh.): Landschaft
Selected Relics VII, 28 □

stufen aufzuzeigen, sondern er konnte auch den Ursprung der Niedersicht selbst aus einer
von ihm treffend als „umgekehrte Perspektive" bezeichneten Raumdarstellung erweisen,
die ihrerseits wieder von der alten „senkrechten Staffelung" sich herleitet. Wulffs „um-
gekehrte Perspektive" entspricht nun in allen Stücken der der japanischen Malerei
eigentümlichen Raumanschauung. Das Auftreten des gleichen Phänomens im zeitlich
und räumlich gleich weit entfernten Gebiet ist uns eine erwünschte Bestätigung der
eigenen Ergebnisse und ein neues Problem zugleich. Denn auch für uns erhebt sich
die Frage: wie entstand die japanische Raumanschauung, die sich unmittelbar den beiden
von Wulff geprägten Begriffen der Niedersicht und der umgekehrten Perspektive ein-
ordnen läßt, entstammt sie dem gleichen, altorientalischen Kunstkreise, aus dessen
Formen sie sich in Byzanz entwickelte, oder entstand sie selbständig in Ostasien und
aus welchen Bedingungen? aus Bedingungen, die den von Wulff für Vorderasien
festgestellten gleich sind, oder aus wesentlich verschiedenen?
Leider ist es bei dem heutigen Stande der ostasiatischen Wissenschaft nicht
möglich, präzise Antwort auf die Frage der Herkunft der umgekehrten Perspektive in
der japanischen Malerei zu erteilen. A priori läßt sich jedenfalls annehmen, daß auch
in Ostasien die senkrechte Staffelung die Vorstufe der umgekehrten Perspektive ge-
wesen, die als unmittelbare Naturwiedergabe unverständlich wäre und nur als Inter-
pretierung und nachträgliche Entfaltung einer ursprünglich gewiß auch räumlich ge-
meinten, aber dem entwickelteren Sehvermögen unräumlich gewordenen Darstellungsform
begreifbar wird. Daß in jeder senkrechten Staffelung eine Absicht auf Raumdarstellung
enthalten ist, auch wenn wir uns noch so sehr an den inneren Widersprüchen stoßen,
scheint mir zur notwendigen Voraussetzung zu werden, nicht als ob die räumliche Be-
deutung immer gleichermaßen bewußt bliebe, aber als eigentlicher Sinn wohnt sie doch
auch der typisch werdenden Ausdrucksform noch inne.
Die erste Frage ist also, ob auch in dem ostasiatischen Kunstkreise sich die
senkrechte Staffelung als Vorstufe der umgekehrten Perspektive erweisen läßt. Wenn
 
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