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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Glaser, Curt: Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0423

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Glaser. Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei

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Abb. 12. MOTONOBU KANO: Aus der Oyeyama-Legende
Kokka 204, 4 □

nommen werden, um eine eigene Entfaltung zu erfahren. Wie wenn ein Volk die Schrift-
zeichen von einem fremden übernimmt und sie den eigenen Sprachformen anpaßt, um ihnen
für den neuen Gebrauch einen neuen Sinn zu geben, so mag sich in Japan die Ausbildung
der umgekehrten Perspektive vollzogen haben, die allem Anschein nach in ihrem Mutter-
lande China gar nicht zu so konsequenter Raumgestalt entwickelt worden war. Innerhalb
der übernommenen Darstellungsform befriedigte die japanische Kunst ihr Bedürfnis nach
subjektiver Ausgestaltung des Bildes, entwickelte ihr Raumbild unmittelbar aus dieser
heraus, während im Abendlande — und ebenso in China — die subjektive Denkweise
eine Umkehr des Standpunktes logischerweise mit sich brachte. Durch die der neuen
Anschauungsweise entstammende impressionistische Strömung wird die Entwicklung der
umgekehrten Perspektive im Abendlande rasch durchkreuzt. Schon in der Wiener
Genesis stellt sich der objektiven Raumanschauung, die den Beschauer in die Tiefe des
Bildes einbezieht, die subjektive Darstellungsweise, die ihm seinen sicheren Platz vor dem
Bilde anweist, diametral gegenüber. Anders in der japanischen Illustration der Schriften
des Buddha (Abb. 6). Der objektiven Raumauffassung steht die objektive Darstellungs-
form der reinen Linienzeichnung und schattenlosen Kolorierung aufs glücklichste zur
Seite. Es wird hieraus nochmals begreiflich, daß die umgekehrte Perspektive, die im
Abendlande rasch verkümmern mußte im Kampfe mit dem starken Gegner impressio-
nistischer Kunstanschauung, in Japan unbeeinflußt von fremden Strömungen, eine hohe
Entwicklungsstufe erreichen konnte.
Doch auch in Japan sollte es anders werden. In China war der ostasiatische
Impressionismus entstanden, der schon unter der südlichen Sung-Dynastie die Höhe
reinster Entwicklung und reichster Blüte erstieg. Wie in Japan mit der Kunst der
Tosameister, so identifiziert sich in China mit diesen Landschaftsgemälden unser Begriff
von der klassischen Malerei des Landes überhaupt, während die Malerei der voran-
gegangenen Epoche in China uns im vorzeitlichen Halbdunkel entschwindet. Allerdings
 
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