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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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Glaser, Curt: Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0426

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

auf.1) Und Noami selbst läßt auf seinen Mittelgrund ebenfalls eine eigentliche Ferne
folgen — wieder richtig in unserem Sinne. Das räumliche Verhältnis des Landschafts-
bildes wird dadurch nochmals kompliziert, wie es an sich schon schwerer fällt, in einer
Landschaft, die in voller Beherrschung der impressionistischen Technik breit hingesetzt
ist, als in dem gezeichneten Bilde eines Tosameisters sich in die merkwürdige Raum-
anschauung einzuleben. Irgend eine rationelle Deutung ist nicht mehr möglich, der
Standpunkt des Beschauers läßt sich nicht so wie vordem präzisieren. Am besten
findet man den Weg, wenn man annimmt, daß das Interessenzentrum im Mittelgründe
liegt, daß der Beschauer, der von oben herniederblickt, an dem Vordergrund, der
gleichsam hinter ihm bleibt, vorbeisieht und den Mittelgrund fixiert, der nun am deut-
lichsten und am nächsten, d. h. größten erscheint.
Die Werke der Ami gehören zu den reizvollsten Erzeugnissen japanischer
Landschaftsmalerei, aber nicht von ihrer Kunst, die von dem weichen, sogenannten süd-
chinesischen Stil ihren Ausgang genommen hatte, sondern von Motonobu Kano(1476—1559),
der mehr der kräftigeren, nordchinesischen Art sich anschließt, geht die japanische
Renaissance aus. Die Landschaften des Motonobu2) (Abb. 11) wollen von einer Einheit des
Blicks im chinesischen Sinne nichts mehr wissen, es wird hoch aufgestaffelt und auf
perspektivische Verkleinerung höchstens noch in ganz geringem Maße bedacht ge-
nommen. Es sind komponierte Landschaften. Von einer bewußt eingehaltenen Per-
spektive im einen oder anderen Sinne kann man nicht mehr reden. Es kommen Bilder
vor, die zwei Landschaften übereinander darstellen ") (Abb. 9) wohl die obere verkleinert,
wie wir es in unserem Sinne erwarten, aber diese Bilder sind einheitlich in räum-
lichem Betracht überhaupt nicht sehbar. Sieht man das untere, so bleibt das obere in
der Luft hängen, sieht man das obere, so versinkt das untere in der Tiefe. Die alte
Tradition der umgekehrten Perspektive vermag nicht mehr durchzudringen, — nur in
erzählenden Bildern, die sich der Tosaschule nähern, kräftig kolorieren und auch von
den Fingerwolken eifrigst Gebrauch machen,4) (Abb. 12) kommen ihre Erscheinungen noch
rein vor, und hier und da findet sich wieder eine Niedersicht, sei es, daß wir mit den
Krähen emporgehoben werden über einen verschneiten Wald5) (Abb. 13) oder mit
Avalokitesvara weit hinauf über die Erde. Aber stark genug war die alte Tradition
doch noch, die neu eindringenden Gesetze einer subjektiven, vom Beschauer aus
orientierten Perspektive in der großen und eigentlich nationalen Kunstschule der Kano
völlig zu zersetzen.
Die weiteren Schicksale der japanischen Perspektive interessieren uns hier nicht
mehr. Das allmähliche Verblassen der alten Traditionen im Fortleben der Schulen

9 In allen solchen Fällen scheint nach beiden Seiten, nach vorn sowohl als nach der Tiefe
von dem angenommenen Standort des Beschauers im Mittelgründe des Bildes aus eine per-
spektivische" Verkleinerung stattzufinden.

2) Kokka 179, 3.

3) Selected relics VII, 33. Tafel 2.

4) Kokka 204, 4.

5) Kokka 121, 2.
 
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