434 Monatshefte für Kunstwissenschaft
entstanden (Abb. 8), endlich ein Zyklus von Mariengeschichten in einer Seitenkapelle und
ein St. Georg über dem Portale der Kirche zu Croviana bei Male im tridentinischen Sulzberge.
Die Vermutung drängt sich daher auf, daß die letzten Wurzeln des Donaustiles
überhaupt in dieser ostrhätischen Hochgebirgszone gelegen sind, daß er
nichts anderes war als die in die Donauebene verpflanzte Alpenrenaissance.
Genau so waren die Typen des Bauernhauses oder die aus Oberitalien übernommene
Sitte der Fassadendekoration aus dem Gebirge über das südbayerische Tafelland nach der
Donau gewandert. Damit wäre zugleich die Erklärung gegeben für die auffälligen Über-
einstimmungen der Donaugruppe mit den Schweizer Malern des sechzehnten Jahrhunderts,
den Urs Graf, Manuel Deutsch, Hans Leu, die in keiner Weise durch äußere Verhältnisse
zu begründen sind. „Die Kunstgeschichte" schrieb W. H. Riehl 1853 in „Land und Leute",
„zog zu allen Zeiten wie die Geschichte des Handels und der Industrie den Flüssen und
Ebenen nach, sie steigt nicht gern in das Innere der Gebirge." Sehr richtig. Umgekehrt
waren jedoch die Anregungen der uralten, rassigen Volkskunst der Alpen dem „Land
vor dem Gebirge" stets willkommen und namentlich der bayerische Provinzialismus
verdankt diesen Zuflüssen mit sein Bestes. Wie der Inn bei seiner Mündung in die
Donau meist wasserreicher als diese ist, aber doch ihrer Richtung folgt, so waren die
Donaustädte vielfach nur die Exponenten der malerischen Entwicklung des Hochlandes,
die Umschlagsplätze der alpinen Kunst. Sie haben dieser Ziel, Richtung und die im
deutschen Binnenlande gangbare Marke gegeben, sie in eine gemeinverständlichere
Mundart übersetzt, aus der aber noch mancher Heimatlaut mit seiner ursprünglichen
Klangfarbe heraustönt. So hat man sich noch immer nicht klar gemacht, wie stark
die Einwirkung der tiroler Spätgotik auf die süddeutsche Renaissance, speziell die
Hofkünstler Kaiser Maximilians gewesen ist. Historisch beglaubigter, obschon noch
keineswegs genügend anerkannt, ist der Anteil, den die Meister der Ostalpenländer an
der Ausbildung der deutschen Barockkunst genommen haben.
Von solchen Wahrnehmungen ist bei Voss leider nichts zu lesen. Und doch
hätten sie erst ihn befähigt, die geschichtlichen Wandlungen des Stiles darzulegen und
eine Synthese seines Charakters zu versuchen. Nicht, daß es ihm an prinzipiellen
Gesichtspunkten fehlte. Im Gegenteil, sein Buch leidet bei mangelhafter Anschauung
des Denkmälervorrates und dessen unübersichtlicher Gruppierung an einer starken
Vorneigung zu abstraktem Theoretisieren, an einem Zuviel von Spekulation. Es ist
mehr um die Sache herum als über die Sache geschrieben und der Verfasser
„geht so selig ins Allgemeine", daß er den Boden stellenweise unter den Füßen
verliert. Dies namentlich dort, wo er Eindrücke mit Beobachtungen verwechselt,
zufällige Analogien mit kausalen Zusammenhängen, leere Vermutungen mit dem
Tatbestände. Auch wer sich keineswegs zum Programm einer engherzigen Spezial-
forschung bekennt, sondern jede Förderung des artistischen Verständnisses gerade
solcher Werke, die man nicht vom künstlerischen Standpunkte einzuschätzen pflegt,
dankbar hinnimmt, wird finden, daß das Raisonnement des Buches sich allzuoft in
entstanden (Abb. 8), endlich ein Zyklus von Mariengeschichten in einer Seitenkapelle und
ein St. Georg über dem Portale der Kirche zu Croviana bei Male im tridentinischen Sulzberge.
Die Vermutung drängt sich daher auf, daß die letzten Wurzeln des Donaustiles
überhaupt in dieser ostrhätischen Hochgebirgszone gelegen sind, daß er
nichts anderes war als die in die Donauebene verpflanzte Alpenrenaissance.
Genau so waren die Typen des Bauernhauses oder die aus Oberitalien übernommene
Sitte der Fassadendekoration aus dem Gebirge über das südbayerische Tafelland nach der
Donau gewandert. Damit wäre zugleich die Erklärung gegeben für die auffälligen Über-
einstimmungen der Donaugruppe mit den Schweizer Malern des sechzehnten Jahrhunderts,
den Urs Graf, Manuel Deutsch, Hans Leu, die in keiner Weise durch äußere Verhältnisse
zu begründen sind. „Die Kunstgeschichte" schrieb W. H. Riehl 1853 in „Land und Leute",
„zog zu allen Zeiten wie die Geschichte des Handels und der Industrie den Flüssen und
Ebenen nach, sie steigt nicht gern in das Innere der Gebirge." Sehr richtig. Umgekehrt
waren jedoch die Anregungen der uralten, rassigen Volkskunst der Alpen dem „Land
vor dem Gebirge" stets willkommen und namentlich der bayerische Provinzialismus
verdankt diesen Zuflüssen mit sein Bestes. Wie der Inn bei seiner Mündung in die
Donau meist wasserreicher als diese ist, aber doch ihrer Richtung folgt, so waren die
Donaustädte vielfach nur die Exponenten der malerischen Entwicklung des Hochlandes,
die Umschlagsplätze der alpinen Kunst. Sie haben dieser Ziel, Richtung und die im
deutschen Binnenlande gangbare Marke gegeben, sie in eine gemeinverständlichere
Mundart übersetzt, aus der aber noch mancher Heimatlaut mit seiner ursprünglichen
Klangfarbe heraustönt. So hat man sich noch immer nicht klar gemacht, wie stark
die Einwirkung der tiroler Spätgotik auf die süddeutsche Renaissance, speziell die
Hofkünstler Kaiser Maximilians gewesen ist. Historisch beglaubigter, obschon noch
keineswegs genügend anerkannt, ist der Anteil, den die Meister der Ostalpenländer an
der Ausbildung der deutschen Barockkunst genommen haben.
Von solchen Wahrnehmungen ist bei Voss leider nichts zu lesen. Und doch
hätten sie erst ihn befähigt, die geschichtlichen Wandlungen des Stiles darzulegen und
eine Synthese seines Charakters zu versuchen. Nicht, daß es ihm an prinzipiellen
Gesichtspunkten fehlte. Im Gegenteil, sein Buch leidet bei mangelhafter Anschauung
des Denkmälervorrates und dessen unübersichtlicher Gruppierung an einer starken
Vorneigung zu abstraktem Theoretisieren, an einem Zuviel von Spekulation. Es ist
mehr um die Sache herum als über die Sache geschrieben und der Verfasser
„geht so selig ins Allgemeine", daß er den Boden stellenweise unter den Füßen
verliert. Dies namentlich dort, wo er Eindrücke mit Beobachtungen verwechselt,
zufällige Analogien mit kausalen Zusammenhängen, leere Vermutungen mit dem
Tatbestände. Auch wer sich keineswegs zum Programm einer engherzigen Spezial-
forschung bekennt, sondern jede Förderung des artistischen Verständnisses gerade
solcher Werke, die man nicht vom künstlerischen Standpunkte einzuschätzen pflegt,
dankbar hinnimmt, wird finden, daß das Raisonnement des Buches sich allzuoft in