Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 5
DOI article:
Studien und Forschungen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0444

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Studien und
EINE REMBRANDT-ZEICHNUNG IM
KUPFERSTICHKABINETT ZU OLDEN-
BURG.
Unter den unendlich vielen Geschichten des
Alten Testamentes, die Rembrandt beschäftigten
und von denen dieser leidenschaftliche Märchen-
leser einen großen Teil überhaupt zum aller-
ersten Male bildlich darstellte, sind einige, für
die er eine besondere Vorliebe gehabt haben
muß. Immer wieder kehrt er zu ihnen zurück
und gibt seinen Gestaltungen immer neue
Fassungen, wenn auch nicht stets von Grund
auf neue, so doch weiter entwickelte, reichere
Formulierungen. Solche Lieblingsthemata sind
für ihn die Begebenheiten des Tobias, die Ge-
schichte der Susanna und das Tun und Leiden
des Simson. Es ist nicht nötig, hier heimliche
Beziehungen anzunehmen zwischen der Wahl
seiner Stoffe und seinen Lebensschicksalen. Ihn
hat bei dieser Stoffwahl wohl immer nur das
allgemein menschliche Interesse geleitet und das
künstlerische Wollen, je nachdem es bei ihm
gerade auf das Dramatische oder Psychologische
oder Lyrische gerichtet war. Ein solches Lieb-
lingsstück in seinem Alten Testament scheint
auch die Geschichte vom jungen Joseph in
Ägypten gewesen zu sein. Wenn man außer
seinen Gemälden und Radierungen noch seine
Zeichnungen betrachtet — und erst in ihnen
liegt ja der ganze Umkreis seiner Vorstellungen
ausgebreitet — , stößt man ziemlich häufig auf
verschiedene Entwürfe zu Darstellungen aus
dieser Legende, wie Joseph im Gefängnis ist,
wie er Träume deutet und besonders auch die
Szene mit der Frau des Potiphar. Dieser Be-
gebenheit hat er in der Radierung von 1634
(B. 37) die drastischste Fassung gegeben — er
hat nach dem Text den Augenblick gewählt,
wo es heißt: „und sie erwischte ihn bei seinem
Kleid und sprach: Schlafe bei mir! Aber er ließ
das Kleid in ihrer Hand und floh. . ." (I. Mose,
Kap. 39, Vers 12). — Als Rembrandt sich zwanzig
Jahre später wieder mit diesem Stoff beschäftigte
und das unvergleichlich schöne Bild der Berliner
Galerie malte (1655), hat er, der Gewöhnung
seiner Spätzeit gemäß nicht eine Illustration
einer bestimmten Textstelle gegeben, sondern
den wesentlichen Inhalt der Erzählung zu-
sammengefaßt. Das Weib verklagt bei ihrem
Gatten den Jüngling — der steht hinter dem

Forschungen
Bett und wendet Hand und Blick nach oben, in
wortloser Empörung über so viel Verworfen-
heit. Die Szene steht nicht so im Text; da ist
vielmehr Potiphar allein mit seinem Weibe,
denn Joseph war ja fortgelaufen. Auch mußt
man annehmen, daß sie ihren Angriff auf die
Unschuld nicht sitzend und bekleidet vollführt
hat, sondern im Bette liegend —, wie das ja
auch der junge Rembrandt, der Zeichner der
Radierung von 1634, sich vorgestellt hatte.
Wenn er also in dem Gemälde sich dem Text
gegenüber eine poetische Licenz erlaubt, so ist
das bestimmte Absicht und ein Erzeugnis seiner
frei dichtenden Phantasie, die in knappster
Form den ganzen Inhalt dramatisch erschöpfen
will. Es gibt aber auch einen anderen Ent-
wurf zu dieser Verklagung, eine genaue
Illustration der bestimmten Textstelle, eine
Zeichnung. Sie befindet sich im Kupferstich-
kabinett der Großherzoglichen Sammlung in
Oldenburg und wird hier, in einer verkleinerten
Abbildung, zum ersten Male publiziert. 9
Die Eigenhändigkeit Rembrandts ist wohl
auch nach der Reproduktion nicht zu bezweifeln,
ebensowenig wie die Deutung der Darstellung.
Im Text der Bibel heißt es: „Und sie legte sein
Kleid neben sich, bis sein Herr heimkam, und
sagte zu ihm: Der ebräische Knecht, den du
uns hereingebracht hast, kam zu mir herein und
wollte seinen Mutwillen mit mir treiben. Da
ich aber ein Geschrei machte und rief, da ließ
er sein Kleid bei mir und floh hinaus" (I. Mose,
Kap. 39, Vers 17 u. 18). Die Frau hat sich halb
aufgerichtet im Bett und erzählt dem genau zu-
hörenden Gemahl den Hergang; Josephs Kleid
ist halb vom Bett heruntergeglitten auf den
Boden und redet als falscher Zeuge.
Was sind das nun aber für Figuren zu
Häupten des Bettes, die da an Stelle der Bett-
pfosten stehen? Man kann mit einiger Sicher-
heit so viel sagen, daß es sich auf der einen
Seite um einen Faun, der eine Geste macht,
handelt, und auf der anderen um eine nackte
Frau. Aber sicher ist ihre Bedeutung in dieser
Szene im Dekorativen nicht erschöpft; dazu ist die
Rolle, die sie in diesem Entwurf spielen, doch
') Originalmaße: 18,7:21,5 cm. Technik: Feder und
Tusche. Herrn Konservator R. tom Diek, dem Verwalter
der Oldenburger Galerie, sowie Herrn Hofkunsthändler
Oncken, der das Verlagsrecht an dieser Photographie be-
sitzt, spreche ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten
Dank aus für die Erlaubnis des Reproduzierens.
 
Annotationen