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Monatshefte für Kunstwissenschaft
läßt: eine stille Abgeschlossenheit in freier Luft
und mit freiem Licht. Es werden sich mannig-
faltige Durchblicke ergeben, welche mit jedem
Schritte wechseln werden, und von außen her wird
das Tabernakel Orcagnas den Vorübergehenden
durch seine Pracht erfreuen und anziehen. Es
wird vermieden, daß die alte Kultstätte die Zu-
flucht der zweifelhaften Müßiggänger und des
Marktgetriebes wird: Ein offener und doch ab-
geschlossener Raum, voll von stiller Stimmung
inmitten der lärmenden Straße wird Or San
Michele werden.
Zu den archäologischen Führungen, welche
das preußische Kultusministerium bisher in Rom
und Griechenland preußischen Oberlehrern hat
zu Teil werden lassen, ist in diesem Jahre zum
ersten Male eine Studienreise hinzugetreten,
welche einer Anzahl Gymnasialdirektoren undPro-
fessoren das Gebiet der italienischen Renaissance
näher führen sollte. Der größte Teil des vier-
wöchentlichen italienischen Aufenthaltes der
Herren galt Florenz, außerdem wurden Pisa,
Siena, S. Gimignano, Bologna, Ferrora, Padua
besucht. Die Führung war Herrn Professor
Schubring, Berlin übertragen worden. Man wird
nicht irre gehen, wenn man in dieser Unter-
nehmung eine Wirkung des eben ins Leben ge-
tretenen „Deutschen Vereins für Kunstgeschichte"
erblickt. Es ist gewiß zu begrüßen, daß den
Männern, denen die Erziehung der Jugend ob-
liegt, die Kenntnis der italienischen Renaissance,
die in ihren den heutigen Verhältnissen immer-
hin recht verwandten Kulturbedingungen auch
für ein praktisches Ansdiauen von Kunstfragen
ausgiebige Anregung bietet, in zweckmäßiger
Weise vermittelt wird. Es wird nicht aus-
bleiben, daß etwas von diesen Anregungen in
der jungen Generation Frucht treiben wird,
namentlich wenn der diesjährige Versuch eine
gutgeregelte Fortsetzung erfährt. Doch möchte
man es durchaus nicht wünschbar finden, daß
diese Lehrer-Führungen die Vorbereitungen zu
einer Einführung des Unterrichts in der
neueren Kunstgeschichte für Gymnasien
sein sollten. Bei der Gründungs-Sitzung des
„Deutschen Vereins für Kunstgeschichte" kamen
solche Tendenzen zur Sprache. Abgesehen da-
von, daß der Lehrstoff der Gymnasien schon
heute die äußersten Grenzen der Wissensmenge
berührt, setzt dasjenige, was die neuere Kunst-
geschichte uns bietet, so sehr individuelle Ver-
anlagung voraus, daß ein schulmäßiges Lehr-
fach nur dann daraus werden kann, wenn auf
alles feinere Hineinleben von Lehrern und Schü-
lern in die Kunsterscheinungen von vornherein
verzichtet wird. Außerdem dürfen wir uns nicht
verhehlen, daß das schulmäßige Beschäftigen mit
Dingen, die sich an die Sinne, an die Phantasie,
an den Genuß, an das Empfinden wenden, die
jungen Menschen eher vom gewollten Hinein-
dringen fernhalten als sie ihm nähern werden.
Die Schule kann sich nur an den Verstand halten,
und Kunstsnobismus haben wir eigentlich genug.
Das französische Institut in Florenz,
dessen Gründung wir schon erwähnten (Heft 1/2),
ist am 27. April unter Teilnahme des franzö-
sischen Botschafters in offizieller Weise eröffnet
wurden. Von Seiten der offiziellen Welt wie
in der Florentiner Gesellschaft wurde dem In-
stitut die große Sympathie durch eine Reihe
von Veranstaltungen bewiesen, welche das Italien
von heute Frankreich entgegenbringt. An der
Spitze des neuen Instituts steht Prof. Julien
Luchaire, der den Lehrstuhl für italienische
Literatur an der Universität Grenoble inne hat.
Von den deutschen gelehrten Instituten unter-
scheidet es sich durch die enge Fühlung, die es
mit der Mutter-Universität Grenoble behalten
wird, und überhaupt durch seinen eher der
Lehrtätigkeit zugewandten Charakter.
Zu Ehren des französischen Instituts hat der
Direktor der Biblioteca Laurenziana Comm. Biagi
eine Ausstellung von französischen Codices ver-
anstaltet.
Die Uffizien haben ihren Bestand an ober-
italienischen Gemälden durch Erwerbung zweier
beiderseitig bemalter Tafeln, welche die Sig-
natur des Giovan Francesco Caroto tragen
und aus dem Besitz des Marchese Cavalli
stammen, bemerkenswert bereichert. Ursprüng-
lich verschlossen die beiden Tafeln wahrschein-
lich als Türen eine plastische Darstellung der
Geburt Christi. Sobald die Bilder der Öffent-
lichkeit zugänglich sind, werden wir auf sie noch
einmal zurückkommen.
In der Sitzung des Kunsthistorischen
Instituts vom 30. April brachte Herr Dr. Baum
Mitteilungen zur Geschichte der Medici-Grab-
mäler Michelangelos. In erster Linie gab
er Bedenken gegen die von dem Unterzeichneten
in der Sitzung des Institus vom 15. Mai 1907
(siehe Kunst-Chronik XIX, S. 62) dargelegten
Feststellungen Ausdruck. Als Resultat ist zu-
sammenzufassen, daß nach der Ansicht von
Dr. Baum die Figuren des „Tags" und der
„Nacht" möglicherweise doch bereits für eine
schräge Aufstellung konzipiert gewesen seien.
Der Unterzeichnete hielt den neues Material
nicht beibringenden Mitteilungen gegenüber daran
fest, daß die Untersuchung der Figuren selber,
die er wiederholt und auch oft im Verein mit
Bildhauern vorgenommen habe, aufs Unzweifel-
hafteste ergebe, daß „Tag" und „Nacht" für eine
horizontale Aufstellung gearbeitet sind und erst
Monatshefte für Kunstwissenschaft
läßt: eine stille Abgeschlossenheit in freier Luft
und mit freiem Licht. Es werden sich mannig-
faltige Durchblicke ergeben, welche mit jedem
Schritte wechseln werden, und von außen her wird
das Tabernakel Orcagnas den Vorübergehenden
durch seine Pracht erfreuen und anziehen. Es
wird vermieden, daß die alte Kultstätte die Zu-
flucht der zweifelhaften Müßiggänger und des
Marktgetriebes wird: Ein offener und doch ab-
geschlossener Raum, voll von stiller Stimmung
inmitten der lärmenden Straße wird Or San
Michele werden.
Zu den archäologischen Führungen, welche
das preußische Kultusministerium bisher in Rom
und Griechenland preußischen Oberlehrern hat
zu Teil werden lassen, ist in diesem Jahre zum
ersten Male eine Studienreise hinzugetreten,
welche einer Anzahl Gymnasialdirektoren undPro-
fessoren das Gebiet der italienischen Renaissance
näher führen sollte. Der größte Teil des vier-
wöchentlichen italienischen Aufenthaltes der
Herren galt Florenz, außerdem wurden Pisa,
Siena, S. Gimignano, Bologna, Ferrora, Padua
besucht. Die Führung war Herrn Professor
Schubring, Berlin übertragen worden. Man wird
nicht irre gehen, wenn man in dieser Unter-
nehmung eine Wirkung des eben ins Leben ge-
tretenen „Deutschen Vereins für Kunstgeschichte"
erblickt. Es ist gewiß zu begrüßen, daß den
Männern, denen die Erziehung der Jugend ob-
liegt, die Kenntnis der italienischen Renaissance,
die in ihren den heutigen Verhältnissen immer-
hin recht verwandten Kulturbedingungen auch
für ein praktisches Ansdiauen von Kunstfragen
ausgiebige Anregung bietet, in zweckmäßiger
Weise vermittelt wird. Es wird nicht aus-
bleiben, daß etwas von diesen Anregungen in
der jungen Generation Frucht treiben wird,
namentlich wenn der diesjährige Versuch eine
gutgeregelte Fortsetzung erfährt. Doch möchte
man es durchaus nicht wünschbar finden, daß
diese Lehrer-Führungen die Vorbereitungen zu
einer Einführung des Unterrichts in der
neueren Kunstgeschichte für Gymnasien
sein sollten. Bei der Gründungs-Sitzung des
„Deutschen Vereins für Kunstgeschichte" kamen
solche Tendenzen zur Sprache. Abgesehen da-
von, daß der Lehrstoff der Gymnasien schon
heute die äußersten Grenzen der Wissensmenge
berührt, setzt dasjenige, was die neuere Kunst-
geschichte uns bietet, so sehr individuelle Ver-
anlagung voraus, daß ein schulmäßiges Lehr-
fach nur dann daraus werden kann, wenn auf
alles feinere Hineinleben von Lehrern und Schü-
lern in die Kunsterscheinungen von vornherein
verzichtet wird. Außerdem dürfen wir uns nicht
verhehlen, daß das schulmäßige Beschäftigen mit
Dingen, die sich an die Sinne, an die Phantasie,
an den Genuß, an das Empfinden wenden, die
jungen Menschen eher vom gewollten Hinein-
dringen fernhalten als sie ihm nähern werden.
Die Schule kann sich nur an den Verstand halten,
und Kunstsnobismus haben wir eigentlich genug.
Das französische Institut in Florenz,
dessen Gründung wir schon erwähnten (Heft 1/2),
ist am 27. April unter Teilnahme des franzö-
sischen Botschafters in offizieller Weise eröffnet
wurden. Von Seiten der offiziellen Welt wie
in der Florentiner Gesellschaft wurde dem In-
stitut die große Sympathie durch eine Reihe
von Veranstaltungen bewiesen, welche das Italien
von heute Frankreich entgegenbringt. An der
Spitze des neuen Instituts steht Prof. Julien
Luchaire, der den Lehrstuhl für italienische
Literatur an der Universität Grenoble inne hat.
Von den deutschen gelehrten Instituten unter-
scheidet es sich durch die enge Fühlung, die es
mit der Mutter-Universität Grenoble behalten
wird, und überhaupt durch seinen eher der
Lehrtätigkeit zugewandten Charakter.
Zu Ehren des französischen Instituts hat der
Direktor der Biblioteca Laurenziana Comm. Biagi
eine Ausstellung von französischen Codices ver-
anstaltet.
Die Uffizien haben ihren Bestand an ober-
italienischen Gemälden durch Erwerbung zweier
beiderseitig bemalter Tafeln, welche die Sig-
natur des Giovan Francesco Caroto tragen
und aus dem Besitz des Marchese Cavalli
stammen, bemerkenswert bereichert. Ursprüng-
lich verschlossen die beiden Tafeln wahrschein-
lich als Türen eine plastische Darstellung der
Geburt Christi. Sobald die Bilder der Öffent-
lichkeit zugänglich sind, werden wir auf sie noch
einmal zurückkommen.
In der Sitzung des Kunsthistorischen
Instituts vom 30. April brachte Herr Dr. Baum
Mitteilungen zur Geschichte der Medici-Grab-
mäler Michelangelos. In erster Linie gab
er Bedenken gegen die von dem Unterzeichneten
in der Sitzung des Institus vom 15. Mai 1907
(siehe Kunst-Chronik XIX, S. 62) dargelegten
Feststellungen Ausdruck. Als Resultat ist zu-
sammenzufassen, daß nach der Ansicht von
Dr. Baum die Figuren des „Tags" und der
„Nacht" möglicherweise doch bereits für eine
schräge Aufstellung konzipiert gewesen seien.
Der Unterzeichnete hielt den neues Material
nicht beibringenden Mitteilungen gegenüber daran
fest, daß die Untersuchung der Figuren selber,
die er wiederholt und auch oft im Verein mit
Bildhauern vorgenommen habe, aufs Unzweifel-
hafteste ergebe, daß „Tag" und „Nacht" für eine
horizontale Aufstellung gearbeitet sind und erst