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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0473

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Literatur

465

dritte, der Ähnlichkeit gewidmete Abschnitt
kommt zum Resultate, daß Ähnlichkeit ein äußer-
ästhetischer Wert sei und es gerade so richtig
wie falsch genannt werden müsse, in ihr das
Wesen des Porträts zu erblicken.
Da Verfasser sich hier besonders mit meinen
Anschauungen auseinander setzt, sei versucht,
etwas zur Klärung beizutragen.
Allerdings ist die Ähnlichkeit ein äußer-
ästhetischer Wert; für den neutralen, d. h. den
Dargestellten nicht kennenden Beschauer oder
für den ihn ebenfalls nicht kennenden Nachge-
borenen ist es völlig gleichgültig, ob ein ledig-
lich als Kunstwerk beurteiltes Bild das Modell
nach seiner wirklichen historischen Erschei-
nung festhält oder nicht, wofern es nur gut
gemalt ist. Ja, es sind die Fälle nicht allzu
selten, wo wir geradezu entrüstet sind über das
unschöne, vielleicht sogar geistlose Äußere eines
bewunderten Geisteshelden, in denen das ähn-
liche Porträt unser ästhetisches Gefühl beleidigt
und uns der frei geschaffene Charakterkopf weit
mehr zusagt. Man denke an die Enttäuschung,
die wir beim Anblick des einzigen authentischen
Porträts Platos empfinden, ans Mißbehagen, das
uns Lorenzos oder Michelangelos Züge einflößen.
Daraus aber, daß die Ähnlichkeit kein ästhe-
tischer Wert ist, zu folgern, daß Porträts un-
ähnlich sein dürfen, scheint mir ein schwerer
Irrtum. Wer sich malen läßt, hat die Absicht,
seine Züge über die räumliche und zeitliche Be-
grenztheit seines Daseins hinaus zu projizieren,
er will sich sozusagen vervielfältigen. Gegen
diesen Wunsch, von sich Duplikate zu besitzen,
tritt alles andere als Mittel zurück. Der größere
Künstler wird zweifellos auch besser malen als
der schlechtere, wenn er aber gleichzeitig der
Ähnlichkeit Abbruch tut — durch Idealisieren,
impressionistisches Auflösen der Form in Licht-
eindrücke usw. — so ist doch, das gewissen-
haftere Bild als Porträt, nicht freilich als
Kunstwerk vorzuziehen. Gerade weil die Ähn-
lichkeit ein außerästhetischer Wert ist, gerade
deshalb darf die Schönheit eines Bildes nicht im
Vordergründe bei der Beurteilung als Porträt
stehen. Die Frage lautet: wie sieht, bzw. wie
sah X. aus? Ist sie mit historischer Treue ge-
löst, dann ist das Porträt gut, denn es ist eine
ikonographische Urkunde. Ist das Bild unähn-
lich, dann ist es bei noch so großer Qualität
als Kunstwerk kein Porträt, sondern nur ein
schönes Gemälde, ein Bildnis. Daß sich ästhe-
tische und Ähnlichkeitsforderungen in Einklang
bringen lassen, beweisen Tizian, Velasquez u. a.,
besonders aber die alten deutschen und nieder-
ländischen Meister. Hat, wie es nicht selten
der Fall, der Künstler die Wahl zwischen

Kunstwert und Porträtwert, so muß sich der
Porträteur für letzteren entscheiden, während
der Historien- und Genremaler lediglich ästhe-
tischen Eingebungen folgen darf. Somit kommen
wir zu dem Schluß: weil der Zweck des
Porträts der einer ikonographischen Urkunde
ist, das Künstlerische aber hinter dieser For-
derung nur als Mittel zurückzutreten hat, sind
als Porträt die beiden Maßstäbe der Ähnlich-
keit und der Ästhetik zu legen. Ersterer ist
ausschlaggebend, denn das Ziel des Porträts
ist die größtmögliche Ähnlichkeit von Abbild und
Original; auf ihr beruht sein Wesen.
Im übrigen enthüllt der dritte Abschnitt eine
Fülle höchst geistreicher Beobachtungen, und
zeugt, wie das ganze Buch, von einer ausge-
breiteten Materialkenntnis, die um so bemerkens-
werter ist, als bekanntlich eine Geschichte des
Porträts noch nicht existiert.
Im vierten, den Darstellungsmitteln und Aus-
druckfaktoren gewidmeten Abschnitt finden
Griffel- und Pinselporträt, Farbenempfindung
und Farbengebung, Seelenwerte der Farbe, Ge-
bärdung, Kopf- und Gestaltporträt, Bildgröße,
Tracht, Beiwerk und Hintergrund, kurz alle in
Frage kommenden Faktoren ihre eingehende
Beleuchtung. Besonders treffend müssen die
Ausführungen über den Impressionismus genannt
werden. Ganz im Sinne meiner Theorie ver-
wirft W. diese Technik für das Porträt. Endlich
wird das Problem der Gruppe, sowie das
Selbstporträt eingehend behandelt. Hier finden
interessante Ausführungen über Soziologie und
Psychologie des Künstlers ihren Platz. Ein
eingehendes Literaturverzeichnis, Sach- und
Namenregister, sowie Abbildungsverzeichnis sind
dem Buche beigegeben.
Wenn hier auch nur ganz kurz der Inhalt
des Werkes skizziert werden konnte, dessen
Stil nicht minder zu loben ist, wie die vortreff-
liche Auswahl der Abbildungen und die schöne
Ausstattung bei erstaunlich mäßigem Preise, so
wird es doch hoffentlich genügen, um Kunst-
historikern und ausübenden Künstlern, ebenso
wie Ästhetikern seine grundlegende Bedeutung
dargetan zu haben.
Es wäre ungerecht, das zweitgenannte Werk-
chen am Maßstabe des ersteren zu messen. Es
ist ein anspruchsloser, gut illustrierter Überblick
über das Miniaturenporträt in den letzten Jahr-
hunderten und als erstes Bändchen einer
„Sammler-Kompendien" benannten Serie von
Monographien gedacht. Dieser seiner Bestim-
mung dürfte es entsprechen.
Dr. Max Kemmerich.
 
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